Suhrkamp distanziert sich von Uwe Tellkamp

Der Autor wird für einen unerlaubten Fragesteller bestraft. Der Offenbarungseid eines Verlages, der renommiert war.

@ John MacDougall/AFP/Getty Images

Wer den Unterschied zwischen Schäbigkeit und Gesinnungsschäbigkeit noch nicht kannte, darf sich freuen: Suhrkamp hat gerade exzellent vorgeführt, wie es geht, als der Verlag seinen Bestsellerautor und Buchpreisträger Uwe Tellkamp aus den Niederungen eines Twitter-Accounts heraus, quasi im Vorbeigehen, vorübergehend zu einer Persona non grata erklärte. Verdächtig, die Sache Pegidas und der AfD zu vertreten. Ein Warnschuss, ein Disziplinierungsversuch wie ein Widergänger light aus dem DDR-Kulturministerium oder schlimmer: der Reichskulturkammer.

Besonders abstoßend an diesem Vorgang bei Suhrkamp: Er passierte ungefragt, unverlangt, eigeninitiativ. Und mit nur einem klaren Ziel, eine Debatte anzustoßen mit dem Ergebnis, einen Top-Autoren des Hauses zu disziplinieren, der dem Verlag mit seinem Bestseller „Der Turm“ einst hunderttausende Euro eingespielt hatte.

Suhrkamp hatte getwittert: „Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln. #Tellkamp“

Bittere Worte
Uwe Tellkamp im Original-Ton
Vorausgegangen war eine Podiumsdiskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein im Dresdener Kulturpalast. Beide Autoren sind in ihren Biografien eng mit Dresden verbunden. Anlass des Zusammentreffens waren die Ereignisse auf der Frankfurter Buchmesse 2017 rund um die Frage, ob rechts verortete Verlage in Frankfurt ausstellen dürften oder nicht. Rund 700 Dresdner und ihre Gäste wollten nun hören, was die beiden Autoren dazu zu sagen haben, das Gespräch wurde kurzfristig vom Foyer in den großen Saal verlegt.

„Die beiden kennen sich, sie haben etliche Gemeinsamkeiten, hochdekorierte Schriftsteller, geschätzte Intellektuelle des Landes.“, schreibt die Zeit zur Veranstaltung. Beide Autoren reflektierten schriftstellerisch über die Vergangenheit der Stadt, nun sollte es um die Gegenwart gehen. Im Geburtsort von Pegida sicher noch einmal interessanter als anderswo. Entsprechend groß auch das Interesse.

Und Tellkamp liefert offensichtlich ab, wenn wieder die Zeit kommentiert, im Dialog zwischen Grünbein und Tellkamp wäre schnell klar geworden, dass es hier die selbe Konfrontation gäbe, wie zigfach in diesem Land. Was dann den Suhrkamp Verlag zu seiner Ungeheuerlichkeit veranlasste, mag einer der Kernsätze der Debatte in Dresden aus dem Munde Tellkamps erklären: „Wir veranstalten ein Großexperiment, ohne dass die Leute, die daran teilnehmen müssen, gefragt werden. Machen Sie sich keine Sorgen, dass sich das Land in sehr kurzer Zeit verändert? 95 Prozent der Migranten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung. Sie wandern in die Sozialsysteme ein.“ Grünbein erwiderte: „Wir müssen differenzieren. Ich bin für ein Einwanderungsgesetz. Aber ich habe keine Angst. Dass wir in diesem Land so vielen Flüchtlingen helfen, das ist ein Ruhmesblatt.“

So weit, so interessant, so überaus wichtig, weil diskussionswürdig. Aber was den Verlag in seinem Innersten getroffen haben mag und hin zu einer Gesinnungsschäbigkeit sondergleichen veranlasste, kam vielleicht sogar von außen, hatte überhaupt nichts mit den Diskutanten auf der Bühne zu tun. Wurde ausgelöst, brachte das Fass bei Suhrkamp zum Überlaufen, als sich ein für diese Debatte wichtiger Protagonist als Zuschauer in der Aussprache zu Wort meldete. Die Rede ist von Götz Kubitschek. Der forderte dazu auf, den Riss in der Gesellschaft noch zu vertiefen. Der Riss müsse noch konkreter sein, damit alles auf den Tisch kommt. Durs Grünbein nutzt die Gelegenheit und macht aus dem Fragenden einen Antwortenden, als er mit Kubitschek in den Kurzdialog tratt.

So weit so gut. So interessant, so selten und wichtig, was Grünbein und Tellkamp da anboten. Aber dass es nun ausgerechnet Kubitschek sein musste, der offensichtlich diese Diskussion für den Verlag so unerträglich machen sollte, ist nur ein weiterer Erfolg für den Vordenker einer Neuen Rechten aus Schnellroda in der Nähe von Leipzig. Dort, wo dessen Antaios Verlag zu Hause ist. Und selbstverständlich musste Kubitschek hier anwesend sein, immerhin lieferte der Auftritt seines Verlages auf der Frankfurter Buchmesse überhaupt erst den Anlass für diese Diskussion im Kulturpalast.

Dazu passt dann auch, dass sich im selben Atemzug die Junge Freiheit gerade von der Leipziger Buchmesse verabschiedet hatte, weil man sich von den Messemachern mit Verlagen wie dem von Kubitschek in eine Ecke gestellt sah. Und zwar nicht zuerst ideologisch, sondern zunächst räumlich. Für Herausgeber Dieter Stein wohl eine Unerträglichkeit, dabei haben es Weggefährten wie Kubitschek letztlich der jahrzehntelangen Vorarbeit eines Dieter Steins zu verdanken, dass sie heute medial so viel Aufmerksamkeit bekommen. Stein hat den Boden bereitet. Beide haben lange zusammengearbeitet, die Massenzuwanderung ab Ende 2015 tat dann ihr übriges, die Haltung Kubitscheks massenkompatibel zu machen. Die Zeit titelte nach einem Besuch in Schnellroda launig: „Alles wie im Wendtland.“

Aber zurück auf die Bühne in Dresden. Dieser Uwe Tellkamp hat ja hier kein „rechtes” Coming-Out , er war immerhin unbeschadet einer der Unterzeichner einer „Charta 2017“ der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen (Buchhaus Loschwitz), die in einem offenen Brief an den Börsenverein den Umgang mit „andersdenkenden Verlagen“ auf der Frankfurter Buchmesse kritisiert hatte. Auch Autorin Cora Stephan hatte die Charta unterzeichnet, ohne dass ihr Verlag Kiepenheuer & Witsch sich deshalb veranlasst sah, sich von ihr und ihrer Haltung in irgendeiner Weise zu distanzieren.

Was Suhrkamp nun final veranlasst hat, sich auf Twitter zum Zuchtmeister eines seiner besten Pferde im Stall zu erheben, ist unerheblich. Nicht unerheblich ist der Schaden, der damit angerichtet wurde. Diskussionen der Art, wie sie in Dresden öffentlich geführt wurden zwischen Tellkamp und Grünbein, zwischen zwei der herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Gegenwartsliteratur, dürften nun für dieses große Heer weniger bedeutender Literaten noch schwieriger geworden sein, die auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen solcher Verlage angewiesen sind.

Und weil das nun alles so schäbig ist, soll hier noch mal der 2002 verstorbene Siegfried Unseld, langjährige Leiter des Suhrkamp Verlages, zu Wort kommen, mit einer Art Leitplanke zur Verlagspolitik, mit der sich der Twitter-Account Suhrkamps heute freimütig schmückt: „Hier werden keine Bücher publiziert, sondern Autoren“.

Aber was bitte ist daran so falsch zu verstehen, dass man nun meint, sich von der legitimen Haltung eines deutschen Buchpreisträgers im Verlag öffentlich distanzieren zu müssen?

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Kommentare ( 177 )

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Gerdt Novak
6 Jahre her

Machen wir uns nichts vor, weder Tellkamp noch Grünbein waren dem Thema gewachsen. Grünbein kann man ohne Boßhaftigkeit wohl als weitestgehend ahnungslos bezeichnen. Und auch Tellkamp – vielleicht einer möglichen Anspannung geschuldet hätte seine Gedanken besser ordnen und formulieren können. Leider tifft literarischen Betrieb häufig Leute an, die nicht präzise, klar und verständlich formulieren können. Häufig wird geschwurbelt, obwohl der Sachverhalt klar ist. Beispiel: Man weiß wie hoch die Analphabetenrate unter diesen Leuten ist, und man kennt die Höhe der statusrechtlich wirklichen Flüchtlinge. Der Rest ist Moralismus a`la Grünbein! Niemand ist dazu in der Lage, zwischen der politschen Fragestellung und… Mehr

Mozartin
6 Jahre her

Nun hat sich ja nicht Herr Tellkamp von Suhrkamp distanziert.
Egal, wenn Können gegen Macht aufstünde und sei es verlegerische Macht – Herr Unseld lebt schliesslich nicht mehr -, dann wird es spannend.
Herr Tellkamp hat ja eine hochspannende vita laut Wiki, zur Not kann er auch wieder als Arzt arbeiten und sei es als Verfolgter der überspitzt gesagt „Merkelregierung“ in den USA.
Ich kann es gut leiden, wenn starke Schultern mehr tragen als schwache.

Titanium
6 Jahre her

Selbstzensur ist im heutigen (atheistischen!!) China gang und gäbe. Man möchte, verständlicherweise, keinen ungebetenen Besuch erhalten, den man an der Tür nicht so einfach abweisen kann. Übrigens, es handelt sich hier um einen 24-Stunden-Service.

Ihr Urteil zu Grünbein ist viel zu milde. Ich kann den als Schriftsteller (er kann überhaupt nicht denken) nicht mehr ernst nehmen.

Hans Ecke
6 Jahre her

Ich verstehe die Aufregung nicht. Ist doch völlig normal und logisch, daß die Haltung eines Autors (Induviduum) nicht immer identisch ist, mit der seines Verlages. Wo ist das Problem für den Autor? Wenn man nicht mehr vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, dann trennt man sich eben und findet neue Wege. Für die Leser und Käufer ist es allerdings gut zu wissen, welche Haltung der Suhrkamp-Verlag nicht hat. Ob er diese respektiert oder nicht, gibt der Tweet nicht her.

Ricarda
6 Jahre her
Antworten an  Hans Ecke

„Es gehört zu den Grundprinzipien autoritärer Systeme, missliebige Personen mundtot zu machen. Dies geschieht auf mehreren Wegen und wiederholt sich seit Menschengedenken auf immer dieselbe Weise. Doch während hierzulande im vergangenen Jahrhundert sowohl das nationalsozialistische, als auch das kommunistische Unrechtsregime für alle als Diktatur erkennbar waren, spielt sich die Verfolgung heute zumeist subtiler ab und erscheint dem Unbedarften nicht mehr sofort als staatlich organisiert. Sie ist es gleichwohl, wie die regelmäßige Ächtung nichtkonformer Wortmeldungen durch Regierungsmitglieder zeigt.“ Ramin Peymani – 12. March 2018 epochtimes

Hans Ecke
6 Jahre her
Antworten an  Ricarda

Ricard, Ihr Hinweis sagt erstmal nichts zum Suhrkamp-Tweet, sondern verweist nur auch ein weiteres Geblubber aus der Echokammer. „Privatmeinung, die ich nicht teile“ sagt Frau Ministerin Stange. Ja und? Soll sie ruhig öfters und vehement Ihre Meinung öffentlich machen, dann bleibt sie vielen im Gedächtnis. So wie der „das Pack“-Siggi, der „ohne islamische Einwanderung degeneriert Europa“-Wolfgang oder „wir haben in Deutschland viel Platz“-Gauckler. Wer erwartet denn, daß eine SPD-Ministerin, für die „wirtschaftliche Not“ ein Grund ist, die hiesigen Gesetze zu brechen, die Privatmeinung eines nachdenklich gewordenen Schriftstellers teilt?! Dieses Mitglied einer noch 10%-Partei (in Sachsen) wird 2019 arbeitslos und richtet… Mehr

Dom
6 Jahre her

Ich denke auch, wir haben so viel Macht: Alles boykottieren, was uns zur Minderheit im eigenen Land machen will. So einfach ist das und dann wollen wir doch mal sehen.

Georg Caltern
6 Jahre her

Suhrcamp ist der Verlag, der z.B. die Bücher von Judith Butler verlegt (http://www.suhrkamp.de/autoren/judith_butler_682.html?d_view=veroeffentlichungen).

Das Verhalten des Verlages ist also absolut konsequent und jede Aufregung über das Verhalten dieses Verlages kommt ca. 25 Jahre zu spät.

Ute
6 Jahre her

Die gefährliche Wirkung der zunehmend polarisierten Gesellschaft brachte die Moderatorin Karin Großmann bei ihrer Einführung treffend auf den Punkt. Sie regte an, den Platz zu wechseln, wenn man neben einem Nachbarn sitzen sollte, mit dem man in dieser öffentlich aufgezeichneten Veranstaltung nicht zusammen gesehen werden möchte. Und damit meinte sie sicherlich keine Sitznachbarn aus dem “weltoffenem, buntem und tolerantem’” Lager. Wer allerdings neben einem AfD- bekanntem Gesicht oder gar neben dem anwesenden Götz Kubitschek gesessen haben sollte und etwas zu verlieren hat, war sicherlich gut beraten, Frau Großmanns Rat zu folgen ….

Kevin
6 Jahre her

Ich liebe Thriller. Leider ist mir in den letzten Jahren aufgefallen, dass auch dort die Helden immer mehr die ‚richtige‘ Einstellung haben. Der rauchende, ungesund lebende, Donuts essende Kriminalkommissar verkommt zu einer schlanken, sportlichen, vegan lebenden Kommissaranwärterin, die oft noch nicht einmal zu Ende studiert hat, weil sie auch so schon genial genug ist. Außerdem hat sie Mitleid mit ihren männlichen Kollegen, die fettige Zwiebelringe auf dem Steak essen. Sogar in Steven King gibt es mittlerweile verdeckte politische Statements. Liebe Verlage: lasst wieder Inhalte zu, die auch Donny gefallen würden. Ist doch nur Spaß und Entspannung in unserem anstrengenden Steuerzahler-Leben.… Mehr

Knobel
6 Jahre her

In Zukunft Augen auf beim Bücherkauf…..