Während andere für den Verleger der „Berliner Zeitung“ die Fragen der Vergangenheit beantworteten, kümmerte sich Annegret Kramp-Karrenbauer um die Zukunft.
Ach, was hört man oft von guten Verlegern in eigner Sache tuten. Nein, hier soll es noch nicht ausführlich um Medienmanager gehen, die betonen, wie sehr das so genannte Netz der Demokratie und ganz nebenbei auch den Geschäftsmodellen der Blätter schadet, die schon länger da sind.
Das jedenfalls hatte neben anderen Kollegen kürzlich der Herausgeber des „Tagesspiegel“ Sebastian Turner auf einer Veranstaltung der Bundesregierung besorgt, wo er die Regulierung der schlechten Internetplattformen resp. „Regulierung von Meinungen“ (Sascha Lobo) dringend anmahnte und zwar mit der schon leicht ranzigen Fake News, das Internet sei ein „rechtsfreier Raum“. Plattformen wie Facebook, so Turner weiter, seien Schuld an der „Spaltung der Gesellschaft“.
Immerhin hält der Tagesspiegel („Danke, liebe Antifa“) hart gegen, aber die Kräfte lassen offenbar nach, weshalb die Bundesregierung nach Ansicht des Verlegers helfen muss. Er deutete auch schon an, in welche Richtung es gehen sollte, beispielsweise bei der Abfassung des Netzwerkdurchsetzungsverschärfungsgesetzes, das demnächst durch den Bundestag soll: „Wir werden überhäuft von einem Meinungsgranulat, das in Menge und Breite von niemandem mehr verarbeitet werden kann, und ein großer Teil der Deutschen sieht nicht die praktizierte Freiheit, sondern empfindet es als Unfreiheit.“
Aber wie gesagt, eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Ruf, weniger Meinungsvielfalt zu wagen, gibt es hier demnächst mit gesonderter Post.
Nein, heute soll es vorrangig um Deutschland berühmtestes Berliner Verlegerehepaar gehen, Silke & Holger, das kürzlich, Sie erinnern sich vielleicht, die „Berliner Zeitung“ vom Dumont-Grabbeltisch kauften.
Zum 9. November überraschten beide ihre Leser mit einem Manifest von der Länge einer Fidel-Castro-Rede, das schon deshalb so umfänglich ausfiel, weil Silke & Holger darin Egon Krenz ausführlich dafür dankten, dass er weder die Leipziger Demonstranten noch die Bürger zusammenkartätschen ließ, die am 9. November 1989 die Mauer eindrückten. „Wer so viel Huld vergessen kann/den seh’ man Verachtung an“, wie es in der „Entführung aus dem Serail“ heißt. Außerdem musste Deutschland noch dafür gelobt werden, dass es die besten Holocaustdenkmale der Welt baut, weil die Scham über das Vergangene uns, so ungefähr, Kraft für das heute gibt. Außerdem kam auch diverser anderer Kitsch & Krempel in den S & H-Text, bis die 26.000 Zeichen voll waren. Wie sich dann gut eine Woche später gewissermaßen als Fußnote herausstellte – und zwar in der WELT – informierte Holger Friedrich in den achtziger Jahren als Inoffizieller Mitarbeiter die Staatssicherheit unter dem Decknamen „Peter Bernstein“ über Armeekameraden. Silke und Holger Friedrich hatten sehr viel über sich, die Vergangenheit und Schamkraft geschrieben, aber dieses private Detail passte eben nicht mehr in ihr Manifest. Jedenfalls tut es Holger Friedrich leid, dass er damals dem MfS berichtete. Möglicherweise wirkt es sich allerdings bis heute auf seinen Schreibstil aus, und zwar ungünstig, dass die Leute, die früher seine Texte lasen, dafür bezahlt wurden.
In der gleichen Woche wurde ebefalls bekannt, dass der neue Verleger auch gleich als inoffizieller Redaktionsmitarbeiter bei der „Berliner Zeitung“ tätig war, indem er einen sehr, sehr positiven Text über ein Unternehmen anregte, an dem er eine Beteiligung hält und in dessen Aussichtsrat er sitzt. Auch von diesem Detail erfuhren seine Leser nichts, jedenfalls nicht aus dem S & H-Blatt. Aber ehrlich: den eigenen Geschäften so auf kurzem Dienstweg aufzuhelfen wirkt allemal erfrischender, als windungsreiche Herausgeber- und Verlegerreden über das demokratiebedrohende Netz zu halten, um von der Politik Konkurrenzschutz und am Ende noch ein bisschen Subventionen zu erbetteln mit dem Hinweis: „Uns’re Hälse schnüren zu, schnüren zu“ (abermals Mozarts „Serail“, jedenfalls so ähnlich).
Die Silke & Holger-Show in Berlin ist schon jetzt unterhaltsamer als Böhmermann- und Welke-Sendungen zusammen. Und sie kostet noch nicht einmal 17,50 Euro pro Monat, sondern läuft komplett für umme.
Während andere für den Verleger der „Berliner Zeitung“ die Fragen der Vergangenheit beantworteten, kümmerte sich Annegret Kramp-Karrenbauer um die Zukunft, wie sie in einem WamS-Interview versicherte:
„Ich bin weiterhin überzeugt davon, dass die Volkspartei CDU in der Tradition von Adenauer, Kohl und Merkel die Partei ist, die die großen Fragen für die Zukunft Deutschlands lösen kann. Dieses Signal wird vom Parteitag ausgehen.“
Abgesehen von der Schwierigkeit, sich eine gemeinsame Tradition von Adenauer, Kohl und Merkel vorzustellen, und auch abgesehen davon, dass Probleme gelöst, Fragen aber beantwortet werden sollten: wo lernen Politiker eigentlich, solche Sätze zu formen? Gibt es ein besonderes saarländisches Talent dafür?
Auf die Frage der WamS-Redakteure, was sie als CDU-Vorsitzende im Rückblick lieber anders gemacht hätte, antwortet sie so:
„Ich würde die Themen, die mir wichtig sind, stärker in den Mittelpunkt stellen, wie zum Beispiel die Dienstpflicht oder die Frage, wie Deutschland in allen wirtschaftlichen Fragen zukunftsfähig bleibt und zukunftsfähiger wird.“
„Zukunftsfähig“ lässt sich also noch steigern: zukunftsfähiger.
Was heißt das nun? Laut Kramp-Karrenbauer folgendes: „Gerade im Bereich Digitalisierung entwickeln sich die Dinge so rasant, dass wir überlegen müssen, wie wir als CDU unsere Werte in diese neue Zeit herüberführen können. Sonst ergeht es uns so wie beim Wahlkampf zur Europawahl, als plötzlich das Klimathema hervorbrach, worauf wir inhaltlich kaum vorbereitet waren. Das darf uns niemals wieder passieren.“
Ja, die Digitalisierung. Ein neues, ein frisches Thema, das demnächst, also in der Zukunft, hervorbrechen könnte wie Ziethen aus dem Busch. In der gleichen Befragung erläutert die CDU-Vorsitzende, es gebe in ihrer Partei jetzt eine „geeinte Positionierung“ zur Digitalisierung. Leider erfährt der Leser nicht, mit wem die Positionierung geeint wurde und worin sie besteht. Gibt es demnächst eine Bundesbehörde, die Deutschlands wichtigste Funklöcher kartografiert? Wird es Studienreisen für Politiker in die Länder geben, in denen die Mobilfunkabdeckung besser funktioniert als in Deutschland? Das würde immerhin fast alle europäischen Staaten einschließen, mittlerweile auch Albanien.
Das Karrenbauer-Interview dokumentiert ziemlich eindrucksvoll, dass sich mittlerweile fast alle Politiker aus der Gegenwart verabschiedet haben. Sie müssen rastlos in Zukunftswerkstätten daran arbeiten, Deutschland zukunftsfähig resp. noch zukunftsfähiger zu machen, die E-Auto-Ladensäulenzahl für 2030 und den Anteil von Sonnen- und Windenergie für 2050 festlegen, das Rentenniveau von 2040 und etliches mehr, was dringend zukunftsfest gemacht werden muss. Nirgends ist mehr davon die Rede, Deutschland halbwegs gegenwartsfähig zu gestalten.
Bundesrepublikanische Schüler sind in dem internationalen Mathe- und Naturwissenschaftsranking TIMSS innerhalb weniger Jahre von Platz 12 auf Platz 24 abgerutscht (die ersten viel Plätze werden von ostasiatischen Ländern belegt); fast die Hälfte der Schüler in Bremen und Berlin können noch nicht einmal auf einfachstem Niveau rechnen, eigentlich können nur noch die beiden reaktionären Bundesländer Sachsen und Bayern im internationalen Vergleich mithalten; in vielen Gebieten Deutschlands ist der Mobilfunkstandard G3 – was in ländlichen Gebieten Chinas schon als hornalt gilt – , bei internationalen KI-Patenten spielen deutsche Forscher nur noch eine marginale Rolle, der Eröffnungstermin für den BER – irgendwann 2021 – wackelt auch schon wieder bedenklich. Aber das ist bekanntlich alles Gegenwart und damit ein Bereich außerhalb der Zuständigkeit fast aller Parteien, denn es geht ja um die Zukunft, Zukunft, Zukunft, wie Kramp-Karrenbauer zu betonen nicht müde wird:
„Ich werde alles dafür tun, dass die CDU in Zukunft besser dasteht.“
Das Unterhaltsame kommt bei ihr, anders als bei S & H, erst ganz zum Schluss. Dort führt die Interviewte nämlich eine Formel (eine Zukunftsformel?) ein, die tatsächlich Neuigkeitswert besitzt:
„Ich spreche hingegen von ‚A2A’.“ Das bedeute, so fährt sie gleich fort: „also von der ‚ability to act’, der Fähigkeit zu handeln.“ Gemeint war das von ihr irgendwie – Details fehlen auch hier – für die Nato. Zu befürchten ist trotzdem, dass es künftig in der Zukunftspresse heißt: AKK hat A2A. Neben der A2up, der ability to utter phrases, und zwar in der besten geeinten Tradition von Honecker, Krenz und Merkel.
Wenn das so weiter so geht bis morgen früh/steh’n wir im Zukunftsgranulat bis an die Knie (nicht Mozart, sondern eine traditionelle Volksweise).
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Nur gut, daß Mozart das nicht mehr erleben muß. Aber Adenauer und … also das, was derzeit Inhaber der Richtlinienkompetenz ist, in einem Satz zu schreiben — gewiß, es waren ein Komma, der dicke Helmut und ein Bindewort dazwischen — also es gab Zeiten, Herr Wendt, da wären Sie dafür mit Vierteilen gut bedient gewesen. Nee, nee und AKK hat A2A, für sowas gab’s früher K2R. Zu BERlin sag‘ ich nix mehr, da fällt mir, offen gesagt, auch nix mehr ein, und das will bei mir was heißen. War sonst noch ‚was? Ach so, das Klimathema brach hervor, wie weiland… Mehr
Wunderbar aufgespießt, lieber Herr Wendt!
Fassen wir also zusammen: Mit geeinter Positionierung und A2A will AKK die großen Fragen der Zukunft lösen und die CDU zukunftsfähiger machen – ganz gleich, welches Thema gerade plötzlich hervorbricht.
Das ist doch eine tolle Botschaft für den Parteitag am Wochenende!
Guter Artikel, der sich einer wohldosierten Ironie bedient. Anders sind die Verhältnisse auch nicht zu ertragen. Aber glaubt jemand ernsthaft, dass AKK die „Königin der Nacht“ beerben wird? Die Frau von der Saar ist doch nur eine aus durchsichtigen Gründen installierte Füllfigur. Nach Merkel kommt Merkel – vielleicht in einer Schwarz-Grünen-Koalition noch zwei Jahre bis zum Stabwechsel an Habeck oder die Dame Kobold. Die Verhältnisse in dieser Merkelschen Quasi-Präsidialdemokratie sind mit den landläufigen Kategorien politischer Vernunft nicht mehr zu erfassen. Irgendwiee sind wir zwischen Kleimkindpädagogik und der „Psychopathologie des Alltags“ angekommen.
…und die Zukunft der CDU finden wir dann unter „sonstiges“ wieder 🙂
Was S & H da abliefern, ist eben in letzter Summe und Vollendung dieses eschatologisch zugespitze super clue Zeugs der Linkserleuchteten, die schlechthinnige Wesensantwort auf die allesbewegende Naziseinsfrage unserer Zeit, was unsere Schrumpf(kopf)-SPD neuerdings in schonungsloser Offenheit und in einer letzten Kraftanstrengung wohl, um nicht zu sagen in letzbegründender Entäußerung ihrerselbst geradezu, völlig zurecht so umschreibt: „Nie wieder Verschissmus“ . Bei dem für Meinungsregulierungen aller Art hausierenden Scheren-, wenn nicht gar Messerschleifer Sacha Lobo hatte ich – ehrlich gesagt – schon immer solch eine Anmutung, ohne freilich es ganz auf diesen so einmalig trefflichen Begriff gebracht zu haben. Seinen ganzen… Mehr
Das hätte sie wohl gerne, die Frau KK, dass irgend so ein Thema hervorbrechen könnte, das von dem Elephant ablenkt, der feist im Raum herumlungert. Die Klimagretelpanikmache war schon soweit OK, aber derer haben sich ja gleich der Taschenfilosof Rob Habeck und seine Sekte bemächtigt. Alors, zukunftsfest auf den Busch geklopft. Da springt dann ein Thema heraus, wie der Schachtelteufel.
Herrlich, Herr Wendt! Alles auf dem Punkt! So groß wie ein Nanopartikel.
Es graust einem wirklich vor dieser Politkaste! Es graust und ist nervig in solch einem Land mit solchen Schwachmaten irgendwie zurecht zu kommen!
Frage: Wann ist es endlich soweit? Ich meine das kollektive Erwachen, weil die Leidensfähigkeit der Deutschen sich nunmehr gegen Null bewegt?
Edit: Danke Ihnen, ein herzkiches!
Ich hoffe ja, dass der liebe Oettinger eine prominentere Rolle in der noch zukunftsfähigeren CDU spielen darf. Er und AKK würden Deutschland gemeinsam den Glanz der Modernität vorleben. AKK darf die KI-Entwicklung lenken und der Oetti wird allgemeiner Innovationsminister. Um die Gesellschaft fit für die Zukunft zu machen, halten die beiden ihre Ansprachen nur noch auf Englisch.
Oettinger ist ausgelastet, der bring ihnen gerade Englisch bei.
Adenauer und Kohl in Verbindung zu Merkel zu stellen, ist ein Anachronismus. Beide würden sich nach dieser Aussage im Grabe umdrehen. Merkel hat mit der CDU soviel zu tun wie Ulbricht oder Honecker. Allerdings ist die CDU Merkel schön auf den Leim gekrochen, und hat ihre Werte über Bord geworfen. Da würde mich interessieren, auf welche Werte AKK sich zurückbesinnen will. Diese Werte vertritt heute die AfD. Für AKK bleibt zukünftiger noch die Abwicklung der Merkel-CDU, wenn sie nicht mehr als nützliche Idioten und Steigbügelhalter des linksgrünen Prinzenpaares aus Berlin und seiner Entourage gebraucht wird.
AKK kommt die undankbare Rolle der aussichtslosen Nachfolgerin zu. Den Vergleich hat sie persönlich nicht verdient. Aber in ihrer Merkel-Folgsamkeit drängt sich der Vergleich mit Egon Krenz geradezu auf. „ … Neuerungen auf allen Gebieten in Angriff zu nehmen und notwendige Reformen einzuleiten. Wir haben uns darüber verständigt, dass es außerordentlich wichtig ist, dass die Partei diesen Prozess leitet und alle Menschen einbezieht in die Lösung der vor uns stehenden Aufgaben. “ (Egon Krenz Pressekonferenz Moskau 1. November 1989). Politikersprech dieser Art ist zeitlos und passt auch 2019. Die Zeit ist über AKK hinweggeschritten. Ich hoffe, dass sie es –… Mehr