Der Öffentlich Rechtliche Rundfunk muss einordnen, was passiert: Da die Messerkriminalität immer weiter zunimmt und verschweigen und verharmlosen nicht mehr opportun erscheinen, wurde eine Tatort-Autorin beauftragt, Verhältnisse gerade zu rücken. In einem Interview im "Standard" erklärt die Autorin auch ihre hohen moralischen Standards.

Wer der Meinung ist, dass sich für Messermorde ohne Schwierigkeiten Milieus hätten finden lassen, in denen diese Art der Auseinandersetzung an der Tagesordnung sind, den wird die Wahl von Drehbuchautorin Sarah Wassermair enttäuschen. Sie könne sich aussuchen, für wen sie schreibt.
In einem Interview im „Standard“ sagt sie: „Zum Geschäft gehört auch, dass sie sich ihre Auftraggeber aussuchen kann. Wassermair würde beispielsweise nicht für Servus TV arbeiten – aufgrund der Corona-Berichterstattung: „Servus TV hat einige Dinge zur Pandemie gemacht, dass ich nicht für den Sender arbeiten würde.“ Für sie sei es wichtig, inhaltlich zu korrelieren: „Ich vermute, dass weder Servus TV mit mir noch ich mit Servus TV glücklich werden würde“,
Für Viele mehr als nur ein Wort: Messer
Ob wohl viele Zuschauer mit dieser Erzählung, die den Inbegriff des neuen Terrors und der Bedrohung der Öffentlichen Ordnung zum Titel hat, glücklich werden? Ganze Gesetzeswerke wurden wegen des in den richtigen Händen eigentlich harmlosen Küchenutensils ins Werk gesetzt, Verbotszonen eingerichtet und Hundertschaften mobilisiert, um seiner habhaft zu werden. Frau Wassermair fängt das lose Werkzeug mit flinker Feder ein, packt es in einen Krimi mit einem Hauch von Migrationshintergrund und umrahmt (frame) es mit der Ausnahmewelt der hohen Kulinarik. Ob die Fans von Kochsendungen dabei wohl auf ihre Kosten kommen?
Liebe in Zeiten des Vorruhestands
Die Tatort-Macher haben aus den altersbedingten Defiziten ihrer grossen Schar von Boomer-Ermittlern inzwischen eine Tugend gemacht. Wenn es im Kreuz zwickt, wenn die Oberschenkelmuskulatur bei der Verfolgung jugendlicher Bösewichte schlapp macht und wenn, wie in diesem Wiener Fall, der Bibi Fellner (Adele Neuhauser) der blutige Alltag langsam zu schaffen macht, dann lässt sich damit prächtig ins Fade abdriften. Die „nächste und nächste und nächste Leiche“ nach diesen ständigen „Ehestreitereien mit Todesfolge“ in Wien bringen die Polizistin an den Rand des Zusammenbruchs, weil sie dabei so eine „Wut auf die Leut“ bekomme. Vom Kollegen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) erhält sie keine ermunternden Signale durchzuhalten, sondern wärmste Zustimmung für ihre Ausstiegspläne – sie solle nicht auf diesem Arbeitsplatz „der sie langsam umbringe“ bleiben, denn „er wolle sie nicht verlieren“. Aber schon wieder zieht der Dienst die Bibi an eine neue Stätte des vorzeitigen, gewaltsamen Todes; Starchefkoch André Brauer (Daniel Keberle) liegt, so als sei das ein Hinweis auf seine menschlichen Qualitäten, erstochen neben den Mülltonnen.
Hells Kitchen, wie es der ÖRR sieht
Wer geglaubt hat, dass man ein Sternerestaurant und die dazugehörenden Mitarbeiter mit Kompetenz, Führungsstärke und Teamgeist zum Erfolg führt, der lag da ganz falsch. Wenn es nach dem Drehbuch geht, herrschen im „Efeukron“ und in der uniformierten Küchen – „Brigade“ Zustände wie in einem Strafbataillon der Fremdenlegion. Hier kämpft jeder gegen jeden, alles rangelt und zofft sich, nicht um die besten Ergebnisse, sondern auf dem vermeintlichen Weg nach „oben“, vom Tellerwäscher über den „Chef de Partie“ zum Küchenchef. Noch explosiver wird die Stimmung durch die angeblich allgegenwärtige sexuelle Belästigung in der „Gastro“, die „Marschierpulverchen“ (Koks), den Alkohol und das ständigen Adrenalinschübe. Da kommt man auch nicht runter, nur weil Souschef (Zuarbeiter des Chefkochs) Lars Eidmann (Simon Morzé) ab und zu ein Lob verteilt oder die ganze Einheit nach 14 Stunden Schicht noch in den Club zum Abtanzen darf.
Der Gute, die Böse und der Hässliche
Bekim Shehu (Josef Mohamed) dem das Efeukron grade gekündigt hat, steht natürlich auf der Liste der Verdächtigen gaaanz oben. Die „WEGA“ (Österrr. Spezialeinheit) stürmt die migrantische Schlafstätte für Saisonarbeiter und zerrt ihn aus seinem Doppelstockbett. Bekim malocht jetzt auf einer Baustelle, wo der Chef „nur nachts arbeiten lässt, damit er sich die Versicherung sparen kann.“ Der Arme hatte es gewagt, einen Sack Salz im Vorratsraum des „Efeukron“ aufzumachen, um sich da nur eine klitzekleine Prise für seine gekochten Eier herauszunehmen. Das, so Geschäftsführerin Alicia Brauer (Martina Ebm), lasse tief in seinen Charakter blicken, weshalb sie ihn aus Prinzip feuert: „wer Dieb im Kleinen ist, ist auch Dieb im Grossen“ Moritz Eisner beruhigt ihn: „a bisserl Salz nehmen sei kein Diebstahl“.
Das Mordopfer war polyamourös veranlagt, was Ehefrau Alicia angesichts ihrer hohen charakterlichen Ansprüche nicht kalt gelassen hat. Zwar gibt sie vor, das „Efeukron“ an Kindes statt mit André hochgepäppelt zu haben, aber dann platzt es doch aus ihr heraus: Dieses “Scheissrestaurant“ würde sie am liebsten abfackeln (tut sie zum Schluss auch). Ausserdem benötige sie Therapie, Joga und eine Apnoe-Schlafmaske wegen dem ganzen Stress und muss sich mit dem Souschef ihres Mannes trösten. Dass der es als Starkoch bis in die „Seitenblicke“-Doku des ORF geschafft hatte, bedeutet ihr offenbar nichts mehr.
Händchenhaltend wie ein altes Ehepaar schlendern Moritz Eisner und Bibi Fellner durch die Ermittlungen, vom Imbiss beim Chinesen (Eisner bemüht erfolglos eine KI-Übersetzungsapp) zum kurzen Auftritt von Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) mit nervendem, weil zahnenden Kleinkind bis zur gratis-Paarberatung (nur für Bibi) vom im Knast sitzenden „Inkasso Heinzi“ (Simon Schwarz).
André Brauer hatte sich seinen Souschef mit dem Wink, er würde ihn irgendwann zum Küchenchef machen, zu seinem sklavisch ergebenen Diener gemacht, ihn so erniedrigt und unter Druck gesetzt, dass Lars sogar die dringend nötige Behandlung einer Lebensbedrohlichen Blutgefäss-Schwäche (Aneurysma) für den Job am Herd hinauszögerte. Kein Wunder, dass ihm sein toter Chef immer wieder mal wie ein bedrohliches Gespenst erscheint. Sein Halbbruder, genannt „Ratte“, (Manuel Sefciuc) der eine Drogenabhängigkeit auch Dank der Anstellung im „Efeukron“ bei Lars überwunden hat, beobachtet dessen Leiden schon länger mit Sorge. Lars hortet Tabletten im Badezimmer und benimmt sich immer mehr wie ein hoffnungsloser Workaholic, den sein Beruf irgendwann ins frühe Grab bringen wird. Nachdem „Ratte“ einsehen muss, dass es seinen Halbbruder auch jetzt, da André Brauer tot ist, wie einen Junkie weiter zum nächsten Hochfrequenzjob im nächsten Sternerestaurant zieht und er wohl bald „krepiert weil er dem Chef hörig ist“ gesteht er den Mord an dem Chefkoch und lässt sich abführen.
Moritz Eisner und Bibi Fellner werden es beim Tatort Wien wohl wie von Wolfgang Ambros 1985 vorausgesagt („Langsam wochs ma zamm“) halten: „Wir streitn oft …Wir wissn hoargenau, Wann′s gnua is, Doch imma wolln ma mehr, Wir san uns manchmol völlig fremd, Doch froh, dass wir uns haben, Wir habn uns und wir habn uns gern – Und langsam wochs ma zamm!“
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Drehbuchautor(in) statt was zu arbeiten hätte ich machen sollen. Manchmal, nach dem Genuß mehrerer Hefe-Weizenbiere geht mir auch so ein Blödsinn im Kopf rum. Zu spät. Jetzt bin ich zu alt um das viele Geld, das ich hätte verdienen können, sinnvoll auszugeben.