ZEIT: Das ideologische Vermächtnis

Mehr als offensichtlich wurden in einer ZEIT-Studie nicht Hypothesen objektiv geprüft, sondern gezielt untermauert. Das ist, was die Studienleiterin Jutta Allmendinger betrifft, unwissenschaftlich, und, was die ZEIT betriff, unseriös. Was unsere Kultur betrifft, desaströs. Der bürgerliche Wert der Wahrhaftigkeit ist in Auflösung begriffen.

Nachdem ich nun bereits seit gut einem Viertel Jahrhundert Abonnent der ZEIT bin – schon seit meinen Studientagen –, lasse ich eigentlich wirklich sehr ungern etwas auf das altehrwürdige Wochenblatt kommen. In jüngster Zeit geht aber nach meinem Empfinden eine der ganz großen Tugenden dieser Redaktion langsam aber sicher den Bach runter:

Die Ausgewogenheit. Die in der Nachrichtenbranche schon immer rare Fähigkeit, beide oder gar mehrere Seiten gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. Und die Bereitschaft, eine einmal angezettelte Diskussion mit Rede und Widerrede über mehrere Ausgaben zu gestatten. Dieses wertvolle Prinzip schwindet nun auch in der ZEIT.

Rechtfertigung der vorgefertigten Weltanschauung

Aktuell hat die ZEIT eine Serie gestartet zu einer selbst initiierten Studie mit dem hochtrabenden Titel „Das Vermächtnis – Die Welt, die wir erleben wollen“. Nicht mehr und nicht weniger als die „Zukunft der Deutschen“ will man vorhersagen. Die in den Schlagzeilen mitschwingende Hybris macht stutzig. Zurecht. Bereits nach wenigen Zeilen entpuppt sich die selbst hochgejubelte „große Studie“ als Rechtfertigung der vorgefertigten Weltanschauung einer parteipolitisch engagierten Soziologin. Jutta Allmendinger, Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

Die Deutschen brechen mit alten Werten, war die vorgefertigte Überschrift. Die klassische anti-konservative Hypothese: die althergebrachten bürgerlichen Tugenden bergen keine Zukunftsfähigkeit – in diesem Zusammenhang hat sich Allmendinger zum Beispiel auch schon als Streiterin für die Abschaffung der Schulhausaufgaben profiliert, weil Eltern, die sich um ihre Kindern kümmern, „zementieren soziale Ungleichheit“.

Nun ging es aber um erheblich mehr. Mit Hilfe der ZEIT präsentiert Allmendinger ihre Vorstellungen der zukunftsträchtigen politischen und gesellschaftlichen Weichenstellungen. Die Methode ist denkbar einfach: Interviewer-Bias. Der Befragende legt dem Befragten schon mit der Frage die Antwort in den Mund.

Ein Beispiel wie Allmendinger darauf kommt, dass „eine einstmals starke Norm in Auflösung begriffen ist“: Die 3.104 repräsentativ ausgewählten Studien-Teilnehmer wurden in folgender Reihenfolge gefragt:

  • „Ist es aus Ihrer Sicht wichtig, eine gescheiterte Partnerschaft der Kinder wegen aufrechtzuerhalten?“
  • „Würden Sie künftigen Generationen empfehlen, eine gescheiterte Partnerschaft der Kinder wegen aufrechtzuerhalten?“
  • „Denken Sie, dass künftige Generationen tatsächlich Partnerschaften der Kinder wegen aufrechterhalten werden?“

Das Ergebnis war eine geringe und über die drei Fragen abnehmende Zustimmung, dass man allein der Kinder wegen zusammenbleiben soll. Der daraus gezogenen Schluss: Der konservative Wert des Familienzusammenhalts schwindet und wird auch nicht als zukunftsträchtig erachtet.

Mit Fragen manipulieren

Ein Schluss, den man, wie gesagt, schon vorgefertigt hatte. Das manipulative Schlüsselwort in den beiden ersten Fragen ist „gescheitert“. Scheitern ist etwas Endgültiges. Wenn etwas gescheitert ist, sind alle weiteren Anstrengungen vergebliche Liebesmüh. Ob mit oder ohne Kinder ist es vollkommen unlogisch, einer gescheiterten Beziehung noch eine Fortsetzung zu empfehlen, denn dann würde man sie ja noch nicht als gescheitert erachten. Die beiden ersten Fragen provozierten also geradezu sowohl logisch als auch suggestiv ein Nein.

Hätte man gefragt, ob es wert ist, sich für eine kriselnde Partnerschaft der Kinder wegen einzusetzen. Oder hätte man gefragt, ob die Fähigkeit, sich durch partnerschaftliche Krisen auch einmal durchzubeißen, für die gemeinsamen Kinder nicht einen Wert hat. Oder hätte man ganz neutral gefragt, ob es wichtig ist, eine Partnerschaft der Kinder wegen aufrechtzuerhalten. In allen Fällen wäre man ganz gewiss zu vollkommen anderen Ergebnissen gekommen.

In der dritten Frage schwingt dann ungeschrieben das „gescheitert“ mit und es wird mit dem „tatsächlich“ unterstellt, dass man da doch vernünftigerweise nicht zustimmen kann. Ich sehe nachgerade den skeptischen Blick des Interviewers vor mir, sollte sich ein Befragter anschicken, mit Ja zu antworten. Das können Sie doch nicht tatsächlich meinen, oder?

Eine andere angewandte Variante der Meinungsmache steckt in möglichst metaphorischen Fragen, die beinahe beliebige Interpretationen zulassen. So etwa bei Einordnung in einem stilisierten Fischschwarm. Der Befragte muss entscheiden, als welchen Fisch er sich aus beruflicher Perspektive sieht. Zur Auswahl stehen Fische im breiten Mittelfeld, eine Führungsgruppe des Mittelfelds, ein abgesetzter Spitzenfisch, ein nach unten abgesetzter Führungsfisch und einem, der führt, aber gegen den Strom schwimmt, und schließlich eine Nachzüglergruppe mit einem Schlusslicht.

Wenig verwunderlich hat sich mehr als die Hälfte der Befragten in den führenden Teil des Schwarms eingeordnet – wer erklärt sich schon offen selbst zum Mittelmaß oder noch hinterherhängender. Die gewagte Schlussfolgerung von Allmendinger daraus ist, dass heute die Pflicht als Motiv ausgedient hat. Wenn weiter ausgeführt wird, dass Arbeit heute mehr als Broterwerb und vielmehr Bestandteil eines gelungenen Lebens ist, will man ja gar nicht widersprechen. Aber daraus lässt sich die moralische Bedeutung von Pflicht nicht ableiten. Die Frage danach war in der Metapher gar nicht angelegt.

Trick Perspektivenwechsel

Ein weiterer Trick: der Perspektivenwechsel. Da wird zum Beispiel erst gefragt, wie sehr für einen die Aussage gilt, dass es wichtig ist, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Dann, wie sehr man nachfolgenden Generationen empfehlen würde, einen sicheren Arbeitsplatz anzustreben. Der Syntax der anderen Fragen folgend (Wie ist es? – Wie sollte es sein? – Wie wird es sein?) müsste darauf die dritte Frage lauten: Denken Sie, dass nachfolgende Generationen tatsächlich einen sicheren Arbeitsplatz anstreben werden? Vermutlich wäre dann bei allen drei Fragen eine ungefähr gleich hohe Zustimmung: ein Zeichen von Stabilität.

Tatsächlich gefragt wurde aber an dritter Stelle nach Kaffeesatzleserei: „Denken Sie, dass die Menschen in der Zukunft tatsächlich sichere Arbeitsplätze haben werden.“ Da gab es dann weniger Zustimmung und es konnten wieder einmal sich auflösende Wertvorstellungen konstatiert werden.

Eine vierte Strategie ist – ein letztes Beispiel –, wenn nach etwas wertfrei gefragt wird und das dann selbst als Wert definiert wird. So bei der Frage „Wie wichtig ist es Ihnen persönlich, sozial aufzusteigen?“. Einschließlich der Folgefragen, wie wichtig das allgemein einem Menschen sein sollte und in Zukunft sein wird. Die über alle drei Fragen (natürlich erwartungsgemäß) gleich hohe Zustimmung wird von Allmendinger wie folgt interpretiert: „Der soziale Aufstieg wird über alle Schichten und Altersgruppen als großer Wert empfunden.“

Ziele sind keine Werte

Der „soziale Aufstieg“ kann aber nie ein Wert sein. Werte sind erstrebenswerte Eigenschaften, nicht Ziele. Werte sind die Prämissen des Handelns, nicht die Ergebnisse. Werte eines sozialen Aufstieges könnten Leistungsbereitschaft sein oder Bildungsstreben (oder Pflichtbewusstsein). Man muss danach fragen, was die Menschen bereit sind, für den sozialen Aufstieg einzubringen, um seinen Wert zu ermitteln. Die tatsächliche Intention dieser Frage offenbart Allmendinger, wenn sie schlussfolgert: „Tatsächlich gibt es in Deutschland eine Art sozialdemokratisches Grundbedürfnis.“

Mehr als offensichtlich wurden in dieser Studie nicht Hypothesen objektiv geprüft, sondern gezielt untermauert. Das ist, was die Studienleiterin Jutta Allmendinger betrifft, unwissenschaftlich, und, was die ZEIT betriff, unseriös. Was unsere Kultur betrifft, desaströs. Der bürgerliche Wert der Wahrhaftigkeit ist im linken Mainstream in Auflösung begriffen.

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