Neue ZDF-Krimi-Serie in Sylt: mehr Haltung als Unterhaltung

Bei den Krimi-Machern des ZDF gilt offenbar die Maxime: Ist der Ort auch noch so klein und fein, er kann doch eine Frauen-Mörderhöhle sein!

Screenshot ZDF

Im Polizeipräsidium des grade mal 63.000 Seelen umfassenden Rosenheim wird nach 21 Staffeln und über 500 Folgen die Meldung „es gabert a Leich‘ “ von der trefflichen Sekretärin Miriam Stockl (Marisa Burger, „Rosenheim-Cops“) an die diensthabenden Kommissare mit einem Augenzwinkern weitergegeben. Hier geht es nicht um die Darstellung der Polizeistatistik des südlichen Oberbayern (2021: 43 Tötungen; Quelle polizeiliche Kriminalstatistik), sondern darum, wöchentlich „charmante, eigenwillige Ermittler“ (ZDF) in malerischer Umgebung zu erleben.

Dieses Rezept lag sicherlich auch der Idee zu Grunde, das noch kleinere Sylt (ca. 15.000 Bewohner) zum Schauplatz einer Krimiserie zu machen. Aber wo sich die Autoren der in Oberbayern angesiedelten Serie angenehm zurückhalten, den erhobenen Zeigefinger stecken lassen, hält die Regie (Ole Zapatka) an der Nordsee diesmal bei Szenen, aus denen die toxische Männlichkeit nur so zu tropfen scheint, länger als nötig drauf. Untrügliches Anzeichen dafür, dass hier mehr Haltung als Unterhaltung drinsteckt. Aber bei den Höhen der bisherigen Einschaltquote (bis 10 Mio) ist man wohl der Auffassung, sich noch ein paar vergrätzte Zuseher weniger leisten zu können.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Inmitten von Dünengras und Sandhügeln entspinnt sich der neueste Fall der Kommissare Carl Sievers (Peter Heinrich Brix, bekannt als trotteliger HK Geiger in „Pfarrer Braun“ mit Otfried Fischer in der Hauptrolle), Ina Behrendsen (Julia Brendler) und Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk) mit einem Leichenfund am Strand: die junge Escort-Dame Madeleine Elster (Helen Nordholt) wurde in einem Koffer angespült. Fremdverschuldet, so scheint es, auch die Todesursache: Die Frau ertrank nicht in der Nordsee, sondern in Badewasser, Spuren von Gewalteinwirkung werden festgestellt. Die Ermittlungen drehen sich nun um die Zuhälterin (Neudeutsch: Agentin) Laura Novak (Tatiana Nekrasov) der Prostituierten, die von einem idyllisch gelegenen Sylter Privathaus aus ihre Geschäfte mit den Freiern abschließt. Ein prominenter Kunde ist schnell identifiziert, denn er war bereits in einem ähnlichen Fall verdächtig: Philipp Vandamm (Henning Baum). Der residiert samt vorbestraftem Butler Leonard (Sascha Weingarten) in einer riesigen Sylter Villa, schmettert in seinem Sportraum gerne im Akkord Medizinbälle auf die Matte und zeigt sich den Kommissaren erstmal nur über eine Hausvideoanlage, einsilbig: „Fragen können Sie mich, aber antworten muss ich nicht“.

Vandamms (Ähnlichkeiten mit dem belgischen Actionfilmhelden gleichen Namens waren wohl nicht beabsichtigt) Geschäftsmodell ist es, Midlife-Krisen-geschädigte Männer in mehrtägigen Seminaren für 1.500 Euro pro Sitzung neu aufzubauen. Er gibt ihnen schnörkellose Beziehungsberatung, redet ihnen ein, – von ihren Frauen – unterdrückt zu werden und sich von diesem Joch durch die Entdeckung und Freisetzung des „nackten Mannes“ tief in ihrem Inneren befreien zu können.

Unübersehbar, in welches Horn das ZDF und Autor Thomas O. Walendy hier stoßen wollen; 2021 hatte die ARD im Tatort „Borowski und die Angst der Weißen Männer“ dasselbe Muster zum Tag der Frau bedient. Damals spielte Arndt Klawitter den Männer-Guru Hank Massmann mit frauenfeindlichen Sprüchen für gehemmte Jammerlappen unter spitzen Stiefeletten.

Katz und Maus
Tatort Dresden: Maus sucht Rattenfänger im Elbflorenz
Nun darf man den smarten Bodybuilder Vandamm dabei beobachten, wie er sein eigenes und das Ego einer Truppe von bebrillten, bierbäuchigen „best agern“ mit Sprüchen wie „entdeckt den nackten Mann in Euch … klar und rein wie Quellwasser … fest wie Felsgestein …“ aufzupeppen versucht. Wie er sich vor seinen rockigen Auftritten wie ein großer Käfer vor dem Abflug aufpumpt. Sein Publikum begeistert Röhrer mit Sprüchen wie „atmet ein, spürt, wie die Luft in Eure Lungen einströmt … und von dort die Energie in eure Muskulatur fließt und sie mit Stärke erfüllt …“. Seine erste Lektion: „… wie nehme ich mir, was mir wirklich zusteht, und wie wandle ich das Nein meines Gegenübers in ein Ja um? Ich weiß, der nackte Mann ist in Euch drin, ihr wisst es doch selbst, befreit ihn von den falschen Verpflichtungen und Fesseln, ihr könnt fliegen, habt den Mut zu fliegen …“.

So einen Quatsch kann die energische Hauptkommisarin Behrendsen nicht aushalten. Der in seiner WG des Herzens mit ihr arg geforderte Hinnerk Feldmann entwickelt hingegen heimliche Sympathien für diese Männerpropaganda. Die ihm von Ina zugemutete Reparatur des Geschirrspülers, so leuchtet es ihm nun ein, ist nichts als ein zusätzlich aufgebürdetes „Extra“, das ihm die holde Weiblichkeit zumutet. Einfach mal „Nein“ zu sagen, fällt ihm, der ständig hinfällt, wenn er sich in seine Hose müht, jedoch schwer. Außer korrektem „gendern“ muss der zu einem Gegenentwurf Vandamms aufgebaute Kommissar auch noch lernen, dass eine am Empfang eines Hotels postierte Dame eben nicht nur Empfangsdame sein muss, sondern auch mal ein ganzes Hotel managt. (Sidney Gersina als Hotelmanagerin).

20-jähriges Jubiläum des Tatorts aus Münster:
Tatort – Ein Hochamt alter weißer Reaktion?
Die Ermittlungen kreisen um die Festlegung des Tatorts. Nachtportier Jonas Minthe (Georg Teschke) bezeugt, dass Butler Leonard das Opfer wohlbehalten von einem Rendezvous mit seinem Chef zurück ins Hotel gebracht hat. Allerdings muss er zugeben (ebenfalls ein Anhänger des Kults um den nackten Mann), dass er sich geirrt hat, und dass er auch gerne mal die Hand auf und ein Auge zu hält. Die von ihm bei der nächtlichen Rückkehr ins Hotel beobachtete Frau war nicht das spätere Opfer, mithin ihr Zimmer auch nicht der Tatort.

Kommissar Sievers läuft derweil über den Hindenburgdamm und flucht vor sich hin. Nicht, weil das Bauwerk aus dem Jahre 1927, das Sylt mit dem Festland verbindet, umbenannt werden soll, sondern weil er glaubt, die Stimme der Ermordeten Madeleine zu hören. Selber Schuld – er musste ja auch unbedingt auf dem Friedhof, wo ein mysteriöses Grab den Namen der Ermordeten trägt, ermitteln und auf düsteren alten Dachböden ehemaliger Kinderheime herumstöbern. Zum Glück kann er sich Rat von der Therapeutin seines Vertrauens, Tabea Krawinkel (Victoria Trauttmansdorff) holen, die in Reichweite wohnt.

Same, same but different
Tatort "Schattenleben": Gewohnte Publikumsserziehung nun mit Quote
Feldmann wird von Ina mit einem Trick dazu gebracht, sich mit Rüdiger Vogt (Marek Erhardt), einem Jünger des großen Motivators, hemmungslos mit Rum zu besaufen und ihn dabei auszuhorchen. Der aus Titisee Neustadt kommende Maulheld bekennt stolz, nun „keine Marionette mehr, sondern ein Vandammer“ zu sein. Obwohl er nun über die Kräfte des „nackten Mannes“ verfügt, überschätzt er aber die eigene Trinkfestigkeit, wird bäuchlings im Sylter Sand liegend verhaftet und gibt schließlich zu, im Hotelzimmer von Elaine deren verkleidete Zuhälterin Laura Novak angetroffen zu haben. Von da bis zu der Erkenntnis, das das Escort-girl die Villa Vandamms nie lebend verlassen hat, ist es nicht weit. Er hatte Sie gebucht und sie hat dann – wie langweilig – ihm erst vorgelesen und ihn anschließend per KO-Tropfen aus dem Verkehr gezogen. Und obwohl sie danach in seiner Badewanne starb, unter Wasser gedrückt hat er sie nicht. Ihre Ziehmutter und Agentin hat ihren aufmüpfigen Zögling dort zum Schweigen gebracht und mit Vandamms Assistent Leonard anschließend versucht, die Spuren in der Nordsee zu verwischen.

Dass die Sylter Kriminalpolizei die Verdächtige aber nur zu einem Geständnis bewegen kann, indem sie bei ihr zu Hause einbricht und Kollegin Behrendsen dort als tote Madeleine verkleidet spuken lässt, dürfte einem gewieften Anwalt reichlich Ansatzpunkte liefern, den Prozess zu Gunsten seiner Mandantin zu drehen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 19 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

19 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Nil Jang
1 Jahr her

Die „regionalbezogenen“ ÖR-Krimis sind ja mittlerweile Legion: Egal ob Friesland oder Usedom, das Erzgebirge oder Jena, der Spreewald oder Düsseldorf – Mord und Totschlag überall und ohne Ende. Dass da hin und wieder auch der „Wokismus“ ins Drehbuch eingreift, ist erwartbar. Löbliche Ausnahme wäre evtl. „Harter Brocken“ aus dem Harz. Die Sylt-Krimis sind nicht „neu“, wie die Überschrift suggeriert. Bemerkenswert, dass sich die Autor daran so ausführlich abarbeiten kann. Der mehr als merkwürdige „Tatort“ am Tag zuvor wäre sicher ein lohnenswerteres Projekt gewesen…

Kontra
1 Jahr her

Etwa nur 1/3 der Folgen wird auf Sylt gedreht, der Rest in Kulissen auf dem Festland. Selbst da mauschelt der ÖR vor sich hin. Von den abstrusen Handlungen mal ganz zu schweigen.

Sonny
1 Jahr her

Danke für die Zusammenfassung.
Dieser ganze Quatsch paßt doch ganz hervorragend zu der Klientel, die so etwas überhaupt noch einschaltet. Was wahrscheinlich humorig sein soll, verkehrt sich ins Gegenteil. Aber da würde ich vom öffentlich-rechtlichen Braun- (rot-grün-Mischung) und Erziehungsfunk auch nichts anderes erwarten.
Wie wäre denn mal ein Film darüber, dass sich Menschen, insbesondere Frauen, wenn es dunkel wird, nicht mehr auf die Straßen trauen, weil sie Angst vor (Massen-) Vergewaltigung, Messerstechereien usw. haben?

Last edited 1 Jahr her by Sonny
luxlimbus
1 Jahr her

Was mich immer wieder am woken TATORT unserer Tage fasziniert, ist die geradezu frech anmutende Vorstellung, dass der Zuschauer sich für die Protagonisten zu interessieren, und diesen gegenüber Empathie zu entwickeln, habe. – Es wird aber filmisch, inhaltlich rein gar nichts hierfür unternommen!
Könnte es sein, dass hier eine Generation am Werk ist, die es nie nötig hatte den Ansprüchen der Vorgänger zu genügen?!

Alf
1 Jahr her

Man ist es ja gewohnt, daß der Tatort in Masse produziert wird. Das Volk muß schließlich billig unterhalten werden. Esoterischer Unfug mit seltsamer Handlung. 5 von 10 Tatorten sind Murks.
Auch dieser Tatort hatte keine Handlung. Nur wirres Zeug.
Ein Nachtportier, der seine Generalschlüssel verleiht, Ermittler, die Badesalze schnüffeln, Kursteilnehmer in Extase, abartige Trinkfestigkeit…. hier wurde jeder Schmarrn bedient.
Scheinbar genügt nicht der tägliche Tatort in den Medien. Dort zeigen uns unfähige Poitdarsteller, was sie so veranstalten.
Nein, diese „Unterhaltung“ braucht niemand.

Iso
1 Jahr her

„Nord, Nord, Mord“ klingt schon so banal, dass man von selbst drauf kommt und das Prädikat „nicht sehenswert“ vergibt.

s.Braun
1 Jahr her
Antworten an  Iso

Ich schaue mir die Serie „Nord-Nord-West“ an, spielt and der Ostsee -Küste von SH und kommt ohne Genderquatsch und ohne Mirgrantenbonus aus .

Suedbuerger
1 Jahr her

Man mag es uns nachsehen: Am gestrigen Abend haben wir im MDR den Film „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ von 1965 mit großem Vergnügen angeschaut. Tolle Schauspieler in einer gekonnt gemachten unterhaltsamen Inszenierung. Welch ein Unterschied zu den immer verpeilter anmutenden (Krimi-) Produktionen von ARD und ZDF der Neuzeit. Hier eine Ansammlung von Klischees, in denen sich die Männer selbstironisch hochnehmen (z.B. Gert Fröbe in einer Paraderolle) und Frauen, die unempört charmante Annäherungsversuche über sich ergehen lassen bzw. diese sogar genießen. Dort verpeilte bis hochgradig gestörte Psychopaten, die mit viel Geschwurbel Kriminalfälle lösen. Angereichert durch humorbefreite Damen, die… Mehr

89-erlebt
1 Jahr her

Wer bitte sieht sich noch solchen Müll an ?
Dann besser DDR „Polizeiruf 110“ von vor 1989.

luxlimbus
1 Jahr her
Antworten an  89-erlebt

…oder DER ALTE (z.B.: 01_13 „Ein unkomplizierter Fall“; Regie – Dietrich Haugk; Autor – Leopold Ahlsen; Kamera – Josef Vilsmeier).

ketzerlehrling
1 Jahr her

Deswegen und wegen der unnatürlichen und übertriebenen Verhaltensweisen der Schauspieler in deutschen Produktionen meide ich diese seit Jahrzehnten. Einmal die permanente Schreierei, das „Durchsetzen“, heisst permanentes Drohen und lächerliches Autoritätsgehabe, Eigenschaften wie Mut und sog. Action, all das ist nicht echt und trifft auf viele gar nicht zu.

Der Mustermann
1 Jahr her
Antworten an  ketzerlehrling

Und jetzt kommt auch noch ein Film in die Kinos, in dem ein kleiner Junge ein Mädchen sein will und im gelben Kleid in die Schule geht.
Gott schütze mich vor Sturm und Wind – und vor Filmen, die aus Deutschland sind…

grenzenlos
1 Jahr her

Langweile pur! Wie fast immer im deutschen Fernsehen.
Und auch wie immer: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt und schaltet ab.