Floskelbewölkt mit sonnigen Aufheiterungen

Der MDR bittet zur Wahlarena. Sieben Spitzenkandidaten, ein Dutzend Zuschauerfragen, 90 Minuten Sendezeit, pro Frage maximal eine Minute Antwortzeit. Kann das funktionieren? Die Antwort: naja, so halbwegs. Von Michael Plog

Screenprint: MDR / Fakt ist – Wahlarena Thüringen

Das Korsett, das sich der Mitteldeutsche Rundfunk selbst geschnürt hat, ist eng, sehr eng. Alle Spitzenpolitiker des Wahlkampfs von Thüringen stehen auf der Bühne, sieben an der Zahl. Jede Menge außen- und innenpolitische Themen stehen auf dem Zettel, und dann kommen ja noch die ganzen landespolitischen Themen. Das alles in einer Anderthalbstundensendung? Wie soll das klappen?

Der Beginn der Talkshow lässt dann auch nichts Gutes ahnen. Die beiden Moderatoren Lars Sänger und Andreas Menzel unterbrechen ihre Gäste anfangs etwas zu oft und etwas zu derb, treten zu dominant auf. Sie wirken wie Opfer des eigenen Sendeplans. Doch, zum Glück: Das groovt sich über die 90 Minuten etwas ein.

Eingeladen sind die Spitzenvertreter aller Parteien. ALLER Parteien, also auch Björn Höcke von der AfD. Das muss ja in Zeiten der intellektuellen Brandmauer des öfffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber der AfD leider schon betont werden.

Bodo Ramelow von der ehemaligen SED, jetzt: Die Linke, ist dabei, und Mario Voigt, der Mettwurstbrötchenmann der CDU. Außerdem Georg Maier von der SPD, Katja Wolf vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), Madeleine Henfling vom Bündnis90/Die Grünen und schließlich Thomas Kemmerich von der FDP, der Blumenstrauß-Mann, der schon einmal sehr kurz Landesvater in Thüringen war. Bis Merkel kam und seine Wahl wiederholen ließ.

Jeder der Politiker hat nur eine Minute Zeit, um eine an ihn gerichtete Zuschauerfrage zu beantworten. Das ist nicht viel. Und doch genug, auf dass sich einige der Polithelden nicht mäßigen können. Sie labern die 60 Sekunden mit Floskeln voll und wundern sich am Ende, dass die Zeit schon rum ist. Kürze und Würze haben sie im Rhetorik-Training damals offenbar verschlafen.

Wenn ein Politiker ausnahmsweise einmal überraschend kurz antwortet, ist plötzlich „noch Zeit da“ und der Moderator etwas hilflos, sobald aber mal um ein paar Sekunden überzogen wird, wird sofort um Kürze gebeten.

Eine besonders traurige Figur macht Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow. Er bringt es fertig, auf zwei konkrete Fragen derart ausweichend und absurd zu antworten, dass es wohl nur der Regie zu verdanken ist, dass keine Ahs und Ohs und Buhrufe zu vernehmen sind.

Fall 1:
Zuschauer Jürgen Hartmann aus Wickerstedt beklagt, dass bestimmte Dinge in der Integration ja wohl aus dem Ufer gelaufen seien. „Was soll denn das noch werden, wenn wir die Integration und Migration nicht in den Griff bekommen?“, fragt er und erinnert Ramelow an den Spruch, mit dem er einst die eintreffenden Migranten begrüßte: „Heute ist der schönste Tag meines Lebens“. „Wie denken Sie denn heute über diesen Satz?“, will Hartmann wissen. Und Ramelow? Der sagt allen Ernstes, der Satz sei gar nicht so gemeint gewesen. Er habe damals nur einen Rollstuhlfahrer gemeint, der über die Köpfe der anderen hinaus als erster aus einem Flüchtlingszug hinausgehoben wurde. Ganz schön billige Antwort. Aber das Beste: Zuschauer Hartmann ist auch noch zufrieden damit! „Dann ist das für mich erledigt.“

Fall 2:
Thema Corona. Zuschauer Zoltan Szvidersky spricht die angebliche „Pandemie der Ungeimpften“ an und zitiert Bodo Ramelow, der 2021 pauschal alle Ungeimpften aus dem öffentlichen Leben ausgrenzte. Und Ramelow? Redet sich erneut auf billigste Weise heraus: Das habe er gar nicht so gemeint, behauptet er. „Geredet habe ich über ein Kleeblatt-Verteilsystem“, sagt Ramelow und betet sofort die alte Leier von angeblichen Kapazitätsengpässen im Gesundheitssystem herunter (die es, wie wir längst wissen, nie gab). Hier hätte man sich etwas mehr Faktensicherheit der Moderatoren gewünscht. Aber nein, Ramelow kommt damit vom Hof.

Szvidersky hat zuvor noch einen weiteren Punkt gemacht: „Wir sehen mal wieder ganz klar: Die Politiker lügen einfach. Der Voigt schiebt dem Höcke hier gerade eine Aussage in den Mund, die er gar nicht getan hat.“ Interessant, dass diese deutliche Kritik von den MDR-Moderatoren nicht sofort unterbunden wird. Ein Lichtblick?

Anlass für das Statement des Zuschauers war ein Satz des CDU-Mannes Voigt, der Höcke unterstellte, er würde der Wirtschaft explizit besonders harte Zeiten wünschen. „Das ist völlig absurd!“, hatte Höcke geantwortet, aber wegen des engen Sendekonzepts keine weitere Möglichkeit gehabt, direkt auf die Anwürfe zu reagieren.

Bis zur Kenntlichkeit entstellt sich an diesem Abend aber vor allem die Vertreterin der Grünen, Madeleine Henfling. Von der Zuschauerin Anne Porst befragt, wie denn die Grünen mit rund 30 Prozent AfD-Wählern umgehen würden, sagt sie: „Es gibt keine Brandmauer gegen die Wähler der AfD, aber gegen die AfD in Thüringen.“ Dann leiert sie altbekannte Floskeln herunter. Die AfD sei gesichert rechtsextrem, man müsse die „Demokratie wehrhaft erhalten“ und vor allem „klare Kante gegen die extreme Rechte“ zeigen. Selten so herzhaft gegähnt.

Die besagte Zuschauerin hat zuvor einen Haken geschlagen, der den Moderatoren offenbar einen Deut zu heftig war. Anne Porst, die nach eigener Aussage selbst viele Jahr lang in führenden Positionen tätig war, bemängelt: Es gebe bei Politikern immer weniger Qualifikation. Deshalb sei es „kein Wunder, wenn 30 Prozent die AfD wählen. Das ist kein Pappenstiel. Diese Menschen haben das Recht, politisch vertreten zu werden.“ Die Moderatoren bitten sofort um Mäßigung. Die Zeit, die Zeit! Sie rennt, sie verrinnt, Sie verstehen schon …

Was sonst noch geschah:

Björn Höcke will „das Kinderkriegen in Thüringen nicht mehr an Geld scheitern“ lassen. Er will „hunderte Millionen für Migration“ und „die Klimakosten streichen“, um stattdessen junge Familien finanziell zu unterstützen.

Madeleine Henfling will landesweit den „Thüringen-Takt“, jede Stunde ein Bus, weiß aber nicht, wie das gehen und was das kosten wird. Moderator Andreas Menzel fragt trotzdem nach, aber sie sagt: „Dazu gibt es keine Zahlen.“ Menzel kontert trocken: „Ich dachte nur, Sie hätten vielleicht darüber nachgedacht, bevor sie das ins Wahlprogramm schreiben …“

Zuschauer James Peter, gehbehindert, berichtet aus der Praxis vom ÖPNV auf dem Land. Da komme dann ein Reisebus mit einem für ihn unüberwindbaren Einstieg, und er frage sich, ob er wohl an den Haaren reingezogen wird oder unten ins Staufach gesteckt wird.

Corona, die angebliche Pandemie, die keine war und die RKI-Protokolle, sind gegen Sendungsende nochmals Thema. Höcke sagt: „Ein Untersuchungsauschuss kommt, sobald die neue Legislatur beginnt, das verspreche ich hier. Die Verantwortlichen müssen bestraft werden.“

Schon für diesen Hoffnungsschimmer hat sich die MDR-Wahlarena gelohnt.

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Kommentare ( 18 )

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Andreas aus E.
3 Monate her

Gesehen zu haben, wie einem Rollstuhlfahrer geholfen wurde, ist für Ramelow also „schönster Tag seines Lebens“.
Das ist ja fast schon bedauernswert, der muß ein sehr trübseliges Dasein fristen.
Für Besucher von Fußballspielen, Rockfestivals oder wie hier jüngst auf dem Volk(!)sfest ist es nämlich ganz normaler Alltag, daß Leuten mit Beeinträchtigungen auf Wunsch nötigenfalls geholfen wird.
Aber derlei werden Leute wie Ramelow in ihren Politbüros nicht kennen, die sehen nur Inszenierungen solcher Art im Staatsfunk.

Oft sind es diese kleinen Nebensätze, welche Gesinnung entlarven.

Judith Panther
3 Monate her

„Ein Untersuchungsauschuss kommt, sobald die neue Legislatur beginnt, das verspreche ich hier. Die Verantwortlichen müssen bestraft werden.“ so Björn „The Lichtblick“ Höcke. Glaube ich ihm sofort! Die Schnittmenge zwischen den Kapitalverbrechern im Parlament und den Höcke-Hexenjägern dortselbst ist ja nicht grad gering und genau die kann die AfD dann unter dem Stichwort „Juristische Aufarbeitung“ ganz elegant bei den Eiern packen und in einem Aufwasch dann auch für ihre perfiden Ausgrenzungsmethoden abwatschen. Soll INSA ihre Probanden doch mal fragen, wie viele von denen sich inzwischen nach strafrechtlichen Konsequenzen sehnen, jetzt, wo die RKI-Files das ganze Ausmaß des größten politischen Skandals der… Mehr

Last edited 3 Monate her by Judith Panther
Boris G
3 Monate her

BSW dürfte bei dieser Veranstaltung gepunktet haben, denn Katja Wolf ist fast so eine attraktive Kandidatin wie Sahra – eloquent, jung, freundlich, jedenfalls im direkten Vergleich zu Ramelow und Höcke.

Zum alten Fritz
3 Monate her

Die Ergebnisse bei der U18 Wahl in Sachsen und Thüringen sind interessant. Es heißt ja so schön ‚Kindermund tut Wahrheit kund‘. Da könnte es am Sonntag noch überraschende Ergebnisse geben.

Ulrich
3 Monate her

Zu Ramelow gibt es eigentlich nur zwei Worte: „Anstand und Haltung“ (sein Wahlprogramm). Er verinnerlicht wohl gerade die Worte seiner Mutter, bei Tisch gerade zu sitzen und selbige nicht zu unterbrechen. Wird eigentlich nur getoppt von Maier („klar und deutlich – kostenloses Kita-Essen“), dessen Partei ähnlich abstruse Wahlparolen wie die Stalin-Truppe MLDP raushaut und dem Wähler vergessen machen möchte, dass sie dieses Bundesland 20 Jahre mitregiert haben. Wählen kann man keinen von denen jenseits der Brandmauer. Ich bin eigentlich nur gespannt, wie sie das Wahlergebnis am Sonntag frisieren werden, sodass für die AfD nicht einmal der Posten eines Vizepräsidenten des… Mehr

TomSchwarzenbek
3 Monate her

Das muß man sich mal vorstellen, jeder Vertreter seiner Partei bekommt die Möglichkeit der Eigenwerbung in so einem Format. Letzter TV-Auftritt vor der Wahl. Keine blitzgescheiten Antworten. Ramelow hat sich bereits innerlich verabschiedet, die Grüne ein Totalausfall, Voigt in noch so jungen Jahren ein braver Onkeltyp, ebenso der langweilige SPD-Vertreter, FDP hatte bereits schon mal, aber dann den Schw… eingezogen vor Mutti Merkel. BSW hat noch Welpenschutz und Höcke war m.E. ganz gut in seinen 1-Minute-Möglichkeiten. Warum hat niemand Ramelow gefragt, ob er sich nun endlich mal von den Mauerschützen distanziert ?

Last edited 3 Monate her by TomSchwarzenbek
mediainfo
3 Monate her

Die Tatsache, dass zwei Männer die Sendung moderiert haben, ist (heutzutage) schon ungewöhnlich. Das hätte sich ein Westsender nicht getraut, dort hätte man um jeden Preis eine Frau dazugenommen.

Früher habe ich, in den Sendernischen, gelegentlich gerne Diskussionssendungen um spezielle Themen geschaut. Seit in diesen Sendungen immer mindestens eine Quotenfrau (oft mehr) mit am Tisch sitzt, schaue ich die nur noch selten. Denn meine Erfahrung ist, dass das leider nicht immer einhergeht mit glänzendem Sachverstand, manchmal ist es nur „Frau“.

Natürlich gibt es brilliante Frauen, aber offenbar nicht in der erforderlichen Zahl.

Last edited 3 Monate her by mediainfo
tichoz
3 Monate her
Antworten an  mediainfo

Die großen Schrecken: Merkel, Ursula von der Leyen, Strack-Zimmermann, Esken, Faeser, Baerbock, Paus usw.

Apfelmann
3 Monate her

Höcke will Kinderkriegen durch Geld erreichen. Selten so gelacht. Die niedrigen Geburtenzahlen haben ganz andere Gründe. Heutige Frauen sind nach dem Studium eher Ende 20, Anfang 30. Dann wird es schwierig mit einem zweiten Kind. Früher waren die Ausbildungszeiten viel kürzer. Das ist nun mal so, da kann man mit Geld nichts machen. Ausserdem liegen die Prioritäten heute anders. Die Väter und Mütter nehmen doch meist so lange wie möglich Elternzeit. Arbeit und Geld sind heute weniger Wichtig als Familie und Freizeit. Da gibt es genug Studien dazu. Japan und Südkorea sind kläglich gescheitert mit der Idee mehr Kinder durch… Mehr

Boris G
3 Monate her
Antworten an  Apfelmann

Erstaunlicherweise ist das einzige erfolgreiche Projekt für mehr Kinder durch staatliche Maßnahmen 1972 in der DDR aufgelegt worden. Prof. Volkmar Weiss hat darüber in seiner Monographie „Die Intelligenz und ihre Feinde“ ausführlich berichtet: Es gab eine Garantie für studentische Elternpaare mit Kind auf das durchschnittliche Einkommen in der DDR plus Wohnung. Wohl gemerkt: nur für studentische Ehepaare (man wollte eugenisch auf Intelligenz züchten, was dann tatsächlich messbar hochsignifikant klappte). Alle Details bei Volkmar Weiss nachzulesen – köstlich!

M Albrecht
3 Monate her

Wir amerikanisieren uns zusehends, es gibt in vielen Fällen nur noch schwarz oder weiß, „demokratische Parteien“ oder AfD, Höcke oder ein anderer austauschbarer Kandidat, Meinungen, die angenehm zu hören sind (weil sie so allgemein sind, dass sie jeder gut findet) oder radikalen Populismus. Wann fangen wir Bürger bitte wieder an, selbst zu denken? Beispiel Migration: Willkommenskultur (jeder darf zu uns kommen und wird alimentiert) wie bei Linken und Grünen, mit allen Seiteneffekten oder Alle sollen raus wie bei den radikalen Rechten. Unsere Gesetze geben doch eigentlich alles vor. Menschen, die sich idetifizieren können und ein konkretes nachprüfbares Schutzbedürfnis haben, dürfen… Mehr

Teide
3 Monate her

„Anlass für das Statement des Zuschauers war ein Satz des CDU-Mannes Voigt, der Höcke unterstellte, er würde der Wirtschaft explizit besonders harte Zeiten wünschen.“ So denken Berufspolitiker wie Voigt. Wenn es dem Land und der Wirtschaft schlecht geht wählen viele AfD. Darum wünscht sich die AfD den Niedergang. Damit sie gewählt wird. Nichts könnte falscher sein. Die meisten in der AfD sind nicht Berufspolitiker. Die Leute machen sich Sorgen. Mir wäre es lieber die AfD wäre überflüssig. Wir haben alle einen Beruf der uns ernährt. Ich brauche kein Mandat. Ich werde es aber bekommen, weil ihr so Grottenschlecht seid. Weil… Mehr