Auf einen jeden Tag folgt der Abend. Auf eine jede Nacht der Morgen. Auf Regen wieder Sonnenschein. Und ebenso sicher kann man sich auch darin sein, dass auf eine jede Saison in der Modewelt eine andere folgt, in der das französische Modehaus Céline eine neue Geschmacklosigkeit im Schuhdesign hochrülpst, die dann von allen Modemagazinen und zahlreichen Modebloggern im Stil von „Und täglich grüsst das Murmeltier“ hochgejubelt wird.
Zur Frühjahrs- und Sommerkollektion 2013 wurden die Models denn mit Birkenstocks auf den Laufsteg geschickt, deren Fussbette mit blauem, weissem und schwarzem Nerzfell versehen waren. Plötzlich waren es nicht mehr nur alte Herren in kurzen Hosen und Unterarmtäschchen, die die Gesundheitssandalen zusammen mit Socken zu jedem Anlass getragen haben. Nein, ab 2013 sind Birkenstocks MODE! Ab dieser Kollektion erlebte Birkenstock einen bisher nicht da gewesenen Boom.
„Der Umsatz wächst im „dramatisch zweistelligen Bereich“, in den USA hat er sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Die Marke, immerhin 240 Jahre alt, war schon ein paar Mal „in“, aber jetzt erlebt sie das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte. Und das Beste ist: Birkenstock musste selbst nichts dafür tun.“
Stöckchen ziehen für den nächsten schrägsten Trend?
Die Vermutung liegt nahe, dass zu Ende Dezember eines jeden Jahres alle namhaften Modedesigner in einem verqualmten fensterlosen Hinterzimmer einer Kaschemme im Pariser Stadtteil Marais zusammenkommen und per Stöckchenziehen darüber entscheiden, wer im nächsten Jahr mit dem hässlichsten Design um die Ecke kommen darf. Ein besonderes Geschick dabei immer den kürzesten zu ziehen, hat offensichtlich Phoebe Philo von Céline.
In 2013 waren es fellbesetzte Birkenstocks und High Heels, die ausgesehen haben, als hätte man ein Hermelinchen aufgeschlitzt, ausgeweidet und an der Stelle einen Blockabsatz druntergeklöppelt, wo sich vorher der Kopf befunden hat. Hautfarbene Lederheels, an deren Spitze stilistisch die Zehen herausgearbeitet – und mit rotem Nagellack versehen wurden. Man hat gar nicht soviele Hände, wie man am liebsten über dem Kopf zusammenschlagen möchte.
Die Ästhetik hat einen Namen – er lautet nicht Céline
Den weiblichen Fuß völlig verunstaltende Formen und Materialen folgten dann, ebenfalls in 2013 zur Herbst-/Winterkollektion. Langgezogene Sohlen unter kariert gemusterten Stoffen, die an international beliebte Reisekoffer erinnern. Und das, wo Frauen doch ansonsten nicht nur beim Gewicht, sondern auch gerne bei der Schuhgröße zwei Größen runterschummeln. Nun machen sie freiwillig aus einer Größe 39 eine optische/gefühlte 43 Supermarke. C’est magnifique!
In 2015 schließlich sind wir bei Tretern angelangt, die jede Palette des guten Geschmacks sprengen. Kennen Sie diese Plastiküberzieher, die man im OP- oder Intensivstation-Bereich eines Krankenhauses über die eigenen Strassenschuhe ziehen muss, um keine Keime in die sterile Umgebung zu tragen? Und zu dem Plastiküberzieher aus weißem oder violettem Satin gibt es abermals einen klobigen Absatz – aber um den Schocker komplett zu machen, gibt es das Modell auch noch mal mit einer kleinen goldenen Kuhglocke. Da bleibt echt kein Auge trocken.
Die Welt der Mode steht Kopf
Was daran wirklich fasziniert, ist die Tatsache, dass Moderedakteure jede noch so abstruse Unförmigkeit der Schuhe von Céline bejubeln, als gäbe es kein morgen. Was aber noch weit darüber hinaus fasziniert, ist, mit welcher Bereitschaft jeder noch so schräge neue Trend von den Fashionistas nachgekauft und in den sozialen Medien als „schön“ präsentiert wird.
Gegenseitig loben sich die Nutzerinnen auf Instagram mit „Gefällt mir“ Klicks – oder kaufen diese auch gerne zahlreich eilig für ihre eigenen Postings ein, weil bei mangelnder Popularität des Useraccounts die Likes ansonsten gerne auch mal bei allzu schrägem Objekt ausbleiben. Irgendwie muss man den neuesten Shit ja vor sich selbst und anderen rechtfertigen.
Die ZEIT beschreibt das gerne so:
„Der neue Birkenstock-Hype ist Ausdruck eines Modeverständnisses, das sich um der Eleganz Willen nicht verbiegen will. Die Céline-Frau trägt ihre Poolside-Sandale zu weiten Satinhosen, schmalen Anzügen oder Pelzjacken. Dabei ist sie ungeschminkt und ziemlich entspannt. Sie hat keine Zeit für aufwendiges Styling und keine Lust, sich in High Heels die Füße zu ruinieren. Lieber schlüpft sie in ihre Schlappen – und widmet sich wichtigeren Dingen.“
Also wie einem Aufsehen erregenden Einkauf bei Lidl.
Fassen wir das mal zusammen: Die pelzbesetzten dekadenten Schlappen sind für Frauen, die sich selbst in den Mittelpunkt stellen und die entweder den Reproduktionszyklus bereits abgeschlossen haben, sich auf der Schlittenfahrt Richtung Menopause befinden oder generell nichts auf das Thema Dating oder Fortpflanzung geben. Jedenfalls sind das keine Schuhe, mit denen man das andere Geschlecht beeindruckt, sondern es höchstens in schallendes Gelächter stürzt und zum Wettlauf in die entgegengesetzte Richtung treibt.
Nein, ernsthaft: die Schuhe von Céline sind wirklich nur dazu angetan, einer anderen Frau zu bedeuten: 1) „Ich war in der Lage mir etwas von Céline zu leisten“, 2) „Ich war in einer Céline-Boutique“ – oder 3) „Ich kaufe einfach blind alles, wo Céline drauf steht“ – was jeden Tag die Menschen in der Marketingabteilung von Céline den einen oder anderen Höhepunkt bescheren dürfte.
Je abstruser das Design, desto höher der Preis – oder nicht?
Nicht nur, dass Preise im Laden um die 600 Euro pro Paar aufwärts alles andere als eine Seltenheit sind oder ein Problem für die Céline-Kundin darstellt, für bestimmte gefragte und schräge Modelle sind besondere „Connaisseure“ absolut bereit, völlig horrende Summen auf Online-Handelsplattformen zu zahlen. Überzeugen Sie sich selbst:
Als Freund des freien Marktes, der Angebot und Nachfrage über Preisfindung regelt, ist das absolut großartig. Jemand sucht etwas händeringend, kann kaum noch ruhig schlafen, bis das Objekt der Begierde endlich gefunden ist. Ein anderer hat dieses Produkt, kann die seltene Nachfrage bedienen und bietet es aufgrund Nachfrage/Verknappung zum zigfachen des Neupreises an. Aber wer will (und kann) wird auch diesen Preis nur allzu gerne zahlen und damit seine Exzentrik gepflegt und auffallend zum Ausdruck bringen.
„Damen“schuhe von Céline sind und bleiben für mein Empfinden ein schräger Witz im Hochpreissegment. Verkleidet als französische Hipness, entmantelt als zu kurz gezogenes Stöckchen einer ansonsten überaus talentierten Phoebe Philo.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein