Tatort stößt süß-sauer auf: The Walking Dead auf Vietnamesisch

In diesem Tatort wird weitgehend unkritisch und in Pastelltönen das dargestellt, was an anderer Stelle in der deutschen Presselandschaft zu Schnappatmung führen würde: betont gelebte starke Religiösität, Ahnen- und Altenverehrung sowie besonders straffes Hierarchiedenken.

Screenprint: ARD / Mediathek

Viele Rezensenten sind nach diesem erneuten ARD-Angriff auf die Magenmuskeln einfach nur dankbar, dass die Krimi-Macher (Buch Josefine Scheffler und Mira Thiel, die auch Regie führte, Kamera Moritz Anton) ihnen diesmal wenigstens die Nahaufnahmen extremster Grausamkeiten (zum Beispiel Tatort München: „Schau mich an“) erspart haben. Trotzdem wieder mit dabei: süße Hundewelpen, asiatische Jungfern, verscharrte Leichen, wamperte deutsche Biedermänner und klaffende Wunden unter OP-Beleuchtung.

Und ewig grüßt das „Schweigen der Lämmer“

Ob die Choreografie wirklich eine Viertelstunde Geisterbahnfahrt durch ein düsteres Metzgerhaus und genauer Inspektion der Folterwerkzeuge bei Neonbeleuchtung (da sieht man die besudelten Wände besser) nötig hatte, sei dahingestellt. Kriminalkommissarin Susanne Bonard (Corinna Harfouch) jedenfalls hat danach genug, muss erstmal auf dem Rasen eine nervös zuckende Auszeit nehmen und schläft später noch traumatisiert unter ihrem Bürotisch. Kollege Robert Karow (Mark Waschke) ist nicht so zart besaitet, der wälzt sich sogar zu Demonstrationszwecken auf dem blutigen Teppich, wo grade noch der mit 19 Messerstichen ermordete Hans Engler (semmelblonder Darsteller ohne Namensnennung) gelegen hatte.

Durch die Untersuchungen am Tatort (EFH in Sichtweite des Tierparks Friedrichsfelde) wird klar, dass der Erstochene ein brutaler Lustmörder war, zur Strecke gebracht von einem seiner Opfer, das sich mit viel Glück, aber schwer verletzt selbst befreien konnte. Die junge Asiatin (Bui Thi Vien, gespielt von Hanh Mai Thi Tran) flieht kopflos und versteckt sich, obwohl sie doch in Notwehr handelte (Bonard: „Die kriegt nicht mal ’ne Anzeige“).

Das Böse ist immer ein bisschen böser, als man denkt (Bonard über Hans Engler)

Ihr Peiniger Engler, der Hundebesitzer, der sich augenscheinlich rührend um seine demente Mutter gekümmert hat, in einer Großwäscherei arbeitete und gerne Pilze sammeln ging, hatte in den Neunzigern scheinbar selbstlos die Vaterschaft für das Baby einer vietnamesischen DDR-Vertragsarbeiterin (Dr. Lê-Müller, gespielt von Mai-Phuong Kollath) übernommen, um ihr den Aufenthalt in Deutschland zu sichern. Eine spätere Verurteilung wegen Handels mit geschmuggelten Zigaretten konnte deren weiteren Aufstieg zu einer geachteten Frau in der vietnamesischen Community Berlins nicht bremsen.

Jedoch bleibt der studierten Tierärztin ein Hang zu illegalen Methoden: Sie behandelt in ihrer schicken Charlottenburger Praxis „nicht nur Vierbeiner, sondern auch solche mit zwei Beinen“ (Karow). Außerdem ist ihr Sohn Bao Müller (tritt nur in Telefongesprächen aus Vietnam auf) offenbar tief in den Schmuggel von vietnamesischen Billiglöhnern verstrickt.

Das Motto der Fachkräfteanwerbung „Make it in Germany“ hatten Vien und die anderen Vietnamesinnen noch hoffnungsvoll vor der Abreise auf ein Spruchband geschrieben, bevor sie sich im Horrorhaus von Hans Engler auf Empfehlung von „Bruder Bao“ als private Altenpflegerinnen anstellen ließen, obwohl der seine Mutter schon vor Monaten im Garten neben dem Hund vergraben hatte. Zwei Mädchen hatte er bereits bestialisch ermordet und gegenüber dem Sohn von Dr. Lê-Müller behauptet, sie seien ihm davongelaufen. Zwar scheint in Englers Lichtenberger Mörderhöhle die Zeit in den Neunzigern stehengeblieben, mit Testbild-Tapete, ohne Mobiltelefon, Internetanschluss oder Computer, aber er bleibt auf der Höhe der Zeit, indem er seine Untaten filmt, wenn auch nur mit altertümlicher VHS-Videokassetten-Technik.

Glück für die Ermittlungen, Pech für Karow: Die Berliner Polizei findet irgendwo in ihrem neuen Revier (im alten Flughafen Otto Lilienthal in Tegel) noch ein altes VHS-Gerät, auf dem er nun diese Doku des Grauens sichten muss. Er erkennt, dass Engler einen Komplizen gehabt haben muss, der als sein Kameramann fungierte. Und nochmal hilft Kommissar Zufall: Eine zur Pflegerin umgeschulte Prostituierte (Barbara Thelen, gespielt von Reiki von Carlowitz) hatte früher Anzeige gegen Unbekannt wegen Vergewaltigung in einem Keller erstattet und erkennt erst Engler, und dann dessen Chef Werner Siepert (Hannes Pastor), Familienvater und Unternehmer.

Parallel hin oder her, mit einer Portion Jasminreis mundet es

Karow und Bonard versuchen vergeblich, Siepert in dessen Wäscherei zu verhaften, aber kurze Zeit später wird er ihnen gratis, verschnürt und mit sichtbaren Spuren von Gewalteinwirkung vors Revier geliefert. Hier wird der lange Arm der vietnamesischen Berliner „Community“ spürbar, die nach ihren eigenen Regeln handelt und auch Feinde selbst zur Strecke bringen kann. Bemerkenswert, mit wie viel Nachsicht der Tatort diese vietnamesische „Parallelwelt“ (wie Der Spiegel und die Welt das unschöne Wort „Parallelgesellschaft“ umschiffen) abhandelt.

Offenbar betört der Charme der vielen Buddhas, Tempelchen, Räucher – und Essstäbchen die kriminalistischen Sinne der Ermittler und der Krimi-Macher. Kommissar Karow wird wegen seiner asiatischen Ess-Künste gelobt und fast zum Vietnamesen ehrenhalber ernannt, Frau Dr. Lê-Müller kommt KHKin Bonard über gemeinsame Erinnerungen an die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen während der sogenannten „Baseballschläger-Jahre“ näher und verrät ihr deshalb den Namen des letzten Opfers.

Statt ins Krankenhaus Lichtenberg zur Tierärztin Tante Müller

Sie näht in ihrer Praxis die Wunden von Vien zusammen, pflegt sie und gibt sie danach im Community-Tempel in Pflege. Sie entschuldigt sich bei ihr mit den Worten: „Ich wollte doch nur, dass Du hier Geld verdienst, das du deinen Eltern schicken kannst, so dass sie stolz auf dich sein können.“ Womit zum Ausdruck kommt, worum es auch vielen der rund 2.000 im Dongxuan-Center, dem Vorbild des im Film gezeigten vietnamesischen Marktes, Tätigen hauptsächlich gehen dürfte, auch wenn dieser Kriminalfilm an der Legalität der Beschäftigungsverhältnisse mancher Mitarbeiter Zweifel wecken mag. Wie man der Website des Marktes entnehmen kann, erwirtschaften „die vielen Unternehmen auf dem Gelände des Dong Xuan Centers einen beträchtlichen Jahresumsatz und sind demzufolge einer der größten Steuerzahler des Stadtbezirkes Berlin-Lichtenberg“.

Betört vom vietnamesischen Singsang von „Meister“ Thao (Duc Toan Au) im Lichtenberger Pagodentempel der „Community“ kommen sogar dem hartgesottenen Karow beim Pfefferminz-parfümierten Reis die Tränen. Vien, die sich aus Trauer kahlgeschoren hat, reicht den Berliner Polizisten wie zur Versöhnung ein Reisbällchen. Gemeinsam sieht man vietnamesischen Mädchen beim traditionellen Tanz zu.

In diesem Film wird weitgehend unkritisch und in Pastelltönen das dargestellt, was an anderer Stelle in der deutschen Presselandschaft zu Schnappatmung führen würde, nämlich betont gelebte starke Religiösität, Ahnen- und Altenverehrung und besonders straffes Hierarchiedenken. Selbst die LKA-Kollegin mit vietnamesischen Wurzeln (Pham Thi Mai, gespielt von Trang le Hong) kann sich dem Sog „ihrer Community“ und ihrer starken kulturellen Verwurzelung sichtbar nicht entziehen und mahnt Karow mehrfach vor „Respektlosigkeiten“. Frau Pham Ti Mai ermittelt zwar gegen die organisierte Schleuser-Kriminalität, und auch unter Vietnamesen, muss aber ihre Ohnmacht eingestehen: „Vietnamesen trauen der Polizei nicht und ich bin Polizistin.“

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Kommentare ( 2 )

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Sonny
7 Monate her

Wer guckt sich so was im ÖRR noch an???
Ich gebe zu, dass ich ob der Überschrift bei diesem Artikel gelandet bin.
The Walking Dead war etwas ganz anderes. Augenscheinlich hat der Autor diese Serie niemals gesehen.

Montgelas
7 Monate her

Ich habe mir diesen Mist angesehen, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, nur noch österreichische Tatortfolgen mit „Moritz und Bibi“ einzuschalten, da ich die Hauptdarstellerin Frau Harfouch sehr schätze. Was soll ich noch schreiben, das meiste hat der Rezensent bereits geschrieben. Vorweg: ich habe es natürlich bereut, denn dieses Filmchen verdient die Bezeichnung Krimi nicht. Es wurde wieder mal geframt was das Zeug hält: Angefangen mit dem Pärchen aus der Nachbarschft, bestehend aus einer weißen und einer schwarzen Frau, willkürlich eingebaut gleich am Anfang des Streifens, ohne jeden Bezug zur Handlung. Die beiden Polizisten waren in kriminalistischer Hinsicht lediglich Staffage, denn die… Mehr