Politischer Wortschatz: „kriegstüchtig“

Ein Dreivierteljahrhundert, von 1949 bis Herbst 2023, kam die Bundesrepublik Deutschland ohne dieses Wort aus. Am 10. November 2023, erklärte Verteidigungsminister Pistorius auf einer Bundeswehrtagung: „Wir müssen kriegstüchtig werden“ – seitdem beherrschen Adjektiv und substantivische Ableitung „Kriegstüchtigkeit“ den politischen Diskurs über die Bundeswehr. Eine kurze Wortgeschichte.

picture alliance/dpa | Christophe Gateau
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, Bundeskanzler Olaf Scholz und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, Tagung am 10. November 2023

Zum Wortschatz Goethes (insgesamt 93 000 Wörter, einschließlich Briefe und amtliche Schriften) gehört „kriegstüchtig“ (noch) nicht: Er verwendet zwar mit der Substantivform „Krieg-s“ 159 Wortzusammensetzungen (Kriegsabenteuer, Kriegsabgabe … Kriegsmaschine, Kriegsminister … Kriegszug, Kriegszustand), aber nicht das Adjektiv „kriegstüchtig“. Belegt ist es jedoch bereits zu seiner Zeit: In einem „Lehrbuch der Geschichte des preußischen Staates für Schulen“ (1826) heißt es über die preußische Militärreform nach der Niederlage von 1806 gegen das napoleonische Frankreich: „Neue Kriegsgesetze [Einführung der allgemeinen Wehrpflicht] wurden vom Könige gegeben und allmählich sämtliche Waffenfähige im Lande kriegstüchtig gemacht“. Mit diesem neuen, kriegstüchtigen Heer wurde dann in den Befreiungskriegen 1813-1814 die Besatzungsmacht Frankreich besiegt.

Ohne Grundgesetzänderungen geht nichts
Pistorius konkretisiert Deutschlands „Kriegstüchtigkeit“
Was bedeutet „kriegstüchtig“? Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm (Buchstabe K, 1873) wird es definiert als „tüchtig zum Kriege und im Kriege“, und „Kriegstüchtigkeit“ ist belegt durch folgendes Zeitungszitat (1847): „der Adel, stolz auf seine Kriegstüchtigkeit“. Von den beiden Bedeutungen „tüchtig zum Kriege“ und „tüchtig im Kriege“ kommt die erstere viel häufiger vor, weil sie ein allgemeines politisches Problem anspricht, das mit der Einführung der Wehrpflicht im 19. Jahrhundert entstand: die Ausbildung der neuen Massenheere. „Unser Interesse liegt vor allem darin, möglichst viel Soldaten kriegstüchtig auszubilden“ wurde 1892 im Reichstag erklärt, und das Berliner Tageblatt kommentierte 1905: „Die [im Kaiserreich häufigen] Manöver sind von großer Bedeutung für die kriegstüchtige Ausbildung des Heeres“.

Nach zwei Weltkriegen kam das Wortfeld „Krieg“ sprachlich unter Verdacht, besonders in Deutschland: Statt „Kriegsminister“ heißt es nun – wie weltweit – „Verteidigungsminister“, der „Kriegsfall“ wird zum „Ernstfall“ oder „Verteidigungsfall“ und „kriegstüchtig“ zu „einsatzfähig“. Die Schweizer Armee blieb beim traditionellen Ausdruck „kriegstüchtig“, im Dienstreglement von 1980 heißt es: „Die Armee kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie kriegstüchtig ist. Kriegstüchtigkeit ist deshalb oberstes Ziel von Ausbildung und Erziehung.“

Seit November 2023 gilt Ähnliches für die Bundeswehr: „Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr“, stellen die neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ fest. Vor 13 Jahren, in der Richtlinien von 2011, klang das noch anders: „Der Soldat muss in der Lage sein, zu schützen, zu helfen und zu vermitteln“, und deshalb werden „in Zukunft hohe Anforderungen an die [= seine] soziale und interkulturelle Kompetenz gestellt“; von militärischer Kompetenz, also Kriegstüchtigkeit, war damals keine Rede – sollten Soldaten Sozialarbeiter in Uniform sein?

„Kriegstüchtig ist ein Begriff, der aus der Zeit gefallen scheint“ (Zeit 7. 12. 2023) – sprachlich stimmt dieses Urteil. Aber mit diesem einem Wort hat Verteidigungsminister Pistorius der Wehrpolitik eine neue Richtung gegeben. Ob er die Bundeswehr tatsächlich „kriegstüchtig“ machen kann, wird sich zeigen; unbestreitbar ist aber schon jetzt seine eigene „Kommunikationstüchtigkeit“.

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Kommentare ( 26 )

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gmccar
7 Monate her

Stahlharte Männer von der Kriegerfront. Der Rechts ist ein Schreibtisch-Feldherr; der Links ist sogar Obergefreiter und der in der in der Mitte hat vergessen, warum er da steht, Der Herr bewahre uns vor Eis und Schnee und Scharia-Sozen von der SPD.

Nibelung
7 Monate her

Ein interesanntes Bild, Sozalisten in Begleitung des Miltärs nach innen und außen und es gab ja auch schon mal Zeiten wo sie unter Noske auf Bürger schießen ließen und damit es ihnen nicht zu wohl wird, wollen sie nun auch noch den Iwan bezwingen, wobei er ihnen schon ordentlich 1945 den braunen Hintern versohlt hat und die Roten derzeit nacheifern um auch einmal auf Geheiß der Imperialisten im Rampenlicht zu stehen um deren Gunst zu erhalten. Die Niederlage zweier „großer Feldherren“ scheint sie nicht zu stören und vorwärts mit Hurra, wäre da nicht das große Desinteresse der männlichen Bevölkerung und… Mehr

giesemann
7 Monate her

Bin für „Vorwärtsverteidigung“, also im Glacis der Slawerey. Schließlich haben die lange genug mit ihren slawischen Brüdern da ganz im Osten geschwistert – das haben sie nun davon. https://de.wikipedia.org/wiki/Vorneverteidigung und etwa https://www.spiegel.de/politik/ist-die-rhein-armee-kampfkraeftig-a-70628e44-0002-0001-0000-000046172653?sv1=affiliate&sv_campaign_id=101248&awc=21540_1714287134_444a8078210a5301218b20188ccacc22&sara_ecid=aff_pd_pfe8MOYeWydTZ1CPFbiVqkS6ZARks14.
Kennen die Polen den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939? Und wer als Sieger daraus hervor ging? Den haben sie nunmehr an der Backe. Porca miseria.

Raul Gutmann
7 Monate her

Sehr geehrter Herr „Rainer Unsinn“, neben Ihrer zutreffenden Beschreibung am Ende Ihres Beitrages, ist Ihnen zur Verinnerlichung der alliierten Geschichtsschreibung über das Dritte Reich zu gratulieren.

»Der Sieg über ein Land ist erst vollständig, wenn die Kriegspropaganda der Sieger Eingang in die Schulbücher des besiegten Landes gefunden hat und diese Schulbuchweisheiten auch von den Leuten als Staatswahrheiten geglaubt werden.«                                      Walter Lippmann, 1889 – 1974

Last edited 7 Monate her by Raul Gutmann
Ohanse
7 Monate her

Wo ich gerade das Foto sehe: Die Uniform des Heeres muss nun langsam dringend überarbeitet werden. Von Anfang an völlig verunglückt. Und wer ist dran schuld: Der Vater von Thomas de Maiziere. Kein Farb- und Formempfinden, kein Mut zu einem soldatischen Design. Der Breuer sieht aus wie ein schlecht gekleideter Vertreter. Kriegstüchtigkeit muss sich auch im äußeren Erscheinungsbild zeigen, sonst glaubt der Uniformträger ja auch selbst nicht, dass er ein Soldat sein soll.

Last edited 7 Monate her by Ohanse
Raul Gutmann
7 Monate her
Antworten an  Ohanse

Sehr geehrter Herr „Ohanse“, danke für Ihren Beitrag, der einen nicht unwichtigen Aspekt thematisiert.
Wie Sie mit zugegeben etwas anderen Worten ausführen, ähnelt „unser“ höchster Soldat dem TV-Postboten vergangener Tage Walter Spahrbier.
Mit 40 Jahren spiegelt das Gesicht den Charakter„, will der Volksmund wissen.
Mit den Worten Theodor Heuss‘: »Nun siegt mal schön!«

Teide
7 Monate her

Kriegstüchtig.Man könnte auch sagen „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“.
Es wird einem schwindelig bei dem Tempo in dem sich die Zeiten ändern.

Last edited 7 Monate her by Teide
alter weisser Mann
7 Monate her

„Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr“
Geschwurbel dreht Selbstverständlichkeiten durch die Mühlen der Bedeutsamkeit.
Wenn der Generalinspekteur die Bundeswehr illustriert ….

Last edited 7 Monate her by alter weisser Mann
Berlindiesel
7 Monate her

Herr Berschin vermeidet in seinem Beitrag tunlichst, sich auf das moralische Glatteis zu begeben, das mit dem Wort „Krieg“ seit 1945 in Deutschland verbunden ist. Dabei war Krieg schon vor 1945 und auch 1914 nicht durchgängig positiv besetzt bzw. gab es keine allgemeine nationale Tendenz oder Attitüde, unbedingt einen Krieg führen zu wollen, etwa um seiner selbst willen oder als ultimative Verwirklichung von Mannesehre. Den Pazifismus, also die Kriegsvermeidung um jeden Preis, auch unter Hinnahme massiver Nachteile, gab es schon vor 1945 bei kleinen Minderheiten oder nur auf eine bestimmte Partei bezogen. Echte Pazifisten gibt es auch heute in Deutschland… Mehr

Raul Gutmann
7 Monate her

Das Wort „kriegstüchtig“ nicht nur im Zusammenhang, sondern nur gering verbrämt, gegen Rußland als gleichermaßen größte Atommacht Europas wie der Welt, zu verwenden, ist wahlweise politischer Irrsinn oder gefährlicher Wahnsinn – von den 9,8 Mio. toten Sowjetsoldaten resp. über 14 Mio. toten Sowjetbürgern des Zweiten Weltkriegs mal ganz abgesehen.

Grumpler
7 Monate her

Lieber „kriegstüchtig“ als „kriegführend“, was ganz schnell die Folge von Kriegsuntüchtigkeit werden könnte! Von daher: Meinen Segen hat er.

Si vis pacem para bellum.