Bei Miosga: Gauck lobt Wahlwerbespot der AfD

Ein denkwürdiger Moment: Caren Miosga zeigt einen Werbespot der AfD zur Brandenburg-Wahl, damit sich ihr Talk-Gast umfänglich empören kann. Doch was macht der? Ex-Bundespräsident Joachim Gauck findet die Argumente der AfD nachvollziehbar! Oh, Schreck! Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Caren Miosga

Was ist da nur schiefgelaufen? Kann man das im Vorfeld nicht besser absprechen? So wie Ingo Zamperoni neulich bei „Die 100“, der den abendlichen Staffelstab gerade an Miosga übergeben hat, weil er trotz seiner missglückten Propaganda-Show überraschenderweise noch immer die Tagesthemen moderieren darf.

Oder lässt sich mit einem Joachim Gauck etwa gar nichts absprechen? Der ehemalige Bundespräsident (2012-2017) ist ja schon öfter aus der Rolle gefallen. Etwa, als er während der Corona-Pandemie plötzlich lospolterte und Ungeimpfte pauschal als „Bekloppte“ verunglimpfte.

So ungehalten damals, so betont besonnen gibt er sich heute. Bei Miosga ist er ganz der Staatsmann, um Ausgleich bemüht und um Konversation, um Miteinander und Austausch und Verständnis und Diplomatie und überhaupt. Das Ganze gewohnt verkopft. Seine Sätze sind lang und mitunter schwer verständlich, unnötig kompliziert und überintellektuell aufgeladen. An diesem Abend umso mehr, als er im zweiten Teil der Sendung mit zwei Professoren den Tisch teilt. Da will er offenbar zeigen, wo die semantische Harke hängt.

In seinen Ansichten ist er dabei allerdings weniger offen als er es vorgibt. Bei Gauck, 1940 in Rostock geboren und in der ehemaligen DDR sozialisiert, sind die Ossis noch immer in ihrem altbekannten Rahmen gefangen. Der Rahmen ist etwas abgenutzt, aber Gauck hat ihn aufgehübscht. Shabby Chic in Wörtern. Das klingt dann so: „Oft gibt es so eine Art Erstarrung vor einer Gruppe von Wählern, die einfach verunsichert sind, die nicht klarkommen mit den Veränderungen oder auch mit den Fehlern einer Regierung“, sagt Gauck. „Da wird man nicht durch Angststarre Zukunft erlangen sondern durch ein kämpferisches Engagement.“

Dabei hatte er gerade versichert, es gebe durchaus Unterschiede zwischen Ost und West. „Das hängt aber nicht mit dem Charakter der Ostdeutschen zusammen.“ Gauck spricht von einem „markanten Teil des Sorgenhaushalts unserer Bevölkerung“ und konstatiert: „Wenn da nicht sichtbar gearbeitet wird, dann entsteht natürlich die Sorge: Wissen die überhaupt, was sie wollen?“

Ganz schön verschwurbelt. Wissen wir überhaupt, was er uns sagen will? Soviel steht fest: Worte wie Messergewalt oder Gruppenvergewaltigungen fallen an diesem Abend jedenfalls nicht.

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Thema Migration. „Hat die Regierung da die Kontrolle verloren?“, will Miosga wissen. „Nein, sie zeigt ja, wie bemüht sie ist“, antwortet Gauck, aber er schränkt ein: „Das Signal der Entschlossenheit kommt reichlich spät. Wenn Sie gucken, was Nancy Faeser jetzt alles veranstaltet, dann können Sie sich das nicht vorstellen vor einem Jahr, als sie ihren Feldzug gegen Rechtsaußen da in Gang setzte.“ Es sei eine „Reaktion auf ein zu langes Zögern, zu einer entschlossenen Asylpolitik zu kommen.“ Dabei gebe es doch schon seit langem „die Autoren, die uns die Gefahren von unkontrollierter Zuwanderung wissenschaftlich seriös beschreiben“, moniert Gauck. „Die Politik hat darauf nicht reagiert.“ Es sei „ein Problem, das man gerne nicht sehen wollte, weil man zu stark auf eine fröhliche, multikulturelle Gesellschaft setzte.“

Miosga geht der ganze Abend in die falsche Richtung, das spürt der Zuschauer deutlich. Alles nicht hart genug, viel zu wenig klare Kante gegen die AfD. Sie berichtet – persönlich empört – von einer Fahrradtour durch Brandenburg. Folgendes soll sich zugetragen haben: Sie kam auf ihrem Radl nach Rathenow und wollte etwas zu sich nehmen. Doch der Einzige, der geöffnet hatte, war „ein Bengale der Döner und Curry verkaufte“. Ob diese Erzählung bei einer Stadt, die immerhin um die 25.000 Einwohner zählt, überhaupt glaubhaft ist, sei einmal dahingestellt. Spätestens dann aber wird Miosga zum Fall für Nancy Faesers Meldestellen, schließlich sollte man entschieden gegen Fake News vorgehen: „Der einzige Mann“, so Miosga, „der an diesem Tag für diesen Ort die Fahne hochhielt, gehört zu denen, die die AfD nicht mehr haben will. Warum betrachten diese Wähler diese Leute als Bedrohung, obwohl sie integriert sind. Warum?“

Damit unterstellt Miosga der AfD etwas, was ein kurzer Blick auf die Website der Partei als Desinformation entlarvt. Dort steht: „Die vielen gut integrierten Bürger mit Migrationshintergrund in Deutschland, welche die Chancen ergriffen haben, die unser Land bietet, leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind uns ausdrücklich willkommen – die Politik der AfD vertritt auch ihre Interessen!“

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Doch auch Miosgas Brandenburger „Brotzeit-Horror“ kann Gauck nicht so recht in Wallung bringen. Im Gegenteil. Über die schlechten Wahlergebnisse der CDU und die plötzliche Wandlung des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zum Abschiebe-Paulus urteilt Gauck eher mitleidig: Die Wähler „erinnern sich natürlich, dass unter einer CDU-geführten Bundesregierung die Weichenstellung so war, dass wir jetzt dieses Problem haben.“. Doch er schränkt ein: „Etwa 33 Prozent der Menschen fürchten sich vor Veränderung. Für die ist Sicherheit wichtiger als Freiheit.“. Für diese „verlorengegangenen Konservativen“ müsse Merz „konservative Angebote machen“. Und er dürfe „niemals die Ressentiments der Menschenfeinde benutzen.“

Auch die folgenden Gauck-Sätze sind Miosga erkennbar ein Dorn im Ohr: „Die Bevölkerung darf erwarten, dass es sowas wie Grenzen gibt. Polen macht an seiner Ostgrenze genau das, eine sehr starke Abgrenzung. Griechenland macht Push-Backs und versucht Leute fernzuhalten. Das alles ist auch nicht EU-kompatibel.“

Als Miosga nachsetzt, wird er allerdings schwach. „Rechtfertigt das dann, dass wir das auch machen?“, fragt sie, und Gauck antwortet: „Nein, weil wir eine Führungsmacht in Europa sind. Und wir sollten nach Möglichkeit diese Vorbildfunktion auch ernst nehmen.“ Mehr noch: „Vor allen Dingen missfällt mir, dass wir keine ausrei-chende Erzählung haben von den Gewinnen, die wir erlangt haben durch Zuwanderung“, sagt Gauck. All die „Polen, Rumänen und Ukrainer bei der Betreuung von Oma und Opa. Wo wäre unser Land ohne die?“

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Was die Menschen tatsächlich beschäftigt, benennen weder Gauck noch die Politologin Julia Reuschenbach oder der Soziologe Steffen Rau. Ein Einspieler mit Interviews junger Menschen aus Cottbus bringt Klarheit: „Man kann halt nicht mehr auf der Straße rumlaufen, ohne dass man von hinten attackiert wird“ sagt Stacie (18). „Deutschland geht immer mehr kaputt“, sagt Nico (23). Und Ephrem (18) findet den thüringischen AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke „cool. Der ist höflich, der ist freundlich, der lacht, der macht Späße. Der hat dieses ganz Chillige.“. Marcel (27) findet, „dass man eine Partei wie die AfD braucht. Ich weiß, da macht man sich keine Freunde, wenn man das sagt, aber es ist einfach so.“

Und dann kommt der Wahlkampfspot der AfD (falls Sie sich nicht das ganze Gespräch zumuten wollen: Ab Minute 39:45). Übel, findet Miosga, KI-generiert, igitt. Sie hat die Moderation aufgegeben und widmet sich jetzt ungeniert der Agitation. Nach dem Einspieler stupst sie den Ex-Bundespräsidenten an: „Na was sagen Sie, Herr Gauck?“ Und der? Schmunzelt und sagt: „Naja, es ist so: Irgendwo ist da was dran, Frau Miosga.“

Die kann es nicht fassen. Mit gefalteten Händen sitzt sie da, macht den Rücken gerade, beißt sich auf die Lippen und presst ein pikiertes Zischen durch die Nase. Ihr letzter Trumpf: „Wegen solcher Filme sagen Spitzenpolitiker wie Hendrik Wüst: Das ist eine Nazipartei. Haben die Recht?“

Gauck: „Nein, haben sie nicht.“ Er kommt zu dem Schluss: „Das Problem besteht nicht darin, dass eine übergroße Anzahl von Leuten in Europa Adolf Hitler zurückhaben wollen. Wir würden einen schweren Fehler machen, wenn wir unsere politische Auseinandersetzung konzentrieren würden auf die Nazifrage.“

Miosga muss einsehen: Die Sendung ist verloren. Eine Sendeminute dieser Talkshow kostet nach offiziellen Angaben 3200 Euro. 192.000 Euro in den Sand gesetzt…

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