Roger Scruton, der im Januar verstarb, wurde am 27. Februar vor 76 Jahren geboren. Allseits interessiert, passte der Konservative in kein Schema.
Er ritt gern, liebte die (mittlerweile verbotene) Fuchsjagd, schrieb mehr als 60 Bücher, komponierte zwei Opern, arbeitete zu Zeiten des Eisernen Vorhangs im osteuropäischen Untergrund – der Engländer Roger Scruton war genauso abenteuerlustig wie an allem interessiert. Von musikalischen und literarischen Klassikern bis hin zur Architektur, zum Wein und zum Umweltschutz, zu praktisch allem äußerte er sich. Und natürlich auch zur Politik.
Roger Scruton, geboren am 27. Februar 1944 in einem der 20 Häuser, die im Weiler Buslingthorpe in der Grafschaft Lincolnshire um die auf das 13. Jahrhundert zurückgehende St.-Michaels-Kirche gruppiert sind, wächst in einem linken Lehrerhaushalt auf. Nicht so brav wie seine zwei Schwestern, fliegt er von der Schule, weil er – Beckett deklamierend – bei einer Aufführung auf der Bühne der Aula ein Feuer macht, vor dem er eine Freundin halbnackt tanzen lässt. Ein Skandal!
Der Verweis tut allerdings nicht so weh, weil er zu diesem Zeitpunkt schon ein Stipendium für Cambridge in der Tasche hat, wo er alsbald Philosophie studiert und 1972 mit einer Arbeit über Ästhetik promoviert wird. Zwischendrin hat bei einem Besuch in Paris die Bekehrung stattgefunden: Im Mai 1968 beobachtet er von seinem Zimmer im Quartier Latin, wie „Hooligans aus der Mittelschicht“ auf der Straße ihren Zorn zelebrieren. Den jungen britischen Intellektuellen stößt das ab. Er wird fortan als Konservativer durchs Leben gehen.
Streitbar und witzig wird er in der angelsächsischen Welt bald die Debatten beleben. Der Historiker Timothy Garton Ash würdigt ihn später mit den Worten: „Jede wahrhaft offene Gesellschaft sollte ihm als provokantem Herausforderer dankbar sein“.
Klar, dass Scruton das gefällt. Genau wie es ihm gefällt, in der Politik mitzumischen. Im Herbst 1974 gehört er zu den Gründern der Conservative Philosophy Group, die den Tories nach der Niederlage gegen die von Harold Wilson geführte Labour-Partei wieder auf die Beine helfen will. Im Februar 1975 übernimmt Margaret Thatcher von Edward Heath den Parteivorsitz der Conservatives und trifft sich öfter mit Scruton und seinen Freunden – und als 1979 tatsächlich der Regierungswechsel gelingt, frohlockt der konservative Denker: „Endlich konnten wir den ganzen sozialistischen Mist sein lassen und zu unserer Natur als rebellische, exzentrische Engländer zurückkehren.“
Nicht ausschließlich Marktlösungen
Zu dieser Exzentrik gehört auch eine gewisse Entfremdung von Thatcher. Die „eiserne Lady“ krempelt die britische Gesellschaft komplett um, privatisiert, dereguliert und entbürokratisiert, wo es nur geht. Scruton ist Marktlösungen gegenüber zwar durchaus aufgeschlossen, betrachtet sie aber als nicht für jedes Problem geeignet. Insbesondere in Fragen der Migration und des Außenhandels will er sich nicht auf den Markt verlassen, und er lehnt eine interventionistische Außenpolitik ab. Er wird deshalb auch als sogenannter „Paläokonservativer“ eingeordnet.
Trotz Binnenorientierung ist Scruton aber alles andere als ein passiver Zuschauer der Geschehnisse im Ausland. In den 1970er- und 1980er-Jahren reist er viel in den Ostblock, insbesondere nach Polen, Ungarn und in die Tschechoslowakei, lernt sogar Tschechisch und hält im Untergrund vor Dissidenten Vorlesungen. Bei jedem Besuch schmuggelt er Exemplare der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „The Salisbury Review“ hinter den Eisernen Vorhang.
Zu seinen Lesern gehört der Dichter, Bürgerrechtler und spätere tschechische Präsident Vaclav Havel, der nach dem Zerfall des Ostblocks auch Autor der Zeitschrift wird. Nachdem er schon 1998 die tschechische Verdienstmedaille erhalten hat, würdigen 2019 auch Ungarn und Polen mit Ordensverleihungen Scrutons Beitrag zur Wende.
Die Stars, die Generationen von Studenten und Intellektuellen in Europa und den Vereinigten Staaten während der vergangenen Jahrzehnte in ihren postmodernen Bann gezogen haben, blicken auf keine derartige Geschichte zurück. Sie heißen Jacques Derrida, Michel Foucault oder Terry Eagleton. Scruton hält indes dagegen, dekonstruiert ihren populären Dekonstruktivismus mit unerschrockener Logik und höflicher Sachlichkeit. Mit dem Ergebnis, dass nur „Entfremdung“, das „Nichts“ oder sogar, wie es im Buch „Modern Culture“ heißt, „the world of the devil“ herauskommt. Also nichts für eine Zivilisation wahrhaft Tragfähiges.
Endlich konnten wir den ganzen sozialistischen Mist sein lassen und zu unserer Natur zurückkehren
Der wissenschaftlichen Elite scheint dies bis heute egal zu sein. Nicht aber Scruton, der in Anlehnung an T. S. Eliot kulturelle Bildung stets als das betrachtet hat, was jungen Menschen echte Lebensweisheit und zweckfreies Wissen vermitteln sollte. Ein Wissen, das sich eingebettet weiß in die abendländische Tradition und damit auch in die Tradition des Christentums, das für den bekennenden Anglikaner nicht unwichtig ist. Auch im Verhältnis zur Religion wird Scrutons Distanz zu sich selbst offenbar: „Es ist die Religion der Engländer, die kein Wort davon glauben.“
Scruton geht zwei Ehen ein: Mit Danielle Laffitte, einer Französin, ist er von 1972 bis 1979 verheiratet, seit den 1990ern mit der 30 Jahre jüngeren Sophie Jeffreys. Mit ihr und zwei Kindern lebt er zurückgezogen in Wiltshire, in einer Landschaft, die unschwer verstehen lässt, warum Scruton Umweltschutz für ein konservatives Thema hält. Auf seinem Gut findet jährlich die „Scrutopia Summerschool“ statt – ein Sommerkurs in Philosophie und Lebenskunst. 2016 schlägt ihn Elisabeth II. für seine „Dienste an Philosophie, Lehre und Bildung“ zum Ritter.
Opfer des Empörungsmobs
Trotz dieser und vieler anderer Meriten gibt im Frühjahr 2019 – Scruton ist im Begriff, seine Lungenkrebserkrankung öffentlich zu machen – ein britischer Journalist die Aussagen Scrutons in einem Interview völlig sinnentstellt wieder. Die Empörungswelle – „antisemitisch“, „islamophob“ – rollt, und der konservative Ästhet wird von seinem Posten als Vorsitzender der Regierungskommission „Building Better Building Beautiful“ abberufen. Erst als die Manipulation des Journalisten auffliegt, Redaktion und Verlag sich entschuldigt haben, wird er rehabilitiert.
Erfreulich, dass eines der wichtigsten Werke Roger Scrutons, „Von der Idee, konservativ zu sein“ auf Deutsch vorliegt. Und der Publizist Douglas Murray trifft es, wenn er im Vorwort feststellt: „Während viele die konservativen Ideen bestenfalls als politische Nostalgie verbuchen, beweist Scruton etwas anderes. Etwas, was für deutschsprachige Leser ganz besonders nützlich sein dürfte. Denn die konservative Philosophie, für die er eintritt, ist keine Philosophie, die zur Betrachtung in einer Glasvitrine ausgestellt und nur von Kennern geschätzt wird. Sie ist eine tiefgreifende Philosophie, die hier und heute nützlich ist. (…) Die von Scruton entfaltete Philosophie sucht keine Zuflucht in der Vergangenheit, sie blickt auf die Vergangenheit, um nach Anleitung für die Gegenwart zu suchen.“
Roger Scruton suchte „die Wunden zu heilen und jene Gräben wieder zu schließen, die die Vertreter der Postmoderne aufgerissen haben und die heute die Gesellschaft spalten und fragmentieren“. Sir Roger, rest in peace.
Dieser Beitrag von Carl Batisweiler erschien zuerst in der Februar-Ausgabe von Tichys Einblick (Ausgabe 03/2020).
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Ein echter Intellektueller aus der oberen Etage.
Unten kläfft ein Pinscher aus der Hundehütte.
Der heißt irgendwas mit „J“ …. Jakob oder Jan o.s.ä
Ruhe in Frieden, Roger Scruton.
Lese gerade das Buch von dir.
Konservativ bin ich auch, aber Leute die die altenglische Fuchsjagd betreiben, könnten niemals meine Ratgeber sein.
Lieber Herr Batisweiler,
„Die Ästhetik des Widerstands“!
NOBODY TRIES TO STOP A LOSER Wer mehr kann als der Durchschnitt ist dem untalentierten Herdenmensch verhasst. Dieser preist gern „Bescheidenheit“ als Tugend und Zierde. Das kann sie auch sein, aber nur dann, wenn sie nicht verlogen ist und bestenfalls den Mangel an Fähigkeiten kaschieren soll. Heine sagte (sinngemäßes Zitat): „der Nichtskönner redet gern von Bescheidenheit, ist es ihm doch so leicht, diese Tugend auszuüben. Durch den Niedergang unseres Bildungssystems und die Justierung des Geistes unterhalb der Gürtellinie nimmt die Zahl der Nichtskönner und unterdurchschnittlichen Herdenmenschen (der Habecks und Hofeiters) hierzulande stetig zu. Ein auf links gedrehtes Bildungssystem kann keine… Mehr