Geraune in der ARD in Vorbereitung auf Herbst und Winter

Mit „Jung, rechts, gewaltbereit“ erweist die ARD der Debatte um Rechtsextremismus mal wieder einen Bärendienst. Ohne sachliche Begründung vermischen die Autoren skeptische Jugendliche mit Neonazis und antisemitischen Schlägerbanden.

Screenprint: ARD/fakt

Die Botschaften, die lautstark skandiert werden, klingen wie aus dunkler Vergangenheit: Fremdenhass, Ablehnung von Minderheiten und eine unverhohlene Glorifizierung von NS-Verbrechern. Das Bild, welches der neue ARD-Reportagebeitrag „FAKT: Jung, rechts, gewaltbereit“ zeichnet, ist das einer immer rechtsradikaler werdenden Jugend in Ostdeutschland.

Die Filmemacher haben sich im Umfeld von Corona-Spaziergängen, etwa im sächsischen Zwickau, an die Fersen von Demonstranten geheftet, die teilweise noch nicht einmal volljährig waren. Einige von ihnen brüllen klar rechtsextreme Parolen. Ein Erklärungsversuch für die zunehmende Radikalisierung Heranwachsender hat mit den Auswirkungen der Pandemie zu tun. Während vielerorts die Arbeit von Schulen und Jugendeinrichtungen lange Corona-bedingt maximal beeinträchtigt war, drängten radikale Ideologen in die Leerräume, die in der klassischen Sozial- und Jugendarbeit klafften – so zumindest die These des ARD-Beitrages. Dabei vermengt und vermischt der Beitrag waschechte Neonazis vom „Dritten Weg“ mit Jugendlichen, die die Regenbogenflagge kritisch sehen – und nimmt sich so selbst wichtige Glaubwürdigkeit.  

Warum ist der III. Weg nicht verboten? @NancyFaeser@MarcoBuschmann

Es handelt sich hier doch eindeutig um Wiederbetätigung der NSDAP. https://t.co/qp4yJlzcl5

— Lyllith Beaumont ???? (@LyllithB) July 20, 2022

So begibt sich das Team zu Beginn der Reportage in einen Jugendkeller. Dort stellen sie Fragen – und erhalten die wohl erhofften Antworten. Zum Thema „LGBT“ erklärt ein Mädchen, sie habe kein Problem damit. Ein Junge äußert sich homophob, er sagt: „Schmutz“. Ein weiteres Mädchen beschwert sich darüber, dass penetrant überall LGBT-Regenbogenflaggen hängen würden. In der Reportage wird das gleichgestellt – die Ablehnung von Regenbogen wird mit echter Homophobie gleichgesetzt, eingerahmt von einem Interview mit dem notorisch linken „Rechtsextremismusforscher“ Matthias Quent, der das alles mit Vokabeln wie „menschen- und demokratiefeindlich“ einrahmt. 

Ein „queerer“ Aktivist von „Fridays for Future“ aus Zwickau berichtet, er werde fast täglich angefeindet oder angegriffen. Einen konkreten Fall von vor über einem Jahr kann er benennen: ein tätlicher Angriff auf seine Gruppen „queerer“ Teilnehmer nach dem CSD, in welchen er auch zugegen war. Für diese Darstellung springt die Reportage ein paar Minuten zu ihm, bevor die Macher eine Lehrerin treffen. „Rechte“ und rechtsextreme Narrative, so die Lehrerin, seien unter ihren Schülern weit verbreitet. Die Journalisten stellen sich sogar der Diskussion mit selbigen Schülern. Die werfen den Medien vor allem vor, weit überwiegend über Rechts- als über Linksradikalismus zu reden. 

Plötzlich folgt ein inhaltlicher Cut zu den Corona-Spaziergängen – und Bildern von Jugendlichen, die Journalisten angreifen und Nazi-Parolen brüllen. Direkt ist man bei Mordversuchen, üblem Antisemitismus, echten Nazis. Diese begehen Straftaten, bedrohen und schüchtern ihre Nachbarn ein. Der Übergang: fließend. Das kritisieren auch viele Stimmen im Netz an der „Doku“. „Eure Auffassung von Journalismus?“, fragt ein Nutzer kritisch. 

„Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen fällt auf: Oft sind die Teilnehmer junge Rechte. Wer sind diese Jugendlichen und woher kommen ihre Feindbilder?“, kündet Das Erste die „Doku“ in den sozialen Medien an. Dabei warten die meisten Bilder von Maßnahmen-Protesten eher mit dem durchschnittlichen Teilnehmer in der Einflugschneise zum Rentnerdasein in Multifunktionskleidung sowie einem unverbesserlichen Drang zu Globuli, Tamburinschwingen und Ausdruckstanz auf.

"Verachtung gegen die Demokratie"
Faeser „vorbereitet“, Proteste gegen steigende Preise als rechtsextrem einzustufen
So erweist die ARD der Debatte einen Bärendienst. Das reale Problem des Rechtsextremismus in Ostdeutschland wird ohne Not verquickt mit Jugendlichen, die lediglich skeptisch gegenüber Medien oder dem „Pride Month“ sind. So wird alles zu einer unkenntlichen Masse verrührt – wo man andererseits sehr darauf bedacht ist, über antisemitische Einflüsse oder auch zunehmend gewaltbereite Tendenzen bei Protestbewegungen wie „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ oder bei Demos wie „unteilbar“ hinwegzusehen und dies partout nicht wahrnehmen möchte.

Gewinnt man diese skeptischen Jugendlichen in der Tendenz so eher zurück oder soll die „Doku“ für die geneigte NGO-Community einfach nur als Mosaikstein/Stichwortgeber in der ganz großen Feindbildpflege dienen? Hängen bleiben soll: Es beginnt bei Skepsis – aber es ist alles schon eine einzige Sauce, alle rechtsextrem und alle gefährlich. Kritiker in den sozialen Medien konstatieren dieses bewusste Vermengen von allem mit allem als Ziel der Filmemacher.

Dabei gewinnt die als Dokumentation bezeichnete Mogelpackung aktuell besondere Brisanz. Als die Corona-Proteste auf dem Höhepunkt waren, konnte die Presse das Geschehen nicht mehr umdeuten – wer mit den Demonstranten in Berührung kam oder frei zugängliche Fotos und Videos sah, erkannte, dass neben einigen wenigen Radikalen auch die „Mitte“ oder gar Linke auf die Straßen gingen. „Jung, rechts, gewaltbereit“ soll das Ereignis im Nachhinein umdeuten. Doch dieses „Framing“ gilt nicht nur für die Vergangenheit. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigt, was mit Abweichlern geschieht: Sie werden mit Extremisten in einen Sack gesteckt.

Ein Vorgriff also auf das, was droht, sollten Inflation und Energiekrise die Leute auf die Straße treiben? Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat es bereits angekündigt: Man sei „vorbereitet“, solche Proteste als rechtsextrem einzustufen. Offenbar ist es die ARD auch.

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