In Stuttgart sorgt eine Opernperformance für Aufregung – und beschert den Machern die gewünschte Publicity. Das Erfolgsrezept ist indes alles andere als progressiv: Sex, Blut, Gewalt: Das kennen wir aus dem (post)modernen Musiktheater nun wirklich zu Genüge.
Das Theater kann es also noch: Provokation. In Stuttgart ist man wahrscheinlich stolz – Einsatz von echtem Blut, exzessive Nacktheit, sexuelle Handlungen auf der Bühne; eine Altersfreigabe ab 18. Während der ersten beiden Aufführungen konnten 18 Menschen die Aufführung nicht vollständig anschauen, drei mussten ärztliche Versorgung in Anspruch nehmen. Wer mit künstlerischer Qualität nicht punkten kann, kann sich so sicher sein: Kritiker und Presse werden dem Stück und dem Haus die gewünschte Publicity verschaffen.
Mit der Opernperformance „Sancta“ bezieht sich die Regisseurin auf Paul Hindemiths Einakter „Sancta Susanna“. Ein grenzüberschreitendes Werk von 1921 auf Grundlage eines expressionistischen Textes. Bereits damals verständlicherweise skandalträchtig: Das Stück handelt von der sexuellen Ekstase, in die eine Nonne in der Betrachtung des nackten gekreuzigten Jesus verfällt.
Das Sujet rund um Nonnenklöster und die dort „unterdrückte“ Sexualität ist eher altbacken, mögen sich jene, die es wählen, dabei noch so postmodern vorkommen: Das Unbehagen gegenüber zölibatären Lebensentwürfen sorgt schon seit Jahrhunderten für einen scheelen Blick und Verdächtigungen, was sich hinter Klostermauern wohl so alles abspielen möge. Zuerst war dies protestantischen antikatholischen Reflexen geschuldet, sodann säkularen Ideologien, die am (christlichen) asketischen Lebenszeugnis Anstoß nehmen. Denn dieses ergibt ja nur Sinn, wenn nach dem irdischen Leben himmlische Freude auf den Menschen wartet – authentisches zölibatäres Leben wäre somit ein überzeugender Widerspruch gegen ein materialistisches Weltbild. Keuschheit steht unter Generalverdacht, unwahrhaftig und heuchlerisch zu sein, und es besteht eine voyeuristische Lust an der Pervertierung des Heiligen, daran, es in den Dreck zu ziehen.
Vor allem letztere, säkulare und materialistische Kritik am katholischen Lebensentwurf, der den evangelischen Räten Armut, Keuschheit und Gehorsam folgt, wurde immer wieder in pornographischer Weise in Szene gesetzt: In Buchform etwa bei Marquis de Sade, in Filmen und eben Theaterstücken. Besonders beliebte Opfer sind Nonnen – ein zurückgezogenes Leben, ewige Jungfräulichkeit, Gewandungen, die die Körperlichkeit der Frauen im wahrsten Sinne des Wortes verschleiern – das kann doch nicht gesund sein, nein, dahinter kann auch keine aufgeklärte, reflektierte Sexualität stecken, da muss etwas Dunkles, Schmutziges verborgen sein.
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet jene, die sich emanzipiert und modern wähnen, hier die Lebensgestaltung von Frauen respektlos mit Füßen treten, Frauen sexualisieren und entwürdigen, weil sie anders leben, als der Mainstream es als richtig betrachtet. Nicht weniger ironisch ist, wenn eine kleinwüchsige Performerin eine „Päpstin“ darstellen soll: Als Ausdruck der Diversität gedacht, kommt eine solche Absurdität eher der Zurschaustellung auf einem mittelalterlichen Jahrmarkt nahe – auch hier Instrumentalisierung statt Würdigung.
Nun könnte man meinen, seit den 70ern und dem fortschreitenden Triumph des Regietheaters hätten wir bereits alles gesehen: Nacktheit, Blut, Sex – letzterer im Musiktheater immer ganz besonders peinlich, weil Sänger nun einmal mit ihren Körpern singen müssen; die technische Umsetzung des Gesangs begrenzt ihr Schauspiel naturgemäß in irgendeiner Weise, was Pornographie in Opern gern unfreiwillig komisch wirken lässt. Aber Stuttgart hat es wie gesagt geschafft, Menschen so zu schockieren, dass sie die Aufführung verlassen mussten.
Eigentlich ein gutes Zeichen: Auch in einer Welt, in der Prozesse stattfinden müssen wie der gegen Dominique Pélicot, Serienvergewaltiger seiner Frau, der sie, unter Drogen gesetzt, anderen Männern anbot; in der schon Grundschulkinder Pornographie ausgesetzt werden, und in der Gewalt und Verrohung allgegenwärtig sind, sind noch Menschen von Gewalt und Übergriffigkeit schockiert. Insbesondere, wenn sie nicht durch mediale und digitale Filter, sondern direkt einwirken. Wir sind noch nicht völlig abgestumpft.
Doch gerade in einer solchen Welt sollten sich Künstler nicht der Traumatisierung der Menschen verschreiben, sondern Heilung und Hoffnung befördern. Die wahrscheinlich größte Perversion ist dementsprechend wohl, dass Florentina Holzingers „Opernperformance“ das Werk „um Teile der katholischen Messe, (…)“ ergänzt. „Auf diese Weise beleuchtet sie unseren ganz persönlichen wie auch gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Körper, Sexualität und Glauben.“
So beschreibt die Staatsoper Stuttgart das Werk. In einer weitgehend vom katholischen Glauben losgelösten Gesellschaft soll also die zweckentfremdete Aneignung katholischer Riten, ja, des Glaubenskerns dieser Religion schlechthin, dabei helfen, den „gesamtgesellschaftlichen“ Zugang zu Sex zu ergründen? Wir erwarten mit Spannung, wann ein solcher Zugang auch im Hinblick auf geheiligte Glaubensformen des Islam gewählt werden wird. Wenn man hier doch mutig der machtvollen, düsteren Kirche entgegentritt, und es wagt, sie herauszufordern, wird man sich doch sicher nicht davor fürchten, mit dem Islam ebenso zu verfahren – eine Religion überdies, die der körperlichen Integrität und der Würde der Frau ungefähr so viel Bedeutung zumisst, wie die Autoren der Opernperformance: Keine.
Aber letztlich geht es nicht darum, den Gratismut der Macher zu kritisieren, die, obwohl die Künstlerwelt sich als Streiter für Achtsamkeit und Diversität geriert, keinerlei Achtsamkeit für die Gefühle und die Kultur von Christen hegt, sondern blind und aggressiv auf etwas eindrischt, was sie nicht einmal mehr in Ansätzen intellektuell zu erfassen vermag.
Hier geht es vor allem um Respektlosigkeit gegenüber dem Publikum, um eine abgehobene Künstlerclique, die sich selbst feiert. Eine Clique, die Grenzüberschreitung um ihrer selbst willen betreibt, und eben nicht, um Kritik an realen Missständen zu üben.
Wenigstens hatte man die Einsicht, das Werk als eigenständige Performance zu betrachten, und nicht Hindemiths Sancta Susanna für eigene Regieverbrechen zu vereinnahmen – nicht selten haben Inszenierungen von Bühnenwerken mit dem ursprünglichen Werk nur noch den Namen gemein, da geht es in Stuttgart ehrlicher zu.
Hindemith selbst erhob übrigens nicht die Grenzüberschreitung zum Maßstab seiner Kunst: Nur wenige Jahre nach „Sancta Susanna“ komponierte er „Mathis der Maler“ – auf sein eigenes Libretto, inspiriert vom Isenheimer Altar und dessen Schöpfer. Viele seiner Werke legen Zeugnis ab von einer tiefen, aufrichtigen Suche nach Wahrheit und Spiritualität, von angestrengtem Avantgardismus keine Spur. Seinen Einakter „Sancta Susanna“ zog er 1958 zurück. Nur ein Jahr zuvor hatte übrigens mit Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen“ ein zeitgenössisches Bühnenwerk bewiesen, dass auch die Moderne Kunst und Respekt vor der Religion vereinen kann: Ohne in Kitsch oder Idealisierung abzugleiten, zugleich von musikalischer, spiritueller und gesellschaftlicher Aktualität und Relevanz.
Es ist ein Zeugnis von Fantasielosigkeit, Dekadenz und mangelnder Innovationskraft, dass man an der Staatsoper Stuttgart offensichtlich meint, Fortschritt liege im Rückfall in stupide orgiastische Provokation.
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Dem Kulturbetrieb gehört jegliche Förderung entzogen. Die Kulturszene in Deutschland ist nichts weiter als ein Sammelbecken für Pseudointellektuelle.
Ausgerechnet die verklemmten Schwaben produzieren hochoffiziell an ihrer Oper ein Werk gegen die Vielfalt der Lebensentwürfe und Vielfalt der Denk- und Lebensweisen, der Philosophien. Sie glauben vielleicht, darüber ihren verklemmten Ruf als Klemmstadt (schaut mal das Cannstadter Zentrum, das Rathaus, den Breuninger- Kasten oder den Hautpbahnhof an!) los zu werden. Progressivität ist ja in S. angesagt, wenn man den Beton- Modernismus dieser Stadt und ihrer Betonkopf- Architekten sieht. Oder liege ich bei der Einschätzung der Mehrheit der Stuttgarter Philister- und Oberschicht (die ja nur in die Oper gehen) falsch? Stuttgarter Bürger, warum lasst ihr euch dies bieten?
😙👉 Nun ja, einzig was mich mit Blick auf diese/solche Oper dann doch mal interessiert hätte, ist die Frage, ob hier wohl die Anzahl der genutzten Operngläser angestiegen ist?🤔
Und warum hier 18 Menschen einen Zusammenbruch erlitten haben, verstehe ich nicht. Denn wie oben auf den Bildern zu sehen ist, haben die Schauspieler doch zumindest Schuhe an gehabt 😙
Wie langweilig, wie überaus gestrig. Mit so etwas konnte man in den Sechzigern reüssieren, aber doch nicht heute.
Schauderhaft ist auch „Kleiner Mann, was nun ?“ im Berliner Ensemble von Castorf. Nach 25 Minuten musste ich raus, sonst hätte ich im Strahl gekotzt. In 72 Lebensjahren, davon 50 in der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, habe ich noch nie derartigen Müll gesehen.
Der Ethnologe und Anthropologe Joseph D. Unwin musste schon 1938 konstatieren: „Je strenger die Sexualmoral, desto höher die Kultur, je liberaler die sexuellen Praktiken, desto niedriger das kulturelle Niveau.“ Die atemberaubende Geschwindigkeit des Niedergangs dieser Gesellschaft manifestiert sich gerade in solch‘ entarteter Rebellion, die keine Sittenpolizei verbietet, weil ihr Schutzschild die ‚Kunst‘ ist. Diese ‚Kunst‘ ist hochgradig pathologisch wie gefährlich, denn auch diese nur noch extremistisch zu nennende Perversion von Sexualität und Katholizismus wird auch keine anhaltende Befriedigung des Hasses der Macher und Mitmacher dieses Hetzwerkes auf das Christentum bewirken. Kommt als Steigerung dann die tätliche Aggression? Wird diese ‚Kunst‘… Mehr
Tiere machen so etwas nicht .
Real macht da eher eine Regisseurin minderen Niveaus ihr Geschäft des Lebens: Geld verdienen und berühmt werden über Denunziation anderer Denk-, Glaubens- und Kulturstile. Die Zuschauer kommen meist nur aus Gewohnheit (Abo), blinder Neugierde und Langeweile im vertrauten Vorstadtheim, der sie entfliehen wollen. Das Erleben von etwas Transzendentalem tritt aber so garantiert nicht ein. Letztlich geht es da um Betrug durch eine Akademikerin, die sich auskotzen möchte!
Man vergleiche einmal solche „Aufführungen“ und die Folter die Kommunisten Christen vor 60 Jahren im Ostblock in Gefängnissen antaten um diese zu brechen und zu leeren Hüllen zu machen. Um herauszufinden wie man Menschen komplett zerstört. Ich würde gerne sehr genau ausführen was die genau getan haben, aber das käme niemals durch die Zensur. SOLLTE es aber, damit jeder weiß womit man es zu tun hat. Absolute Barbarei und unmenschliche Bösartigkeit. Mittlerweile, und man halte mich für einen Spinner, halte ich gewisse Zusammenhänge damit, dass so etwas heute öffentlich aufgeführt wird (ist ja keine Einmaligkeit), nicht mehr für zufällig.
Zitat: „die Folter die Kommunisten Christen vor 60 Jahren im Ostblock in Gefängnissen antaten“
> Hier braucht man wohl nicht 60 Jahre zurückblicken und kann da auch gut und gerne auf das Heute gucken wenn ich hier z.Bsp. an die Berichte von ukrainische -egal ob weibliche oder männliche- Kriegsgefangene denke die in russischer Gefangenschaft waren.
Die Berichte sind einfach nur erschreckend und widerlich und haben nix, aber auch gar nix, mit Zivilisation und Menschlichkeit zu tun.
„Das Theater kann es also noch: Provokation.“
Tja, ich wünsche mir keine Provokation, sondern unterhaltsamen Tiefgang. Unterhaltung mit Tiefgang ist viel schwieriger, als zu provozieren.
Primitiv, plakativ, plump und zeitgemäß.
Es wird Zeit den Opern- und Schauspielhäusern alle Subventionen zu streichen.
Müssten die ihr Geld selbst verdienen, wäre so‘n „Spaß“ ratzfatz vorbei.