Bei Markus Lanz eine weitere Runde Koalitionsvorgespräche: Das FDP-Urgestein Gerhart Baum und die grüne Cansin Köktürk lieferten sich ein Duell um die beste Art, möglichst viele Migranten nach Deutschland zu locken. Köktürk bestach durch absolute Grenzenlosigkeit. Gerald Knaus war pragmatischer und warf einfach mal die dänische Lösung in den Raum.
Bei Markus Lanz hat sich derzeit so etwas wie das »Ampel-Labor« eingerichtet. Seine Liebe zum Altsozialliberalen Gerhart Baum hatte der Südtiroler ja schon vor der Wahl entdeckt. Baum breitete schon damals in einer Sendung das inoffizielle Parteiprogramm der FDP zum Thema Migration aus und wiederholte es nun am Mittwoch bei seinem erneuten Auftritt im ZDF-Talk. Die Baum-Doktrin – die durchaus mit dem FDP-Wahlprogramm zu verbinden ist – kreist dabei vor allem um das Konzept des »Spurwechsels«. Baum bringt diesen Vorschlag auf den Punkt, wenn er vor der Wahl und danach fordert, aus Asylbewerbern Arbeitsmigranten zu machen. Die Rechnung ist einfach: Deutschland braucht angeblich Arbeitskräfte; die von allen Seiten freiwillig herbeiströmenden Asylbewerber suchen zum Teil so etwas wie Lohnarbeit, man zählt eins und eins zusammen und erhält drei, nämlich zusätzlich ein stärkeres Wirtschaftswachstum durch mehr »preiswerte Hände«.
Das sagt Baum freilich nicht so offen, er ist ja ein Sozialliberaler. Aber darauf läuft es hinaus. Dem Arbeitsmarkt werden von unten Beine gemacht. Für die Geringverdiener im Land (wer möchte schon so heißen?) heißt das mehr Konkurrenz und noch niedrigere Löhne. Es bedeutet außerdem, dass sie ihre Stadtviertel und Landgemeinden mit Immigranten teilen, die sich an die deutsche Kultur allenfalls erst gewöhnen, vielleicht auch gar nichts dergleichen vorhaben. Davon weiß Gerhart Baum auf seinem Alterssitz nichts. Insofern sitzt mit ihm auch die Kaltschnäuzigkeit der Besserverdienenden in der Runde, die sich vor allem um das Gesamt- und Rentensystem Sorgen machen, nicht aber darüber, wie zufrieden der einzelne Bürger am Ende damit ist – der dagewesene wie der dazugekommene.
Insofern sollte Baum seine Wirtschaftszahlen nachlesen, bevor er der neuen Regierung Empfehlungen gibt (schließlich gehören zu seiner Biografie 10 Jahre Mitglied der Geschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände). Er sitzt am Ende wohl bei Lanz, um den Grünen und der SPD ein freundliches Gesicht zu zeigen. Doch so etwas kann schnell Folgen auf dem Papier der Koalitionsvereinbarung haben. Der Zug der Migrations-Erleichterung durch deutsche Regierende dürfte bald wieder abfahren.
Brüderlicher Gruß an die Nachkommenden?
Hier ist Migrationsguru Gerald Knaus an der Reihe. Er erzählt von den geschützten und doch (nicht nur aus seiner Sicht) so unsicheren Grenzen im Osten des Kontinents, zwischen Polen und Weißrussland, Kroatien und Bosnien, Griechenland und der Türkei. Überall beklagt er die Zurückweisungen an der Grenze, für die es inzwischen gesetzliche Regelungen in Griechenland und Polen gibt. Maßgeschneiderte Gesetze, die auf die Überlastung an jenen Grenzen reagieren, die zugleich EU-Außengrenzen sind.
Lanz weiß eine Menge von der Situation, zum Beispiel auch von den Selfies der Migranten in Eisenhüttenstadt. Nur dass sie die für ihre Schlepper aufnehmen müssen, erwähnt er nicht. Es klingt fast, als wären die Photos ein brüderlicher Gruß an die Nachkommenden. Dabei sind sie die perverse Werbung für ein kriminelles Geschäft.
Grenzschutz als Problem
Knaus ist vor allem über den Barnier-Vorschlag alarmiert, »Gerichtsurteile in diesem Bereich nicht mehr anzuerkennen«. Das ist verständlich, denn die supranationalen Gerichte in Europa (EGMR und EuGH) betreiben genau das Geschäft des Türkei-Deal-Erfinders, der sich bei Lanz mit neuen Thesen ins Zeug legte. Übrigens wird Michel Barnier als ehemaliger Super-Europäer und Brexit-Unterhändler wohl am besten wissen, wie das hyper-europäische Institutionennetzwerk funktioniert und wo es hinführt. Sein Vorschlag zur eingeschränkten Gültigkeit von EGMR-Urteilen ist sehr belangreich.
Knaus will etwas bewegen, deshalb ist er kompromissbereit. Denn dass die Mehrheit der EU-Länder ohne Grenzkontrollen leben wollten, kann er nicht annehmen. Ihm geht es also um die Möglichkeit, »die Kontrolle an Grenzen zu haben, ohne Menschenrechte zu brechen«. Trotzdem bezeichnet er auch den effektiven Grenzschutz an sich, beispielsweise in der Ägäis, als Problem: »Die Leute kommen nicht mehr nach Deutschland.«
Er spricht also von Resettlement. Deutschland könne dem schwedischen Weg folgen und sein diesbezügliches Programm (derzeit wohl 5.000 pro Jahr) aufstocken. Doch auch Schweden nimmt nur 5.000 pro Jahr auf. Es ist kein kleines Land. Baum findet das eine tolle Idee: 60.000 pro Jahr will er ganz legal mit »Patenschaften« ins Land holen, wohl schon wieder, um seinen obskuren Fachkräftehunger zu stillen.
Die guten Zustimmenden und die garstigen Polarisierer
»Im Grunde haben viele Menschen sich engagiert.« Eine genaue Zahl muss Baum hier nicht nennen, es geht ja auch nur um die Hilfstruppen am »Grunde« der Gesellschaft, die ihre Dienste möglichst gratis zur Verfügung stellen sollten. Jedes Dorf hatte wohl so einen pensionierten Lehrer, der plötzlich wieder Deutschstunden gab. Dagegen ist das Ansprechen von Problemen natürlich eine eher garstige Qualität von gewissen Politikern, die nur den eigenen Vorteil maximieren wollen. Als ob es sie (die Politiker und die Wahlen) nicht eben dazu gäbe: für den Wahlvorteil und das Ansprechen der Probleme. Aber mit einem solchen politisch gewendeten Manchester-Kapitalismus sollte man dem guten Linken Baum wohl nicht kommen.
»Ich hab keine Zahl.«
Dass Deutschland die Aufnahme sämtlicher benachteiligter »Flüchtlinge« des Planeten nicht schaffen könnte, kann ihr keiner erzählen. Köktürk ist hier zwar auch etwas Türkin der dritten Generation, aber eigentlich vor allem eine junge Deutsche der ersten Generation. Diese Anspruchshaltung gegenüber dem eigenen Staat hätte sie jedenfalls in der Türkei oder in sonst einem außereuropäischen Land kaum aufschnappen können.
Realpolitik ist für Köktürk, wenn man sieht, dass es den Menschen schlecht geht. Schon wieder so ein Grünen-Satz, der aus dem Nichts kommt. Köktürk will alle aufnehmen und auch keine Zahl als Obergrenze nennen. »Ich hab keine Zahl.« Sie ist allenfalls bereit, sich auf das Folgende zu einigen: »Wir können die Leute aufnehmen, jeden der in Not ist, und dann können wir ja auch schauen, was passiert.«
»Beim Klima machen wir’s doch auch!«
Den menschlichen Aspekt dieser Position möchte die Runde zwar gerne aufnehmen, ja geradezu genießen, aber Baum genauso wie die anwesende Journalistin haben so eine Ahnung, dass die Ressourcen Deutschlands am Ende auch nicht reichen könnten. Nur Köktürk sieht das nicht ein, da unterscheidet sich das Grünen-Mitglied nicht von der Reemtsma-Erbin, die am Vortag bei Lanz saß und für eine radikale CO2-Reduktion eintrat – auch dieser Standpunkt war von keiner wirtschaftlichen Kompetenz geplagt. Und auch der greise Baum fand diese Parallele am Ende berückend. Der skeptischen Journalistin entgegnete er zur Migrationsfrage: »Sehr schwer. Aber warum nicht versuchen? Beim Klima machen wir’s doch auch!«
Der Rest sind grün-sozial-liberale Koalitionsverhandlungen, die in Köktürks Frage gipfeln: »Hat man denn auch die Freiheit, eigenverantwortlich zu handeln, wenn man weiß, ich hab vielleicht morgen nichts mehr zu essen?« Jeder Tellerwäscher in den USA würde diese Frage mit einem klaren Ja beantworten.
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