Das Relief der Gigantomachie, der Schlacht der Götter gegen die Giganten, schmückt den Pergamonaltar. Für die Alten Griechen ein Kampf zwischen Chaos und Ordnung. Die Ironie der Geschichte will, dass das Stück nunmehr an einem Ort steht, wo diese epische Auseinandersetzung Alltag ist.
Berlin hat den Flughafen, Berlin hat das Kanzleramt und Berlin hat jetzt auch das Pergamonmuseum.
2010, so hatte es noch der Bund gewollt, sollte eines der bedeutendsten europäischen Museen in neuem Glanz erstrahlen und wiedereröffnet werden. Zur Jahrtausendwende hatte die Politik festgelegt, die Museumsinsel in nur zehn Jahren zu renovieren. Viele der hochtrabenden Ideen sind entweder gescheitert, mit reichlicher Verspätung realisiert – oder immer noch nicht umgesetzt worden.
Tichys Einblick ist nicht dafür bekannt, den Spiegel zu loben. Doch in einem Bericht, der aus den Glanzzeiten des Blattes stammen könnte, veröffentlichte das Hamburger Magazin im August eine Chronologie der Katastrophe. Sie ist gekennzeichnet von Größenwahn, Verantwortungslosigkeiten, Inkompetenz und unrealistischen Vorgaben. So hielt die Stiftung Preußischer Kulturstift über Jahre daran fest, dass trotz Instandsetzung das Museum niemals ganz geschlossen werden dürfte.
Das hat die Renovierungsarbeiten nicht nur in die Länge gezogen. Nun tritt der gegenteilige Effekt ein. Die vollständige Wiedereröffnung des Museums wurde auf das Jahr 2037 terminiert. Mittlerweile gilt das Jahr 2043 als realistischer. Wer Berlin kennt, der weiß: Da ist noch viel Platz nach oben.
Damals, als die politische Vorgabe der Schröder-Jahre lautete, dass die Museumsinsel in einem 10-Jahres-Plan wieder aufgerichtet werden sollte, ging man noch von Kosten in Höhe von 500 Millionen D-Mark aus. 2008 rechnete man mit 385 Millionen Euro. 2017 waren es 613 Millionen Euro. Mittlerweile sollen es 1,5 Milliarden Euro werden. Tendenz: steigend.
Rund 490 Millionen Euro entfallen auf den Nordflügel, eine Milliarde auf den Südflügel. In den nächsten – im besten Fall: 13 – Jahren Bauzeit ist es nicht ausgeschlossen, dass weitere Probleme zum Vorschein kommen. 20 Jahre dauerte der Bau des heutigen Museums zwischen 1910 und 1930. Damals kamen Erster Weltkrieg, die 1918er Revolution, die Inflation der beginnenden 1920er sowie die Weltwirtschaftskrise dazwischen. Bereits damals wurden nicht alle Pläne ausgeführt.
Ein weiteres Berliner Milliardengrab, so könnte man meinen. Es gibt allerdings einen brisanten Unterschied. Ob Berliner Flughafen oder Bundeskanzleramt: Beide prägen nicht das Bild von Deutschland so sehr wie eines der weltführenden Museen, dessen namensgebender Altar auch für den einstigen Anspruch der Gelehrtennation steht.
Pergamonaltar und das aus tausenden Lehmziegeln rekonstruierte Ishtar-Tor gaben Deutschland ein Museum, das dem weltweit dominierenden British Museum ebenbürtige Konkurrenz macht. Könnte man sich vorstellen, dass dieses für 20 Jahre die Pforten schlösse? Die Vatikanischen Museen? Der Louvre? Millionen Touristen werden jedes Jahr auf der Museumsinsel stehen und sich fragen, weshalb Deutschland an der Renovierung eines Museums scheitert, das gleich nebenan liegt.
Gigantisch – um beim Relief zu bleiben – ist daher das Scheitern. Zu den bisherigen Kosten reihen sich jetzt die „Peanuts“. Eine Baufirma etwa, die laut der Stiftung einen Millionenschaden verursacht habe, muss nicht zahlen. Nicht nur, dass das Museum auf den Kosten sitzen bleibt, es muss der Firma auch noch Lohn nachzahlen, wie ein Gericht letzte Woche entschied.
Eine weitere Firma fordert zehn Millionen nicht gezahlten Werklohn, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Gegenzug 15 Millionen Euro Schadensersatz. Für die Restaurierung der Kunstwerke fallen weitere 121 Millionen Euro an. Laut Spiegel sei das Budget für den ersten Bauabschnitt bereits „fast erschöpft“, wie intern schon im September 2023 angemahnt wurde.
Was den Fall „Pergamon“ mit den anderen deutschen Debakeln bindet: In den nahezu 25 Jahren der Planung ist kein einziger Kopf gerollt. Niemand war bereit, Verantwortung zu übernehmen – oder den Pergamonskandals an die Öffentlichkeit so durchzustechen, dass dessen wahre Dimension bewusst wurde.
Auch das sind Bilder aus dem besten Deutschland aller Zeiten: Im Kaiserreich baute man Museen für Ruinen, in der Berliner Republik sind sie selbst zu solchen geworden.