Ein Lügenminister, Qualitätsmedien und die Exklusivität. Wie DER SPIEGEL umgehend Tichys Einblick bestätigt und doch zu spät kommt.
Die Bits und Bytes meines am 1. September hier bei TE erschienen Artikels zur Krise der sogenannten „Qualitätsmedien“ waren noch nicht richtig gespeichert, da sollte ausgerechnet DER SPIEGEL dazu ansetzen, als treffliches Beispiel dafür zu fungieren, wie „Qualitätsmedien“ heute funktionieren.
In ihrem immer häufiger zu erkennenden Versuch, ihre offenbar für zunehmend verdummendgehaltene Leserklientel mit boulevardesker Dreistigkeit zum Lesen (und Kaufen) zu animieren, titelte das Magazin aus Hamburg:
„Justizaffäre um Heiko Maas: Ist dieser Mann ein Lügenminister?“
Hallo – dachte ich. Wird nun sogar DER SPIEGEL wach? Also las ich weiter. Und ergötzte mich sofort an folgendem Teaser:
„Eine Falschaussage könnte ihn den Job kosten: Heiko Maas hat womöglich den Bundestag über seine wahre Rolle in den Landesverrats-Ermittlungen gegen Netzpolitik.org belogen.“
Na sowas – welch eine Erkenntnis, schoss es mir durch den Kopf. Genau diese Erkenntnis hatte ich bei TE bereits am 1. August 2015 (notabene: 15!) geschrieben. Ich zitiere aus dem damaligen Text:
„Dann allerdings kam – kaum dass der mediale-linkspolitische Aufschrei das Sommerloch füllte – der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) aus dem Busch und belehrte den ihm unterstellten Generalbundesanwalt, dass er „Zweifel an dem Vorwurf des Landesverrats“ habe. …
Jedoch – noch problematischer stellt sich die Situation für den Dienstherren des als politischer Beamter tätigen Bundesanwalts dar. Der Bundesjustizminister hat als neutrale Aufsichtsbehörde nicht das minimalste Recht, sich in die Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft einzumischen. Denn jede noch so kleine Einmischung – und sei sie noch so sehr als persönliche Meinung getarnt – ist eine politische Einflussnahme auf die Tätigkeit der Bundesanwaltschaft. Hier jedoch handelt es sich um weit mehr. Wie der Bundesjustizminister selbst wissen ließ, habe er dem Bundesanwalt „seine Zweifel mitgeteilt“. Damit liegt faktisch zumindest eine vorsätzliche Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft vor – selbst dann, wenn diese „Mitteilung“ juristisch nicht als Dienstanweisung zu werten sein sollte und nur vom Empfänger als solche verstanden werden musste.“
Insofern hatte DER SPIEGEL zwar offenbar eine lange Leitung, doch irgendwann schien auch dort der Groschen zu fallen. Das an sich war auch wenig verwunderlich, weil der Berliner TAGESSPIEGEL (mit DEM SPIEGEL weder verwandt noch verschwägert) am 21. August 2016 unter Bezugnahme auf eine dort vorliegende Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft betr. Ermittlung wegen Strafvereitelung gegen Heiko Maas genau jenes bestätigt hatte, was ich über ein Jahr zuvor bereits geschrieben hatte.
TE griff dieses unter Hinweis auf die aktuelle Quelle (denn das gehört sich so, liebe SPIEGEL-Redakteure) auf und berichtete.
Nun war ich selbstverständlich gespannt, wie es beim SPIEGEL weitergehen würde. Und musste mich schon etwas festhalten, um nicht vom Stuhl zu kippen. denn da stand im Teaser nun:
„Lesen Sie hier exklusiv die SPIEGEL-Enthüllung zum Fall. Von Konstantin von Hammerstein“
Oh, dachte ich. Wenn DER SPIEGEL nun EXKLUSIV spannende Enthüllungen ankündigt, dann müssen die Jungs an der Ericusspitze ja richtig tief gegraben haben. Also las ich – selbstverständlich in der Online-Version – weiter. Und ich las folgendes:
„Er könnte, natürlich könnte er. Das Gesetz gibt ihm das Recht dazu. Der Justizminister darf dem Generalbundesanwalt Weisungen erteilen. „Staatsanwälte sind keine Richter“, sagt Heiko Maas an diesem Sommermorgen im August 2015, „sie genießen keine sachliche und keine persönliche Unabhängigkeit.“ Der Rechtsausschuss des Bundestages hat ihn zum „Gespräch“ vorgeladen. Der Sozialdemokrat soll den Abgeordneten erklären, ob er dem damaligen Generalbundesanwalt Harald Range im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen Landesverrats gegen die Blogger Markus Beckedahl und André Meister Anweisungen erteilt hat.
Und Maas legt sich fest. „Während meiner gesamten Amtszeit gab es keine Weisung an den Generalbundesanwalt“, heißt es im Protokoll der nicht öffentlichen Sitzung, „obwohl ich – auch aus den Reihen des Bundestages – mehrfach dazu aufgefordert worden bin.“ Dieser Punkt ist dem Minister wichtig. Er wiederholt ihn mehrmals an diesem Vormittag. „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Weisung des Ministeriums in der besagten Angelegenheit“, sagt er. Im Gegenteil – das Vorgehen sei zwischen dem Ministerium und dem Generalbundesanwalt „einvernehmlich festgelegt“ worden.
Als Mitglied der Bundesregierung ist Maas verpflichtet, dem Parlament die Wahrheit zu sagen. Doch daran gibt es Zweifel.“
Okay. Unterhaltsam geschrieben. Aber alles längst bekannt. Seinerzeit von mir in mehreren Artikeln aufgegriffen und vor gut einer Woche vom Tagesspiegel mit aktuellen Information erneut publiziert.
Aber – was daran ist EXKLUSIV? Es kann ja wohl nur jener letzte, kurze Satz gemeint gewesen sein – dieses „Doch daran gibt es Zweifel.“
Nur – wie gesagt – leider ist auch das nicht exklusiv. Alle Zweifel sind längst veröffentlicht. Oder vielleicht doch nicht? Gibt es noch irgend etwas, das bei uns oder im Tagesspiegel nicht gestanden hat?
Zahlen SIE 0,39 EUR!
Ich wollte weiterlesen, in der Hoffnung, noch etwas wirklich NEUES, SPEKTAKULÄRES, ja am Ende vielleicht sogar „EXKLUSIVES“ zu erfahren. Doch da hatte DER SPIEGEL nun seine Bezahlschranke vorgesetzt.
„Diesen Artikel jetzt lesen, später zahlen– ‚Justizaffäre um Heiko Maas: Ist dieser Mann ein Lügenminister?‘ – 0,39 EUR“
Bei allem Verständnis für Eure Finanzmisere, geschätzter Kollege von Hammerstein und liebe SPIEGEL-Redaktion! Glaubt Ihr im Ernst, ich schenke Euch für etwas, das ich vor über einem Jahr geschrieben und das der Tagesspiegel dieser Tage exklusiv unterlegt hat, auch nur einen einzigen Cent?
Ach ja – und falls Ihr nun maulen solltet: Ich habe gerade noch ein wenig gegoogelt, was Ihr im August 2015 zu dieser Affäre geschrieben habt. Ihr erinnert Euch: Das war der Zeitpunkt, zu dem ich bereits wiederholt darauf hinwies, dass der Bundesminister für Justiz seine Kompetenzen überschritt und sein Vorgehen entgegen seinen öffentlichen Einlassungen als Dienstanweisung zu verstehen sei. Damals waren auch bei Euch erste Zweifel angedeutet worden. Doch statt die Angelegenheit weiter zu verfolgen, versank das Thema bei Euch sang- und klanglos im Nirwana. Da war wohl die political correctness wichtiger als die journalistische Wahrheitsfindung.
„Pressefreiheit Am Abgrund“
Denn damals, in der Ausgabe 33/2015, hattet Ihr, unterzeichnet von zehn (!) Redakteuren (oder vielleicht waren es auch „Sätzer“ oder Büroboten – denn sechs der zehn Unterzeichner unterschrieben super-progressiv nur mit ihren Vor- oder Tarnnamen), unter dem vielsagenden Titel „Pressefreiheit Am Abgrund“ sogar noch die Ermittlungen gegen diesen „aufklärerischen, regierungskritischen Blog“ gezielt auf die überhöhte Ebene früherer Verrats-Affären gezogen:
„Das erinnert an die SPIEGEL-Affäre 1962, als die Bundesanwaltschaft ebenfalls wegen Landesverrats ermittelte.“
Deshalb erfolgte dann auch der schnelle, unreflektierte und deshalb offenbar von Euch inhaltlich geteilte Rückgriff auf den DJV: „Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, sieht in dem ‚unglaublichen Vorgang‘ hingegen einen ‚Angriff auf die Pressefreiheit‘, der sich nicht nur gegen zwei Journalisten richte, sondern ‚präventiv alle Journalisten einschüchtern soll‘. Das Verhalten der Bundesanwaltschaft sei ‚einer Demokratie unwürdig‘.“
Nein, liebe SPIEGEL-Kollegen. Die Einleitung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bei konkretem Verdacht auf eine Straftat war noch nie „einer Demokratie unwürdig“. Ganz im Gegenteil sollte es unsere Demokratie auszeichnen, dass eine unabhängige Justiz jenseits politischer Weisungen und jenseits medialen Mainstream-Drucks Ermittlungen aufnehmen kann, wenn sie dazu eine Veranlassung sieht.
Einer Demokratie unwürdig sind allerdings Politiker, die derartige Ermittlungen aus politischen oder persönlichen Motiven verhindern und dann noch so tun, als sei nichts gewesen. Und einer Demokratie unwürdig sind leider auch Medien, die auf der richtigen Fährte waren und aus politischer Opportunität ihre Arbeit einstellen.
Aber vielleicht besteht ja nun ein wenig Hoffnung – und Ihr besinnt Euch auf die alten Tugenden von Rudolf Augstein, Conrad Ahlers, Klaus Jacobi und anderen, die die Berufsbezeichnung Journalist noch mit Inhalt zu füllen wussten. Bis dahin: Tut bitte nicht so, als hättet Ihr EXKLUSIV-Geschichten, wenn Ihr das schreibt, was schon längst bekannt ist. Denn das ist zwar noch nicht der Demokratie unwürdig – aber in jeder Hinsicht dem Anspruch, den man als Medienmacher an sich selbst stellen sollte.
Dokumentation:
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