Die Endgegner der demografischen Wende: Pensionsreform & Wohlstandsträgheit

Im abschließenden Teil der TE-Serie zur Demografie stehen zwei Herausforderungen zentral: Einerseits das Pensionssystem, das wieder an den Generationenvertrag gekoppelt werden muss, andererseits die Überwindung des Überdrusses in Wohlstandsgesellschaften.

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Die Auswirkungen der demografischen Krise werden bereits jetzt im Pensionssystem spürbar. Eine Reform des Pensionssystems tut dabei nicht nur wirtschaftlich Not, sondern böte auch die Möglichkeit, Vermehrung wieder als gesellschaftlich vorteilhaft zu verankern.

Zu guter Letzt stellen wir uns dem Damoklesschwert der demografischen Krise, dem Überdruss, der Trägheit, der Wohlstandsgesellschaften unweigerlich anheim zu fallen scheinen. Die Überwindung dieses “Dämons der Akedia” ist womöglich die schwierigste und zugleich wichtigste Herausforderung der Menschheit zur Lösung der demografischen Krise. Denn alle wirtschaftlichen und sozialen Umstrukturierungen, die zweifelsohne nötig sind, greifen nicht, wenn die Menschheit nicht lernt, ihre Mitte innerhalb der modernen Gesellschaft wiederzuerlangen.

Altersvorsorge an die Anzahl der Kinder koppeln

Bereits seit geraumer Zeit ist der drohende Zusammenbruch des Pensionssystems ein Elefant im Raum. Für weite Teile der nun berufstätigen Generationen ist die Pension ein Luxus der Nachkriegsgeneration, die in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und entsprechender Möglichkeiten aufwuchs und dieses Glück nun auch noch mit einer Pension versüßt bekommt. Für Millennials und alle nach Ihnen kommenden Generationen jedoch wird diese Rechnung nicht mehr aufgehen.

Das sozialstaatliche Pensionssystem ersetzte den ursprünglichen Generationenvertrag, in dem die Pflege der Alten die Aufgabe ihrer eigenen Nachkommen war. Solange die Geburtenrate noch hoch genug lag, schien sich dadurch oberflächlich wenig zu ändern, da die Leistungen der Nachkommen auf Umwegen über die Steuer in die Altenpflege flossen.

Doch in Zeiten, in denen sich das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung zu den Rentnern von einstmals 5:1 in Richtung 2:1 verschoben hat (und in manchen Ländern sogar diese Grenze bereits zu unterschreiten droht), ist dieses Modell nicht länger tragbar. Denn obwohl sich die Pensionsansprüche aus Vergangenheitsleistungen ableiten, müssen die zugehörigen Leistungen in der Gegenwart erbracht werden, eine Belastung, die die Gesellschaft schon bald nicht mehr zu leisten im Stande sein wird, zumal selbst die Immigration zum Ausgleich der entstandenen Lücke nur in geringfügigem Maße die Fachkräfte ins Land spült, die man sich erhofft.

Das gegenwärtige Pensionssystem steht also in absehbarer Zeit vor dem Zusammenbruch. Danach wird es entweder eine Rückkehr zur Altenpflege durch die eigenen Nachkommen geben, oder es wird ein neues System geschaffen, in dem sich die Altersansprüche nicht aus dem Einkommen und den gezahlten Steuern im Laufe des Arbeitslebens ableiten, sondern aus der Anzahl und Leistungsfähigkeit der Kinder. Kinder werden somit wieder zur Investition in die Zukunft, ein Anreiz, kein hedonistisches Leben ohne Kinder zu leben und darauf zu hoffen, dass ein sozialistischer Staat wundersam die Rente aus dem Hut zaubert, wenn das eigene Alter naht.

Das Problem des Pensionssystems wird in den kommenden Jahren zu einigen der denkbar hässlichsten Entwicklungen führen. Wenn die Pflege der Alten immer weniger gewährleistet werden kann und auch die Robotik nicht in absehbarer Zeit ein Entwicklungsstadium erreicht, dass diese Aufgabe – so unmenschlich es erscheinen mag – von Robotern erledigt werden kann, werden auch die Rufe nach Triage und Euthanasie, Themen, die nicht umsonst in den letzten Jahren an Prominenz gewannen, immer lauter werden.

Selbst bei einer sofortigen Kehrtwende bei der Reproduktionsrate, werden mindestens die kommenden 20 Jahre im Hinblick auf die Pflege der alternden Bevölkerung zu einer großen Herausforderung. Eine schnellstmögliche Reform des Pensionssystems würde der gebärfähigen Bevölkerung ein Zeichen setzen, dass ihre eigene Zukunftsversorgung sehr wohl von ihrer Bereitschaft, Kinder aufzuziehen, abhängt und somit entsprechende Anreize setzen.

Überwindung der Akedia

Der Wüstenvater Evagrios Pontikos beschrieb die Akedia als den Mittagsdämon, der Überdruss und Trägheit mit sich bringt. Auch in einer säkularen Gesellschaft, die man aus religiöser Sicht ohnehin als den Dämonen anheim gefallen bezeichnen könnte, lässt sich die Akedia als Phänomen leicht verorten. Denn eine der auffälligsten Korrelationen besteht zwischen fallenden Geburtenraten und wachsendem Wohlstand. Diese Wohlstandsbildung, die im 20. und 21. Jahrhundert erstmals in der Menschheitsgeschichte weite Teile der Weltbevölkerung aus der Armut riss und die grundlegenden Bedürfnisse nach Nahrung, Sicherheit und Unterdach befriedigte, solange sich die Menschen dem Diktat der, die Versorgung sichernden, modernen Lohnsklaverei unterwarfen, hat als Nebeneffekt eine lähmende Trägheit, eine Antriebslosigkeit, die sich eben bis hin zum Überdruss mit dem Leben an sich steigern kann.

Die grassierende Pandemie der Depression ist nur ein modernes Erscheinungsbild der Akedia, die zunächst in wunderlichem Kontrast zum vergleichsweise bequemen Leben der Betroffenen zu stehen scheint. Besonders augenscheinlich wird dies bei den zahllosen Geschichten von Prominenten, die zwar alle materielle Sorgen hinter sich gelassen haben, aber einsam und ziellos durch das Leben irren und in der daraus resultierenden Verzweiflung oftmals ihr tragisches Ende finden.

Der Großteil der menschlichen Geschichte war geprägt von der Notwendigkeit zur Selbstbehauptung, sowohl gegen die Natur, als auch gegen andere Menschen. Diese Notwendigkeit war die Triebfeder hinter jenem Streben nach “mehr”, das über Jahrhunderte hinweg Menschen dazu motivierte, Großes zu leisten. Aber auch, sich zu vermehren.

Die moderne Wohlstandsgesellschaft fühlt sich hingegen an wie ein mittelmäßiges Computerspiel, das man längst bezwungen hat und in dem die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse keinerlei Herausforderung mehr darstellt, das aber darüber hinaus keine spannenden und inspirierenden Aufgaben zu bieten hat, außer den ewig gleichen Fleißaufgaben in irgendwelchen Bullshit-Jobs, um eben diese grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen. Im Spielejargon nennt sich dies “grinden”, also “schuften”. Überdeckt wird diese Leere in unseren Leben mit Konsum.

Gesellschaften wie Israel, die in einem konstanten Bedrohungszustand leben, sind ein Beispiel dafür, wie existenzielle Bedrohungen den Lebenswillen und den Drang zur Selbstbehauptung anfachen. Es ist allerdings ein ernüchternder Gedanke, sich vorzustellen, man müsse eine konstante existenzielle Bedrohung evozieren, nur um nicht dem Überdruss anheim zu fallen. Man könnte aber auch argumentieren, dass der Verlust von Wohlstand und Versorgungssicherheit im Zuge der bewusst herbeigeführten Deindustrialisierung in Deutschland unterschwellig genau diese Instinkte wecken soll, wäre da nicht die grundlegend anti-natalistische Einstellung jener Kreise, die diese Deindustrialisierung vorantreiben.

Die Frage nach der Überwindung der Wohlstandsakedia ist vielleicht die schwierigste Frage von allen. Denn während Stadtplaner eine Dezentralisierung fördern, oder Universitäten eine Begrenzung der Studienplätze einführen können, so muss man zur Überwindung der Akedia kulturell tief schöpfen. Religion und transzendente Sinngebung spielen dabei sicherlich eine zentrale Rolle, aber auch die Zukunftsvision der Menschheit. Denn seit über 50 Jahren vergiftet die Ideologie der “Grenzen des Wachstums” die menschliche Psyche, der einst noch kein Berg zu hoch und kein Ozean zu tief war, als dass sie nicht von Menschen bezwungen werden könnten.

Der moderne Mensch aber schämt sich seiner selbst. Er ist satt und überdrüssig. Vor allem überdrüssig seiner selbst, da er meint, sich in einem abgeschlossenen Computerspiel zu befinden, das ihn nur noch langweilt. Egal wohin man blickt, ob Kunst, Wissenschaft, Philosophie oder Politik – fast alles dreht sich nur noch im eigenen Saft. Kein Wunder also, dass die Menschen dessen überdrüssig werden.

Ein erster wichtiger Schritt zur Überwindung dieser tiefen Depression weiter Teile der Menschheit ist die Neujustierung unserer Maßstäbe. Erde und Natur sind nicht bezwungen, im Gegenteil. Wenn weiterhin nur Windräder und Solarpanele aufgestellt werden, um einem sich verändernden Klima zu begegnen, werden schon bald wieder Naturkatastrophen die Menschen heimsuchen, wie es seit 100 Jahren überwunden schien. Das liegt aber nicht an der menschlichen Knechtung der Natur, sondern daran, dass der Mensch im Gegenteil aufgehört hat, sich als Krone der Schöpfung zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten.

Doch eine weitaus größere Inspiration des Menschen liegt, zumindest zur Zeit, noch außerhalb der Erde. Der Weltraum als Ziel der neuen Seefahrer und Entdecker, jener Wagemutigen, die nicht zuletzt deshalb in fremde Gefilde aufbrechen, um sich lebendig zu fühlen. Man kann Leuten wie Elon Musk nicht dankbar genug dafür sein, dass sie mit einer Selbstverständlichkeit und Begeisterung von Projekten wie der Marskolonisierung sprechen, die unserer Trägheitsgesellschaft ansonsten schon längst abhandengekommen sind.

Solche Ziele, solche Grenzüberschreitungen, solche Abenteuer sind es (unter anderem), die der Menschheit neue Vitalität injizieren, die uns daran erinnern, dass das Spiel alles andere als durchgespielt ist, sondern stattdessen jenen alten Entdeckergeist herauskitzeln, der sich immerwährend fragt, was wohl hinter dem Horizont liegt.

Eine Menschheit, die solche Ziele und die mit ihnen verbundenen Gefahren und Risiken kennt, möchte auch Kinder in die Welt setzen, denn die Grenzen, die die Väter in ihrem Leben nicht mehr überschreiten, werden dann ihre Nachkommen bezwingen.


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