Über den Thesenanschlag einer versuchten neuen sozialistischen Internationale, der sich zwischen jämmerlicher Resignation und Aufruf zur progressiven Revolution nicht so recht zu entscheiden weiß.
Rainer Forst, staatlich bezahlter Hochschullehrer, und der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich gehen in der ZEIT unter der Rubrik „Wo geht’s noch mal nach links?“ der Frage nach: „Kann die Linke noch kämpfen?“ Eigentlich könnte man das als Zeitungsleser, der Auf- und nicht Verklärung sucht, getrost überblättern. Es offenbart sich schnell als Thesenanschlag einer versuchten neuen sozialistischen Internationale, der sich zwischen jämmerlicher Resignation und Aufruf zur progressiven Revolution nicht so recht zu entscheiden weiß.
Ohne dass in der Einleitung die Wirklichkeit eklatant gebeugt wird, wäre soundso alles Folgende hinfällig. Ohne die bloße Behauptung von schwindendender Gerechtigkeit und ohne die Ignoranz der globalen Wohlstandsfortschritte, seit demokratische Staaten Mitte des letzten Jahrhunderts begonnen haben, die Welt marktwirtschaftlich zu globalisieren, ohne solche grundlosen Festen des Denkens fehlt der Argumentation jeglicher Halt. Natürlich ist die Welt noch lange nicht zum Paradies geworden. Doch zu unterstellen, alles wird immer schlechter, ist fahrlässiger Unsinn. In der sich neoliberal globalisierenden Welt nehmen Hunger und absolute Armut ab, Lebenserwartung und Bildung zu.
Genauso haltlos plump wird von Forst und Ulrich der Lösungsraum abgesteckt. Es geht um globale Herausforderungen, also müssen supranationale Lösungen organisiert werden. Punkt. Für globale Probleme kann es keine nationalen Lösungen geben. Punkt. Das ist doch einfach logisch: global ungleich national. Wer solche Logik kennt, braucht auch keine Belege. Bei „Subsidiarität“ waren Forst und Ulrich in ihrem Politikwissenschaftenstudium wohl in kollektiven Traumschlaf verfallen.
Wie gesagt, wenn so verwegen Axiome gesteckt werden, müsste man eigentlich umgehend weiterblättern. Hätte ich es nur getan. Es wäre mir einiger Ärger erspart geblieben. Denn in ihrem Pamphlet erklären die Autoren dann nicht nur ihre eigenen quasi-religiösen Weltverbesserungsbekenntnisse, sondern erdreisten sich zudem in grenzenloser Arroganz ein abschließendes Pauschalurteil über Andersdenkende. War die Abhandlung bis hierher billig, wird es ab da unwürdig:
„Auf liberal-konservativer Seite wird die Nationalisierung von Problemen und die Globalisierung ökonomischer Strukturen, die dadurch nicht hinterfragt werden, begrüßt, da so die Nationalökonomien die Aufräumarbeiten erledigen, die eine transnationale Wirtschaft hinterlässt, die ihre Profite nach eigenen Regeln erwirtschaftet und verteilt.“
Das ist echt starker Tobak. Alle bürgerlichen Liberalen werden mit Bausch und Bogen als verantwortungs- und auch vaterlandslose Kapitalistenschweine abgetan. Für Liberal-Konservative wäre der Nationalstaat nur eine wehrlose Müllhalde und das politische Streben allein der Bereicherung der eigenen Klasse geschuldet. Mit Verlaub, es wird sicher einige Ganoven auf der Welt geben, die so denken, und in manchen Konzernstrukturen hat sich inzwischen die Organisation des Nicht-Verantwortlich-Seins ausgebreitet und wird schwer wieder einzufangen sein, aber das hat nichts mit politischen Haltungen zu tun. Verantwortung für sich und sein Umfeld ist nachgerade der Kern des Konservatismus genauso wie des Liberalismus.
„Verantwortung ist die Freiheit der Erwachsenen“, hat es Bundespräsident Gauck einmal schön auf den Punkt gebracht. So denken freisinnige Bürger und haben damit in den letzten Jahrzehnten die Wohlfahrt dieser Welt gemehrt. Gerade für die „Klasse“, die Forst und Ulrich teuflisch an die Wand malen – Millionen von Familienunternehmern, Selbständigen und Freiberuflern in Deutschland, die sich selbst liberal und/oder konservativ nennen würden –, ist das nicht in Frage stellbares Selbstverständnis: Verantwortung für die eigene Familie, Verantwortung für die Mitarbeiter, Haftung für das unternehmerische Tun, Verantwortung für das regionale Umfeld und auch die humanitäre und ökologische Verantwortung für diese Welt, wie wenig man das auch oft in der eigenen Hand glaubt. Erwachsenes Staatsbürgertum. Sozialistische Gedankenspielereien in grundlosen Luftschlössern ohne Hauch einer Ahnung, woher die Weltrettungsmittel eigentlich kommen sollen, sind dagegen Kindergarten.
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