Tatort trifft „Falling Down“

Endlich! Ein Sonntagskrimi, der Ruhe und innere Ausgeglichenheit fördert. Der in dieser Besetzung letzte Tatort des Frankfurter Teams.

Screenprint: ARD / Tatort

Obwohl man es bei der Betrachtung des Titels „Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blühen“ meinen könnte: Der in dieser Besetzung letzte Tatort des Frankfurter Teams Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) bezieht sich weder auf die grünen Elemente in der Regierungsmannschaft von OB Mike Josef noch auf die beruhigende Wirkung von Heilkräutern.

Trotzdem hält das Autoren-Duo aus Michael Proehl und Dirk Morgenstern, wie es das ARD-Interview andeutet, offenbar große Stücke auf die sedierende Wirkung ihres Werks. Proehl hoffe, dass der Zuschauer an den Krimi „anknüpfen kann und mitfühlt“, weil man in dem Gefühl bestätigt sei, „wie stark das Bedürfnis der Menschen momentan nach Ruhe, Ausgeglichenheit und Stabilität ist und wie sehr Unsicherheit, Lärm und Wut in uns zurzeit tobt.“

Anderthalb Stunden wartet man nun auf diese angekündigten Wohltaten, alleine, Behagliches mag sich nicht einstellen. Der Psychologe und Opferbetreuer der Frankfurter Polizei (Tristan Grünfels gespielt von Matthias Brandt), eigentlich ein solides und wichtiges Element der Exekutive, wackelt. Hat offenbar psychische Schwierigkeiten. Halluzinationen. Nun, das ist man im deutschen Kriminalfilm neuerer Machart ja gewohnt, es gehört praktisch zum etablierten und bewährten Wesenszug aller Ermittler von ARD und ZDF. Dass seine Familie Herrn Grünfels, wie auch allen anderen Kriminalkommissaren im Deutschen Fernsehen, keine Stütze sein kann, ist ebenfalls oft geübte Regel. Schön „dysfunktional“ muss es sein, „bunt“ und „divers“, wie das auf Englisch so cool klingende „patchwork“ eben. (Klar, der deutsche Begriff „Flickwerk“ würde klarer ausdrücken, worum es sich handelt). Entweder man hat gar keine Familie, oder eben nur Teile davon, die aber wegen der losen Verbindung und der nachlässig gestrickten Nähte herumschlackern und deshalb auch keinen Halt geben können.

Stützen der Gesellschaft?

Und so irrt die einstige Stütze der Gesellschaft, dieser eigentlich gestählte Therapeut Grünfels, durch die Stadt und eine unglückliche „Stadtpolizistin“ (früher: „Politesse“), die einsam ihre Knöllchen verteilt (Marion Schweikhardt, gespielt von Melanie Straub), hat das Pech, ihm über den Weg zu laufen. Die StVO ist ihr heiliger als das romantische Gemälde, das der Psychologe gerade aus dem Sperrmüll rettet. In einem brutalen Schub (man fühlt sich an Michael Douglas in „Falling Down“ erinnert) erschlägt er die ihm lästige Störerin. Und sollte sich nun eigentlich in die Mühlen der Justiz begeben, der er so viele Jahre gedient hat, aber auch daran scheitert er.

Fachkräftemangel nicht nur bei der Frankfurter Stadtpolizei

Jetzt dreht das Drehbuch so richtig auf. Grünfels, der eigentlich ins Kommissariat gekommen ist, um sich zu stellen, wird von seiner alten Bekannten Hauptkommissarin Janneke, die gerade die lange Liste der nicht zur Verfügung stehenden Betreuer durchgearbeitet hat, zum Opferbetreuer der Angehörigen der Ermordeten gemacht. Bei deren Ehemann und Sohn (gespielt von Sascha Nathan und Charlie Schrein) richtet er vor den Augen der Polizisten mit einer brachialen Urschrei-Therapie fast eine Katastrophe an.

In Sichtweite, wie könnte es in einem öffentlich-rechtlichen Film auch anders sein, dreht ein Windrad stoisch seine Runden. Genauso unerbittlich dreht sich der Schicksalszeiger des Protagonisten in dieser „Thrillerkomödie“ (Tittelbach TV) nun weiter Richtung High Noon.

Die Erzeuger der Familie Grünfels hatten jedenfalls in diesem Zweig des Stammbaums kein gutes Händchen. Der Griff in die Opernsparte bei der Namenswahl (Tristans Bruder, gespielt von Andreas Schröders, heißt Hagen) der Kinder hat kein Glück gebracht. Bruderherz hat Schulden in fünfstelliger Höhe bei Bordellbesitzer Leonardo Muller (Ronald Kukulies). Der und seine Muskelmänner sind zwar kaltblütige Killer, die mal eben einen V-Mann von Paul Brix ins Jenseits befördern, aber wenn der dann weitab der Dienstvorschrift mal zulangt, fallen auch Schränke wie Mullers Bodyguard (Cem Öztabakci) einfach um.

Reihenhaus in der Vorstadt liefert keine Stabilität

Die Bestandteile seiner Familie scheinen sich vor den Augen des „psychotischen Psychologen“ (SWR3) langsam aufzulösen. Seine minderjährige Tochter (Senta, gespielt von Maja Bonshat) hat was mit Ersun (Soufiane El Mesaudi), der ihn dauernd „Dottore“ nennt, und von dem er meint, dass der „sonst woher komme“ (was aber natürlich nicht stimmt, der ist aus Leverkusen).

Sein „am Hals tätowierter“ Sohn kifft und folgt lieber Rap-Gesängen als dem Schulunterricht. Ehefrau Rosalie (Patrycia Ziolkowska) hat was Ernsthaftes mit ihrem Masseur Vincenzo (Anton Noori) und will die Scheidung einreichen, früheren gemeinsamen Freuden beim Schnitzelbraten mit Tristan hat sie abgeschworen („Ich esse schon lange kein Fleisch mehr“).

„Im Untergang die Welt retten“ – freiwilliges Jugendfeuerwehr-Mitglied Grünfels

Der Opferberater richtet schon das Steakmesser gegen sich selbst – will aber dann vorher doch noch mit seinem Nebenbuhler, dem Masseur, über Rosalie sprechen. Diese Begegnung läuft erwartungsgemäß aus dem Ruder und Tristan wird zum Doppelmörder. Da er nun so schön in Fahrt ist, und die Polizei jetzt erst eine Zeugenaussage zum ersten Mord einer „Deutschen Kartoffel zwischen 40 und 60“ (Grünfeld) zuordnet, macht er sich auf, auch noch mit der Frankfurter Unterwelt und dem Schuldenelend seines Bruders aufzuräumen. Er befreit Hagen aus dem Büro von Muller, wo der ihn gequält hat, und ballert dabei wild um sich, wobei ein Bodyguard und auch Hagen getroffen werden. Zuvor durfte Grünfeld, auf der Flucht vor der Polizei, noch Senta seine Vaterliebe gestehen und sie zurechtweisen: „Jemand umbringen ist nicht romantisch.“

Abgang mit großem Getöse

Entschlossen zum letzten Showdown lädt er Muller und seine Gorillas, die auf der Suche nach ihm seinen Sohn gekidnappt haben, in Ersuns Ausstellungsräume „Störungen der Deutschen Seele“ ein, in der eine Video-Simulation von Caspar David Friedrichs berühmtem Bild „Wanderer über dem Nebelmeer“, Goethe, Brezel-Variationen und eingeschlagene Bildschirme gezeigt werden. Somit schließt sich hier der Kreis zwischen der ver- und zerstörten Frankfurter Idylle und den Verlustgefühlen, die man dabei wohl empfinden mag.

Tatkräftig unterstützt durch seinen zukünftigen Schwiegersohn und Vater seines Enkels erschießt Grünfeld seine Gegner im Schutz eines Nebelwerfers, wird dabei aber selbst tödlich getroffen. Die Kommissare Brix und Janneke können nur noch die Scherben dieses turbulenten Kriminalfalls zusammenfegen und werden auf der anschließenden Fahrt zu einem romantischen Nachtkaffee vom rachsüchtigen Bodyguard des OK-Chefs Muller mitten auf einer Mainbrücke in die Luft gesprengt. Das Duo steht somit für weitere Folgen aus der Serie Tatort Frankfurt nicht mehr zur Verfügung.

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Kommentare ( 3 )

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non sequitur
1 Monat her

Mein Lieber Herr Gesangsverein,
was bin ich froh, dass ich seit einem Jahrzehnt mir keinen Tatort mehr zugemutet habe.
Bei dieser Plethora von Handlungsvolten, inklusive der vermuteten Schnittfrequenz, sowie der zerebralen Überkomplexität des Hauptcharakters wäre ich ja intellektuell völlig untergegangen und nach anderthalb Stunden Krimikonsum als psychisches Wrack unbetreut zurück geblieben.
Vielen Dank für die gelungene Zusammenfassung!

Adorfer
1 Monat her

Wer schaut noch den Tatort? Ehrlich. Habe ich mir längst abgewöhnt. Waren zuviel der Zumutungen.

alter weisser Mann
1 Monat her

Frankfurter Tatort? Als ich sowas hin und wieder noch gesehen hab, waren da eine Frau mit Kurzhaarfrisur, ein leicht gammliger Kerl und eine junge Assistentin. Zugegeben, ist schon ein bisschen her.