Bei einer Verkehrskontrolle wird ein Afroamerikaner von einem weißen Polizisten erschossen, regelrecht exekutiert. So geschehen in der vergangenen Woche in Charleston. Und im 1995 erschienenen Film „Strange Days“ von Katheryn Bigelow.
Zu oft haben wir in den letzten Monaten Bilder gesehen von brutalen Übergriffen der Polizei auf farbige US-Amerikaner. Die Schützen verbüßen wenn, dann nur selten Haftstrafen. Oft berufen sie sich auf eine Notwehrsituation, die sie zu einem schnellen und rigorosen Handeln gezwungen hätte. Im Fall des erschossenen Walter Scott berief sich der Polizist ebenso auf eine Notwehrsituation; Scott hätte ihm zuvor den Taser entwendet, der so heftige Stromstöße abgeben kann, dass bereits etliche Menschen dadurch zu Tode gekommen sind.
Ein aufgetauchtes Augenzeugenvideo sowie die Kamera des Polizeiwagens selbst belegen schnell, dass Walter Scott sich auf der Flucht vor der Kontrolle durch den Polizisten befunden hat, bevor dieser ihm acht Mal von hinten in den Rücken geschossen hat: Keine Schüsse, die darauf angelegt sind, einen Menschen handlungs- oder bewegungsunfähig zu machen.
Und abermals sieht sich Amerika mit einer mutmaßlich rassistisch motivierten Tat eines weißen Polizisten an einem farbigen Mitbürger konfrontiert. Der Bürgermeister der Stadt trat noch am gleichen Tag sichtlich geschockt vor die Kameras und bestätigte, dass 150 Polizisten der Stadt nun umgehend mit Körperkameras ausgestattet werden sollen.
Im Film „Strange Days“ von 1995 wird das gleiche Thema behandelt. Der farbige US-Rapper Jeriko One gerät mit einem Freund und zwei Groupies in eine nächtliche Polizeikontrolle. Die Polizisten gehen unverhältnismäßig rau mit Jeriko und den anderen Insassen um, heißen sie schweigen und beleidigen Jeriko auf’s Übelste.
Jeriko One fügt sich zwar in die knieende Hände-über-den-Kopf-Position, aber bewahrt ansonsten seine unbeugsame Haltung bei und reagiert auf die Beleidigungen des Polizisten seinerseits mit provokativen und demütigenden Äußerungen. In Folge dessen erschiesst der Polizist Jeriko One, sein Partner exekutiert die Begleitung. Eine der jungen Frauen kann fliehen. Zusammen mit einem SQUID-Headset, das das soeben erlebte lückenlos aufgezeichnet hat – in Bild, Ton und Emotion.
Die junge Frau kontaktiert verängstigt den Protagonisten Lenny Nero, einen Ex-Cop, der sich auf den Handel mit Clips spezialisiert hat, die die Aufzeichnungen aus den Headsets beinhalten. Beim Abspielen dieser Clips erleben die Nutzer die Aufzeichnungen als eine Art virtuelle Realität – inclusive aller Emotionen wie Freude, Lust und auch Panik und Angst. Was schnell zu einem hohen Suchtfaktor führt.
Es entrollt sich eine sehr action- und temporeiche Handlung, überaus bildgewaltig und laut mit wütender Musik von Skunk Anansie, und auch Darstellerin Juliette Lewis brüllt sich den Frust in „Hardly Wait“ heraus.
Loretta „Mace“ Mason ist eine der stärksten weiblichen Figuren der Kinogeschichte. Nicht nur, dass ihr Körper bis zum Anschlag durchtrainiert ist; bis auf wenige Momente wirkt es so, als bestünde die ganze Frau aus purem Stahl. Sie ist die beste Freundin des süchtigen Ex-Cops Lenny Nero, der immer noch recht würdelos seiner abgeranzten Ex-Freundin im Heroin-Chic-Look hinterher hechelt, die ihn wegen eines noch deutlich abgeranzteren Typen (dafür mit eigenem Plattenlabel) verlassen hat.
Ohne je einen dieser Clips gesehen zu haben, unterstützt Mace Lenny bedingungslos bei der Aufklärung des Mordes an Jeriko One. Sie prügelt, schiesst und schlägt ihm den Weg frei. Als sie schlussendlich einwilligt und sich den betreffenden Clip anschaut, um die Brisanz des Verbrechens in vollem Ausmass zu erfassen, denkt man, dass ihr Stahlpanzer gebrochen ist. Nur, um im nächsten Moment eindrucksvoll zu fetzustellen, wie Bruchstellen einen Menschen noch entschlossener und härter machen können.
Gemeinsam machen sie sich daran, den Fall bis ganz nach oben zu eskalieren.
Ein Headset war in dem Mordfall von Walter Scott nicht vorhanden, allerdings ein mobiles TV-Studio, das mittlerweile fast jeder in Form eines Smartphones mit sich führen kann. Die Aufzeichnung des Augenzeugen ermöglichte die schnelle Aufklärung dieses Falls.
Dass das Problem eines der generellen Polizeigewalt und erst dann ein rassistisch motiviertes darstellt, offenbart der jüngste Fall, in dem gleich zehn Polizisten dazu nötig sind, einen bereits am Boden liegenden Kriminellen mit Fußtritten und Schlägen zu malträtieren. Dennoch sind überproportional weitaus mehr farbige Amerikaner durch Polizeibrutalität betroffen.
In den USA spielt Gewalt kulturell eine andere Rolle als bei uns. Gewalt ist medial kein großes Thema, wohingegen ein für uns recht unspektakuläres „Nipplegate“ von Janet Jackson zum Superbowl 2004 erst einen „Stromausfall“, dann ein durch die FCC verhängtes Bußgeld in Rekordhöhe ($ 550.000) sowie ein mediales Erdbeben auslöst, während man bei uns selbst mit „Tutti Frutti“ schon niemanden mehr groß schocken konnte.
Die Polizei bedient sich in Verhören Foltermethoden gegenüber Verdächtigen, „Gerichte billigen der Polizei einen breiten Interpretationsspielraum bei der Entscheidung zu, was zulässig ist„, schreibt Norman Birnbaum in der TAZ mit weiteren informativen kulturellen Hintergründen zum Thema Gewalt in den USA.
Amerikanische Polizisten unterlaufen mitunter häufig nur eine kurze Ausbildungszeit von einigen Wochen, die bei uns im Schnitt aber drei Jahre dauert. Zwar sind die Polizeiautos mit Kameras ausgestattet, aber von den 17.000 unterschiedlichen Polizeibehörden in den USA, geben nur sehr wenige Informationen an die Bundesbehörden weiter. Mehr zu den Unterschieden deutscher und amerikanischer Polizei können Sie hier lesen.
Es ist ein Thema, das seine Geschichte mit sich herum trägt wie einen vermoderten Anzug. Weitere Überwachung in Form von Körperkameras wird das Geschehen zukünftig zwar besser dokumentieren, aber Polizeigewalt in den USA weder beheben noch entschärfen.
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