Rap-Subkultur im Sonntagskrimi

Die ARD bläst auch zum Tatort-Start in Wien weiter ins gewohnte Horn: Machos, Gangstermusik und Migration haben nichts miteinander zu tun.

© ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Die „Tatort-Fans“ der Adbyte GmbH aus Münster hatten beim ersten Ansehen schon den richtigen Eindruck: „erstaunlich konventionell und vorhersehbar … etwas mehr inszenatorischen Wagemut hätte man bei diesem Thema durchaus erwartet: gewaltverherrlichende und frauenverachtende Texte, die Jagd nach Followern und dem nächsten Online-Hype, gefährliche Illusionen vom schnellen Ruhm und Reichtum – genügend Themen wären vorhanden.“

Zugegeben: Die Einbeziehung der Rap-Subkultur in einen Sonntagskrimi war – fast – ein Novum und wurde nach übereinstimmendem Pressecho unter der Regie der ehemaligen Musikjournalistin Mirjam Unger auch sehr authentisch umgesetzt. Das wurde noch durch Musiker wie „Keke“ (Kiara Hollatko, spielt die Daria), „Jugo Ürdens“ (bürgerlich Aleksandar Simonovski) und den Deutsch-Rapper Frayo 47 (Francis Ayozieuwa, spielt Bashir Ahmadi) verstärkt, die auch die meisten Rap-Texte schrieben.

Die Frage sei allerdings erlaubt, wieviel von einer ganzen Bewegung übrigbleibt, wenn man die steinzeitlichen Elemente, also ausgestreckte Mittelfinger, rhythmisches Popogewackel, primitivste Verbaldiarrhoe und die offen zur Schau gestellt Brutalität abzieht. Nicht viel, außer ein paar Fetzen Sprechgesang und elektronischen Beats.

Von einem Koks-seeligen Backstage zum anderen

Das dürfte auch der junge Rap-Star „Ted Candy“ (Theodor Sänftner, gespielt von Ale Simonovski) gemerkt haben, der zwar auf dem Höhepunkt seines musikalischen Ruhms angelangt ist und von einem Koks-seeligen Backstage zum anderen torkelt, es aber trotzdem nur noch auf die Bühne schafft, wenn er „voll drauf ist“, sich vorher zugedröhnt hat. Seine Mama Adriane (Edita Malovcic) unterstützt ihn eifrig, aber nicht nur aus Mutterliebe, sondern weil er ihr die Wohnung und ihren Alkoholkonsum finanziert. Selbstverständlich legt sie ihrem Goldjungen die Koks-Linien aufs Handy. Candy hat noch ein letztes Mal Gelegenheit, auf seinem knallroten Feuerstuhl durchs nächtliche Wien zu brausen, kurz darauf liegt er aber erschlagen in einer Tiefgarage. Das Wiener BKA übernimmt den Fall.

250.000 Follower gegen 29

Ted „das Zuckerl“ (wie Kriminalassistentin Meret Schande, gespielt von Christina Scherrer, übersetzt „candy“) hat 250.000 Follower, Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), wie er Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) gesteht, hingegen nur magere 29. Da sich ja jede Regung in der Szene per Internet sofort bemerkbar macht, dauert es nur einen Moment, bis die Ermittler auf den Chef des Musiklabels „Syndikat Records“ aufmerksam werden. Das gehört Akman Onur (Murat Seven), der unter dem martialischen Etikett „AK 47“ auftritt und klassischen Gangsterrap zum Besten gibt. Er hat Ted entdeckt und „groß“ gemacht, musste aber nun fürchten, dass ihm sein Zögling entgleitet und evtl. zu einem anderen Musikverlag wechselt. War das vielleicht ein Motiv, den jungen Rapper zu erschlagen? Der Zugang zu Akmans Studio liegt exakt neben dem Tatort …

Aber der Akman hat zum Glück auch eine weiche Seite, die man aber erst erkennt, wenn er im Verhörraum der Kieberer (Österr. Für Polizist) sitzt. Eisner über ihn: „Der hätte ja fast geweint …“ Nun geht ihm der Allerwerteste auf Grundeis, und die follower von Ted rotten sich im Internet zu Racheaktionen für ihr Idol und gegen Akman zusammen. Verüben einen Paintball-Anschlag auf seine Panorama-Terrassenfenster.

Ja, auch Rapper werden weicher, wenn die Gattin schwanger ist (Sarah Stamenkovic, gespielt von Salka Weber) und einem im Wintergarten in der Luxusvilla mit Pool ein warmes Süppchen kocht. Bestes deutsches Beispiel ist unser sehr eigener, bundesdeutscher Rapper „Bushido“ (übersetzt: „der Weg des Kriegers“, bürgerlich Anis Mohamed Youssef Ferchichi) mit Ehefrau Anna-Maria und Kinderschar.

In der Gerichtsmedizin hat Prof. Werner Kreindl (Günter Franzmeier) mittlerweile den toten Rapper untersucht und festgestellt, dass er aus einer komplexen Kombination massiven Drogenmissbrauchs, deshalb geschwächter Gehirngefäße und durch einen Schlag, der einen Riss in diesen verursachte, zu Tode kam. Mithin war das wohl kein klassischer Mord, mindestens aber unterlassene Hilfeleistung.

„In Eurem Staat ist man als Kanake immer gleich schuldig, egal was man macht“

Eisner und Fellner ermitteln zunächst gegen Mutter Adriane, der ihr Filius den Rausschmiss angedroht hatte, falls sie ihre Alkoholabhängigkeit nicht in den Griff bekommt. Außerdem ist da noch Candys Liebhaber Ferdinand Fuchs „Ferdl“ (Tobias Resch), der ihm kurz vor dessen Tod noch eine Eifersuchts-Szene gemacht hatte. Auch interessant ist der nigerianische Asylant Bashir Ahmadi (Francis Ayozieuwa), der sich aufmacht, der neue Rap-Star bei Akmans Label zu werden, und den Sarah gleich meint, gegen die Wiener Kieberer in Schutz nehmen zu müssen: „In Eurem Staat ist man als Kanake immer gleich schuldig, egal was man macht … sein Vater wurde in Nigeria von Boko Haram ermordet und er hat in diesem Land nach 9 Jahren immer noch keinen Pass …“

Auch Bashir ist der Meinung, genug „bei Euch Bullen im Knast gelitten“ zu haben und verarbeitet seine Fluchterfahrung in seinen Liedern, in denen er sich selbst als großen Raubfisch in einem Becken voller Haie zu schwimmen wähnt, in dem er Blut wittert.“ Für ihn ist seine Musik mehr als „so ne gedrogte und Auto-Tuning-Scheiße“, er habe das, was er singt, erlebt: „…Ich will das große Geld, kein Bock mehr auf Autowäsche …. von ganz hinten an die Spitze … Villa an der Küste …“

Von Ted Candy hat er nicht viel gehalten, der sei ja schwul gewesen. Die gleichgeschlechtliche Liebe, weiss Bibi Fellner beizusteuern, ist in der Szene nicht anerkannt. Anerkannt ist hingegen, sein Gegenüber mit allerlei Schimpfworten zu belegen, und insbesondere auch nahe Angehörige in sexuell expliziter Weise mit einzubeziehen. Darauf will wohl der Wiener Tatort dezent mit dem Titel „Deine Mutter“ hinweisen. Adriane Sänftner war früher als Prostituierte und unter ihrem früheren Namen als Darstellerin in einschlägigen Filmchen tätig. Diese Tatsache und die Videobeweisstücke dazu verwenden Akman Onur und sein „Baba“, Unterweltgröße Igor Slavin (Hary Prinz) dazu, Ted unter Druck zu setzen. Diese Schande, nämlich tatsächlich und mit Belegen als „Hurensohn“ bezeichnet zu werden, hält er kaum aus, er greift Bashir voller Wut an, dem das Schimpfwort mal eben so rausgerutscht ist. Bashirs Freundin Dalia greift sich die nächstbeste Waffe (einen Feuerlöscher) und schlägt den Angreifer damit nieder. Mit der Tatsache konfrontiert, dass Ted vielleicht hätte überleben können, wenn sie den Notruf gewählt hätten, flüchten sie sich in eine Opferrolle.

„Wenn jemand auf dem Schulhof seinen Geldbeutel vermisst, wer glauben Sie, wird zuerst verdächtigt? Wer hätte Bashir geglaubt? Seine Familie ist auch hier, und wenn es Mist baut, dann müssen sie darunter leiden“ (offenbar eine Anspielung auf ein Bleiberecht und drohende Abschiebung).

Nur in den Interviews der Tatort-Seite: Klare Aussagen zu den „sozial heterogenen Vierteln Wiens“

Harald Krassnitzer beschreibt die Tatort-Traumszene, in der Polizei und Rapper sich gegenüberstehen und provokant tanzen, als „wirklich aufregend. Wir haben den Fake auf einer Brücke in einem sozial heterogenen Viertel aufgezeichnet. Als die Musik einsetzte, war schlagartig das halbe Quartier um uns herum. Die Kids, teils 15 oder 16, waren richtig fiebrig, weil wir natürlich in ihren Raum eingedrungen sind. Erst kamen die Sprüche, hey, das können wir besser, dann bewegten sie sich zu der Musik und tanzten mit. Als unsere Darsteller mit ein paar falschen Geldscheinen um sich warfen und mit lila Pseudo- Drogencocktails aus Hustensaft und Aufputschmittel hantierten, bekamen sie leuchtende Augen. Das fand ich sehr bezeichnend: Im Grunde haben wir auf der Brücke aufgeführt, wovon sie alle träumen.“ Das sei „…der Traum der Straße. Es gibt einen Hip-Hop-Star, der im Netz postet, dass er am Nachmittag mit seinem Sportwagen in der Innenstadt von Wien unterwegs sein wird. Dann sind die Fans total aufgeregt und stellen sich vor, wie sie selber in so einem teuren Auto posen und die Bilder davon in die Welt senden. Aber dieser Traum geht nur für ganz wenige in Erfüllung, die sich damit dumm und dämlich verdienen, weil sie alle Plattformen im Internet nutzen, um sich bestmöglich zu vermarkten. Ich sehe darin wieder nur eine Form der Ausbeutung von Jugendlichen, die in den Banlieues leben und vom Aufstieg träumen, ohne groß etwas dafür zu tun, und sich am Ende als Fahrradkuriere durchschlagen.“

Verantwortlich dafür, dass die kids nicht aus dem Ghetto herauskommen (Krass, krasser, Krassnitzer)

ARD: „Sehr deutlich lässt sich Moritz Eisner über den Gangster-Rap aus. „Aufgeblasene Muskelkasperl, sexistische Texte, teure Autos. Komplett aus der Zeit gefallen.“ Wirft der „Tatort“ einen kritischen Blick auf diese Szene?“

„Es wird klar deutlich, dass der Kommissar mit dem Gangster-Rap in seiner hedonistischen Variante nichts anfangen kann. Weil es nur ums schnelle Geld geht, darum, die Nummer eins zu werden, was Eisner als kleingeistig und spießig empfindet. Ich habe mit Yugo lange über diese Form des Rap gesprochen und ihn gefragt: Warum bedienen sich Gangster-Rapper eines Weltbildes, in dem Frauen Sexobjekte sind? Warum propagieren sie einen Hedonismus, der ihre Anhänger tagtäglich fertigmacht und vielleicht mitverantwortlich dafür ist, dass ein Großteil der Kids nicht aus dem Ghetto herauskommt. Aber Eisner ist auch Fan. Er zeigt sich offen für den Rap in seiner ursprünglichen rebellischen Form, für Eminem und viele andere. Junge Musiker, die in dieser Tradition stehen, erzählen von ihrer Migration und bringen in ihren Songs das ganze Elend einer nicht gelungenen Integration zum Ausdruck. Für diesen Teil der Kultur kann ich mich auch persönlich begeistern.“

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