Täter-Opfer-Umkehr: Medien zu Macron, Erdogan & Charlie Hebdo

Statt sich mit den Problemen des Islamismus zu befassen, spricht die deutsche Presse lieber über Islamfeindlichkeit. Müssen die Karikaturen denn sein? Was Terroristen und Erdogan nicht erzeugen können schaffen wir selber: Islamkritik wegdrücken. 

imago images / ZUMA Wire

Auf dem Berliner Hermannplatz demonstrierten in der vergangenen Nacht Muslime mit „Allahu Akbar“-Rufen gegen Emmanuel Macron, in Lyon ziehen Erdogan-Anhänger aggressiv durch die Straßen. Erdogan beklagt: „Die Muslime erleben heute eine ähnliche Lynchkampagne, wie sie gegen Juden in Europa zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geführt wurde“ und rief zum Boykott französischer Waren auf.
Zur Erinnerung: Es war kein Franzose, der einen Islamisten auf offener Straße enthauptet hat. In Nizza sind auch keine Katholiken auf AKP-Anhänger losgegangen und es wurde niemand in einer Moschee geköpft.

TS: Frankreich "gießt Öl ins Feuer".

WDR: #CharlieHebdo "heizt Spannungen an".

taz: Mord "aufgebauscht".

Unfassbare Täter-Opfer-Umkehr.#Islamismus#Medienpic.twitter.com/5ZIwGcyGG4

— Moritz Michelson???? (@MoritzMichelson) October 28, 2020

Und doch reden wir über Islamfeindlichkeit. Der Autor Stephan Anpalagan teilt seinen über 55.000 Twitter-Followern mit, man müsse Islamismus bekämpfen „ohne den 50 Millionen Muslime auf diesem Kontinent das Leben weiterhin zur Hölle zu machen.“ Der Ökonom Stephan Schulmeister schreibt gar über die Mohammed-Karikaturen: „Sie provozieren Hass, erschweren Differenzierung zw. Fundis und Normalos auf beiden Seiten“ und widersprächen der europäischen Aufklärung.

Der Tagesspiegel empört sich über eine Äußerungen des französischen Bildungsministers, der von „Islam-Linksextremismus“ sprach – er gieße damit Öl ins Feuer. Die Taz stört sich daran, dass Macron nach der Ermordung von Samuel Paty einen Staatsakt vollzog, da „der den Populisten in der islamischen Welt nun wiederum die Möglichkeit bot, sich ihrerseits als Verteidiger des angeblich angegriffenen Islam zu gerieren.“ Macron habe das ganze aufgebauscht. Außerdem spiele die neue „grenzwertige Erdogan-Karikatur“ von Charlie Hebdo Erdogan in die Hände.

Der Spiegel wiederum greift die Äußerung Macrons kritisch auf, es gäbe ein “Recht auf Blasphemie“, seine Rhetorik sei teilweise „aggressiv“. Zuvor hatte der Spiegel Macron schon zum „Verlierer des Tages“ erkoren, weil er neue Wunden aufgerissen und sich durch seine Äußerungen in einen Konflikt mit mehrheitlich muslimischen Staaten begeben habe.

Der WDR sagt zur neuerlichen Erdogan-Karikatur: Charlie Hebdo „heizt Spannungen an“. Die NZZ schreibt „Allerdings stellte sich schon bei den ursprünglichen Mohammed-Karikaturen die Frage, ob alles, was sein darf, auch sein muss.“ Und: „Am Ende gleicht die Zeitschrift darin Erdogan: Der von ihr entfachte Streit dient vor allem den eigenen Interessen.“

Ja, natürlich, Charlie Hebdo hat in den letzten Jahren massiv von ihren Mohammed-Karikaturen profitiert. Auch 2015… musste das denn sein?

Enthauptungen scheinen ihren Zweck zu erfüllen: In klassischer Täter-Opfer-Umkehr beschränkt man hierzulande das Sagbare über den Islam. Kein „Jetzt erst recht“ – der Terror verleiht islamistischen Forderungen Nachdruck, man zensiert sich in vorauseilendem Gehorsam selbst.

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