Medien über Grönemeyer und die Verteidigung der Freiheit per Diktat

Wie Grönemeyer in der Ostmark nicht schwächelte, wie ein Klimademonstrant die SUV-Frage lösen will, und welchen Lyrikpreis Sawsan Chebli demnächst verdient.

Wenn Erfindung und dokumentierte Wirklichkeit nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, dann ist das nicht gut. Nicht für die Wirklichkeit, nicht für die Erfindung, nicht für die Gesellschaft und vor allem nicht für den Autor, der sich als Autor naturgemäß mal auf dem Boden der Dokumentation bewegt und mal auf dem Terrain der Parodie, also der ähnlichen Erfindung. Der Autor bekommt von seinen Lesern immer wieder die neunmalkluge Frage gestellt, wenn es um Zitate geht: Hat er das wirklich gesagt? Hat sie das wirklich gesagt? Ist das wirklich passiert? Meist handelt es sich gerade dann um keinen erfundenen Stoff. Umgekehrt: wer heute ein paar Tweets der Berliner Staatssekretärin und Kurznachrichtendienstchefin des Senats Sawsan Chebli parodiert, der findet mindestens ein Dutzend Leser, die das Ergebnis für authentisch halten. Was es ja, auf einer anderen Ebene, irgendwie auch ist.

Die Orientierung kostet in diesen Tagen schon ein wenig Mühe. Wenn beispielsweise Herbert Grönemeyer mit überkippender Stimme ins Mikrofon brüllt:

— Kurt Fischer (@FischerKurt) September 12, 2019

„Und ich glaube, es muss uns klar sein, auch wenn Politiker schwächeln, das ist glaube ich in Österreich nicht anders, als in Deutschland, dann liegt es an uns (hier anschwellendes Geschrei aus dem Publikum) dann liegt es an uns zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat“, dann führt das zu der Frage: Kann es wirklich sein, dass der deutsche Außenminister Grönemeyer dafür mit den Worten beglückwünscht:
„Es liegt an uns, für eine freie Gesellschaft einzutreten und die Demokratie gemeinsam zu verteidigen. Danke an Herbert #Groenemeyer und allen anderen, die das jeden Tag tun.“?

Ein Außenminister ist ja, zumindest formal betrachtet, nicht irgendwer. Handelt es sich, um fortzufahren, um Parodie beziehungsweise einen Hackergriff auf das Netzwerk der „Frankfurter Allgemeinen“, wenn das Blatt, das ja ähnlich wie die Position des Außenministers vor allem bürgerlichen Existenzen einmal etwas bedeutet hatte, über Grönemeyers Auftritt schreibt:

„Grönemeyer hat sich schon oft gegen den Rechtsruck ausgesprochen – nun auch bei einem Konzert in Wien. Auf Twitter regt sich Kritik: Die Rede erinnere an totalitäre Sprache von früher, beklagt etwa eine AfD-Politikerin.“
Tatsächlich: er hat sich im Sportpalast beziehungsweise in Wien „gegen den Rechtsruck“ ausgesprochen?
Dochdoch, die „FAZ“-Zeile ist authentisch und auch nicht parodistisch gemeint. Der „Tagesspiegel“ schreibt ganz ähnlich:

„Grönemeyer ruft auf seiner Tour dazu auf, ‚keinen Millimeter nach rechts’ zu rücken. Dafür wird er im Netz angegriffen. Minister Maas stellt sich hinter ihn.“

Auf der Plattform „Meedia“, die sich vor allem an Journalisten wendet, sich auch hinter den, nunja, Sänger stellt, und bei der es sich trotzdem um keinen Satireaccount handelt, beschreibt Grönemeyers Gastspiel in der Ostmark so:
„Die AfD hat sich stattdessen am Wochenende wieder einmal über Herbert Grönemeyer aufgeregt. Der hatte bei einem Konzert in Wien einen Aufruf gegen ‚Ausgrenzung, Rassismus und Hetze’ ins Mikro gerufen: ‚Diese Gesellschaft ist offen, humanistisch, bietet Menschen Schutz.’ Und: ‚Keinen Millimeter nach rechts!’“

Umgekehrt gefragt – könnte eigentlich ein Parodist genau diese Texte schreiben, die auf Grönemeyers Satz vom Diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat, überhaupt nicht eingehen, ihn noch nicht einmal zitieren, und stattdessen so tun, als würde nur die AfD den Auftritt des Sängers grotesk finden? Beziehungsweise: Jeder, der ihn grotesk findet, ist irgendwie AfD.

„Meedia“ lobt stattdessen einen Twitterer namens Shahak Shapira (Berufsbezeichnung: Satiriker, dochdoch, wirklich), der schrieb:
„Vergleichen Leute jetzt #Groenemeyer mit Goebbels, nur weil er eine Rede in ähnlicher Lautstärke gehalten hat? Mein Föhn ist ungefähr so laut wie eine Kettensäge und ich bekomme trotzdem unterschiedliche Ergebnisse, wenn ich sie mir an den Kopf halte.“

Nanu, mit Goebbels? Das kommt für die „Meedia“-Leser jetzt etwas überraschend, der kleine Doktor aus Rheydt war ja nun nicht gerade für Aufrufe gegen Ausgrenzung bekannt, noch nicht einmal, wenn es Gehbehinderte betraf. Aha, es geht und ging also um die Lautstärke. Shapira hat offenbar schon die Wirkung von Fön und Kettensäge an seinem Kopf ausprobiert, sonst könnte er uns nichts darüber mitteilen; allerdings, das legt sein Tweet nahe, fielen die Ergebnisse wohl doch nicht ganz unterschiedlich aus.

Wer die Kommentare unter der Mitteilung von Heiko Maas liest, findet dort übrigens überhaupt keinen AfD-Politiker, jedenfalls auf den oberen dutzend Positionen. Dafür einen Kommentar des Medienanwalts Joachim Steinhöfel, des Publizisten und Karikaturisten Peter Bulo Böhling und von Ralf Fücks, dem ehemaligen Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung.

Um es kurz zusammenfassen: sie „stören sich an dem Wort ‚diktieren’“, um es einmal mit den Worten der „FAZ“ zu sagen, und sehen darin und in dem Stil der Darbietung einen gewissen Widerspruch zur Idee der Demokratie. Ganz im Gegensatz zu Heiko Maas, im Gegensatz auch zu Ruprecht Polenz, dem CDU-Generalsekretär der Herzen:

Auch dieser Tweet ist echt. Sogar Ruprecht Polenz selbst ist echt. Auch, dass die „FAZ“, quatsch, die „taz“ Polenz kürzlich „den #twittergott der CDU“ nannte, ist echt, echt und nochmals echt, verdammt noch mal. Ich erfinde das nicht.

Es handelt sich auch um keine Erfindung, dass ein etwas grönemeyeresk erregter Mann bei einer Fridays-For-Future-Demonstration vergangene Woche in Berlin, über die Henryk Broder für die WELT berichtete, nicht nur SUVs abschaffen wollte, sondern auch die Fahrer, und das auf dem allerpraktischsten Weg: „Man müsste mal den Auspuff ins Innere der Autos leiten, dann würden die sehn, was da hinten alles rauskommt.“

Worauf Broder den Herrn darauf aufmerksam machte, dass diese technische Lösung gerade in Deutschland nicht ganz neu ist. Die Szene kann am sich auf WELT und Welt24 ansehen.

Ganz echt ist auch, um nun endlich zum Ausland zu kommen (Österreich beziehungswiese Wien, wo Grönemeyer seine Ansprache hielt, gehört ja nach hiesiger Medienüberüberzeugung nicht richtig dazu), ganz echt ist auch die Neudefinition des Begriffs „Despot“, die die „Süddeutsche“ vornimmt:

Nicht nur die Putschherrscher in Albion und USA sind dran. Auch Italien „schwächelt“ (Grönemeyer). Die „Tagesschau“ informiert: „Salvini droht mit Referenden“. Ursprünglich lautete die Überschrift bei der Tagesschau übrigens: „Salvini droht mit Wahlen“.

Ebenfalls nicht erfunden – jedenfalls nicht von mir – ist die Meldung, dass die „SPIEGEL“-Schreiberin Margarete Stokowski den Tucholsky-Preis erhalten hat. Ihre Kolumnen, so die Jury, „zeichneten sich aus durch eine kompromisslose Entlarvung gesellschaftlicher Missstände, präzise Sprache und gekonnte Ironie aus. Damit steht sie unzweifelhaft in der Tradition Kurt Tucholskys.“

Mein Stokowski-Lieblingstext ist übrigens ihr Aufruf zur Abschaffung des gesellschaftlich missständigen Spargels:
„Der Spargelkult muss enden
Es ist das privilegierteste Gemüse Deutschlands, der alte weiße Mann der Kulinarik, Dickpic-Ersatz im Netz – auch Markus Söder hat was dazu zu sagen. Ach ja, die Ernte ist übrigens auch menschenverachtend. Eine Abrechnung.“

Ironie ist in dem Text nicht aufzuspüren, noch nicht mal gekonnte. Auch in den anderen Texten Stokowskis nicht. Aber überhaupt: welche anderen Stokowski-Texte? Variations- beziehungsweise vielfaltstechnisch ist die Preisträgerin ja eher der Dieter Bohlen unter den preisgezeichneten guten deutschen Publizisten. Da war Claas Relotius einfallsreicher.

Wenn ein Schreisack, der schon einen Millimeter rechts von sich den Faschismus marschieren sieht und dafür plädiert, das Gute einfach zu diktieren, als Demokrat durchgeht, Heiko Maas als Außenminister, ein Shapira als Satiriker und Margarete Stokowski als kongeniale Nachfolgerin des toten weißen Tucholsky, dann klingt das so und hört sich so an, als wäre das Politik- und Mediendeutschland von Avataren besetzt, denen Autoren von „South Park“ auf Crystal Meth die Texte schreiben. Offenbar gibt es dafür auch ein Publikum. Mich zum Beispiel.

Vorerst erfunden ist die Meldung, dass Margarete Stokowski und Ruprecht Polenz die neue Doppelspitze der CDU bilden, eine Bertelsmann-Studie die Klimaschädlichkeit von Wahlen beleuchtet, Herbert Grönemeyer nach seinem Flug nach England von dem dortigen Despoten interniert wird, und dass er deswegen zur Aufmunterung von Heiko Maas den Georg-Trakl-Lyrikpreis in absentia bekommt.

Den bekommt nämlich schon Bushido aus der Hand von Sawsan Chebli, und zwar in echt. Und 2020 umgekehrt.

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