Darf man als Journalist auch mit Kriegsverbrechern, Terroristen und Diktatoren sprechen? Vielleicht ist die Frage weniger, ob man wie im aktuellen Fall mit der Hamas spricht, sondern vielmehr, ob man ihr auch richtig zuhört, wenn sie ihre Antworten gibt und ihre deutlichen Absichten offenbart.
Für helle Aufregung sorgte in den vergangenen Tagen in den Sozialen Netzwerken ein Interview des Magazins Stern – ein Interview mit niemand geringerem als Ali Baraka, dem außenpolitischer Sprecher der Hamas. Geführt hat es die Reporterin Sophia Maier im Libanon. Bei X kündigte sie es mit den Worten an: „Wer den Krieg in Gaza verstehen will, muss mit der Hamas sprechen.“
Viele Nutzer zeigten sich empört. So schrieb der Account „ÖRR Antisemitismus Watch“: „Nein, man muss nicht mit Mitgliedern einer Terrororganisation sprechen, um zu verstehen, dass der Auslöser für das in genozidaler Absicht durchgeführte Massaker vom 7. Oktober mörderischer Hass auf Juden war.“
Die jüdische Journalistin Mirjam Fischer schrieb, Maiers Aussage sei „eine Fehleinschätzung und auch naiv“. Die Userin Anna erklärte: „Wenn ich wissen möchte, warum Hamas und ihre Anhänger in Palästina nach Israel sind und über 1.000 Menschen abgeschlachtet haben, dann verharmlose ich diese Mörder und Vergewaltiger und spiele Psychiater. Und das sehe ich als falsch.“ Und „Fräulein Holle“ schrieb ironisch: „Man hätte mit Hitler auch einmal so ein Interview führen müssen. Man hätte den zweiten Weltkrieg viel besser verstanden.“
Tatsächlich ist die Angelegenheit heikel: Darf man als Journalist auch mit Kriegsverbrechern, Terroristen und Diktatoren sprechen? Bei vielen dürfte sich zunächst ein Störgefühl einstellen. Als ich von dem Stern-Interview hörte, erinnerte ich mich allerdings schnell daran, dass ich vor geraumer Zeit ein Interview des von mir sehr geschätzten jüdischen Publizisten Henryk M. Broder gelesen hatte – mit Abdel Asis Rantisi, einem Hamas-Anführer.
Das Interview fand 1997 statt, ist also schon viele Jahre her, es war vor der „Zweiten Intifada“, vor der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen, natürlich lange vor dem 7. Oktober, allerdings bereits nachdem die Islamisten 1994 begonnen hatten, das Instrument der Selbstmordattentate in Israel einzusetzen. Würde Broder so ein Interview auch heute noch führen und veröffentlichen? Ich weiß es nicht.
Was mir aber viel wichtiger erscheint als die Frage, ob man mit der Hamas überhaupt als Journalist Interviews machen soll, ist, was Broder 2004, einige Jahre nach seinem Interview mit Rantisi, über diesen schrieb: „Was mir an ihm gefiel, was ich schätzte, war, dass er im Gegensatz zu den Sprechern der PLO grundehrlich war und nicht einmal den Versuch unternahm, nett, kompromissbereit und pragmatisch zu erscheinen.“
Darüber muss man kurz nachdenken: Denn einerseits ist die Hamas abgrundtief verlogen, weil sie etwa die Gräuel des 7. Oktober leugnet. Im Stern-Interview erzählt Hamas-Sprecher Baraka zum Beispiel, der Angriff habe auf die Armee, nicht auf Zivilisten gezielt: „Wir haben keine Zivilisten absichtlich getötet.“ Zudem habe es keine Vergewaltigungen gegeben: „Wir vergewaltigen nicht. Wir haben zwei, drei oder vier Frauen, warum sollten wir dann vergewaltigen wollen?“ Und die Hamas verstecke sich auch nicht hinter Zivilisten. Der Stern hat diese groben Lügen (nicht aber jeden einzelnen Propagandasatz) im Interview nicht umkommentiert gelassen, sondern eingeordnet.
Andererseits aber ist die Hamas, wie schon Broder seinerzeit feststellte, heute wie damals auch ziemlich ehrlich. Im Stern-Interview sagt Baraka, dass alle Juden, „deren Vorfahren hier eingewandert“ sind, „in ihre Heimat“ zurückkehren und ein Staat in ganz Palästina entstehen solle: „Wir wollen einen Staat, unseren Staat.“ Der Stern ordnet diese Aussagen im Interview vollkommen richtig ein: „Barakas Plan würde bedeuten: Der allergrößte Teil der jüdischen Bevölkerung müsste aus Israel deportiert werden.“
Vielleicht ist die Frage weniger, ob man mit der Hamas spricht, sondern vielmehr, ob man ihr auch richtig zuhört, wenn sie ihre Antworten gibt. Ich denke, das ist das eigentliche Problem in Deutschland: Wir hören weder der Hamas noch dem Iran zu, wenn sie offen bekannt geben, Israel vernichten zu wollen. Vielleicht hören wir ihnen auch zu, tun ihre Drohungen dann aber als hohles Gerede oder Propaganda ab. In den 1930er Jahren haben auch Juden diesen Fehler begangen. Seitdem steht für das jüdische Volk fest, dass es jene, die es nicht vernichten wollen, immer beim Wort nimmt.
Übrigens liegt es mir fern, die Stern-Interviewerin Sophia Maier zu verteidigen. Ihre Behauptung, es brauche so ein Interview, um den Gaza-Krieg zu verstehen, ist natürlich übertrieben: Am Ende kommt bei Barakas Antworten nichts Neues herum. Und im Grunde reicht es sowieso aus, sich die Hamas-Charta durchzulesen, wenn man die Hamas und ihren genozidalen Charakter verstehen will.
Dass Maier nun wegen des Interviews so heftige Reaktionen abbekommt, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie bisher im Nahost-Diskurs als betont palästinenserfreundliche und israelkritische Stimme aufgefallen ist. Ende März veröffentlichte Stern TV eine einstündige Doku Maiers, die vor allem dadurch auffiel, dass sie die israelische und palästinensische Seite auf eine Stufe stellte. So entstand etwa der Eindruck, israelische Siedler seien in Israel ungefähr das, was „Kämpfer“ (sprich: Terroristen) in der palästinensischen Gesellschaft sind. Genau diese falsche, da schiefe Äquidistanz, ist eines der größten Probleme im deutschen Nahost-Diskurs.
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Sehr gut!
Leider brauchen westliche (Print- und sonstige) „Knaller“, um gelesen, gehört, geschaut, zur Kenntnis genommen zu werden.
STERN Print Magazin liegt eine Woche zwischen SPIEGEL, FOCUS, und Society/ Promi Blättern wie BUNTE und GALA, und diversen zig anderen Blättern.
Die STERN Magazin Sendung im TV liegt zwischen zig anderen Sendungen in zig TV Sendern.
Da muss STERN natürlich „auf die Pauke “ hauen!
Natuerlich ist es grundsaetzlich erlaubt und meines Erachtens auch sinnvoll , die „Gegenseite“ , also die „Boesen“ zu interviewen , allerdings haette dies auch Geltung , wenn ich auf der anderen Seite stuende . Der fade Beigeschmack entsteht aber durch die Auswahl des Gespaechspartners , in diesem Fall den Sprecher der Hamas , was darauf schliessen laesst , dass hier Antworten gefunden werden sollten , die man auch hoeren wollte . Es muss doch von vornherein klar gewesen sein , dass das Ergebnis schiere Hamas-Propaganda sein wuerde . Haette der Stern den Isrealischen Regierungssprecher befragt , waere es ebenso gekommen… Mehr
„Barakas Plan würde bedeuten: Der allergrößte Teil der jüdischen Bevölkerung müsste aus Israel deportiert werden.“ Ironischerweise bedeutet es auch, dass man den allergrößten Teil der sog. Palästnenser deportieren müsste, denn deren Vorfahren sind ebenfalls mehrheitlich erst im 19. und 20.Jahrhundert in das Gebiet eingewandert – und zwar nach Beginn des Zionismus, weil sie an dem wirtschaftlichen Aufschwung durch die einwandernden Juden profitieren wollten. Vor 1850 war das Gebiet ein entvölkertes, heruntergekommenes Loch wo ein paar tausend einheimische Juden neben ein paar Beduinen und sesshaften Arabern, Aramäern, Drusen, Turkmenen und Kurden (die Hälfte davon christlich) die heute allesamt als „Palästinenser firmieren,… Mehr
nicht mit der Hamas reden, sondern mit der Besatzung und Unterdrückung aufhören. Wer möchte schon unter solchen Bedingungen leben wollen.
Ja, ich bin auch immer wieder fassungslos wie wenig Hintergrundwissen bei den akademischen „Islamkennern“ vorhanden ist. Habe neulich mit einer Dame gesprochen, die Orientalistik studiert hat und erklärte, dass sie nie im Koran gelesen hat. Ich verstehe das nicht.
Aber das ist mir schon beim IS aufgefallen. Die sagen was sie vorhaben und versuchen es dann durchzuziehen. Das muss man einfach mal anerkennen und nicht die Augen fest zumachen und zu denken: „Das meinen die nicht ernst. Das können sie nicht machen. So schlimm wird es nicht werden. usw.“
Ich bin dafür, daß diese Interviews geführt werden, mit Diktatoren, Massenmördern, Antidemokraten, Faschisten und sonstigem Gelichter. Deren Antworten sollten aber auch Grundlage für den Sorverän für seine Wahlentscheidung sein, und es müssen dann auch Konsequenzen daraus folgen, zB Sanktionen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde, Einreisebeschränkungen für Vertreter von Terrostaaten, usw.
Und das nicht nur einseitig, sondern umfassend…
„Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirbt es, um es zu besitzen“
lehrte man meine Generation noch in der Schule. Heute sollten wir uns täglich darauf besinnen – egal, was solche Migrationspfuscherinnen ungefragt absondern.
Es tut mir leid, aber allein die Fragestellung „Darf man mit XY reden“ zeugt von den Folgen der sich immer weiter verbreitenden Cancel Culture und des Moralismus. In einer demokratischen Gesellschaft darf man selbstverständlich mit jedem reden; als seriöser Journalist muss man das m. E. sogar. Und wer gute Argumente hat, braucht den Diskurs nie zu scheuen.
Waren doch nur alles Einzeltäter, die psychisch krank sind. Unfassbar, wie man hierzulande mit dem mörderischen Abschaum der Hamas umgeht.
Der „Stern“ bleibt sich treu: Qualität sucht man vergeblich. Ob solche Dinge den drastischen Rückgang der Auflage stoppen?