„Die Vielfalt der Perspektiven der verschiedenen jugendlichen Lebenswelten“ will die Jugendstudie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz und der Bundeszentrale für politischen Bildung abbilden - und weiß genau, was die 14-17 denken und fühlen.
Natürlich kommt die Jugend schlecht weg. Dabei ist die Studie noch schlechter.
Gestern wussten alle Nachrichten ganz genau, wie die Jugend in Deutschland so tickt. „Alle wollen Mainstream sein“ (SZ), „Jugendliche in Deutschland nicht mehr rebellisch, aber supertolerant“ (Deutsche Welle), „Fast schon überangepasst“ (FAZ), „Junge Generation auf Kuschelkurs“ (Volksstimme) und so weiter und so fort.
Alle wissen, wie die Jugend tickt
Allerorts wurde unsere Jugend als Sucher nach Geborgenheit und Orientierung dargestellt, und eigentlich wollen alle nur wie alle sein. So sehr, dass sogar ein neues Wort dafür erfunden wurde: „Neo-Konventionalismus“.
Nun, auf einer „liberal-konservativen Meinungsseite“ müsste man eigentlich in Freudentaumel geraten, wenn festgestellt wird, dass sich die heutige Jugend durchaus an den Werten ihrer Eltern orientiert, Leistungsnormen selbstverständlich akzeptiert und Sekundärtugenden hochhält. Allein, das ist ein mehr als voreiliges Urteil, das da im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Bundeszentrale für politischen Bildung und anderen von der SINUS Sozialforschung für DIE Lebenswelten unserer 14- bis 17-Jährigen behauptet wird.
Aber leider kommt es dann ganz anders.
„Psychologisch repräsentaiv“
Die Studie wirbt zwar großspurig damit, „die Vielfalt der Perspektiven der verschiedenen jugendlichen Lebenswelten“ abzubilden, stellt aber gleichzeitig en passant fest, gar nicht statistisch repräsentativ zu sein. Kein Wunder: Es wurden dazu auch nur 72 Jugendliche befragt. Bedenkt man unterschiedliche regionale Prägungen (in sieben Bundesländern wurde gar niemand interviewt), die Quantensprünge des Heranwachsens von Jahr zu Jahr zwischen 14 und 17, unterschiedliche Bildungswege, verschiedene soziale Ursprünge, die kulturellen Prägungen diverser Migrationshintergründe und das alles auf zwei Geschlechter aufgeteilt (mindestens – geht man nach Facebook wären 60 unterschiedliche „Geschlechter“ zu beachten), dann kann eine Auswahl von 72 nicht mehr als ein beliebiger Schrotschuss mit ganz grobem Korn auf die Republik sein. Zum Vergleich: bei der 17. Shell-Jugendstudie von 2015 wurden 2.558 Jugendliche befragt.
In der zugebenen Ermangelung statistischer Repräsentativität nimmt man stattdessen für sich in Anspruch, „wohl aber im psychologischen Sinne repräsentativ“ zu sein. Was aufgrund der fehlenden statistischen Repräsentativität nur heißen kann, die Befragung ist für die Psychologie der befragten Jugendlichen repräsentativ. Also: Die paar, die wir befragt haben, haben wir so lange quatschen lassen, bis wir wirklich geglaubt haben, zu wissen, was sie denken. Psychologie wird zur Rechtfertigung dafür, die eigenen Vorurteile herauszuschreiben.
Nachdem man aber dem überschriebenen umfassenden Anspruch „Wie ticken Jugendliche 2016?“ selbstgerecht werden wollte, waren noch ein paar soziologisch verdrehte Erläuterungen nötig, was „psychologisch repräsentativ“ heißt. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen:
„Durch die Flexibilität des qualitativ-ethnologischen Forschungsansatzes mit non-direktiven Methoden und unbeschränkten Antwortmöglichkeiten der Gesprächspartner/innen wird eine hohe Inhaltsvalidität und Unverfälschtheit der Ergebnisse erreicht“.
Ich übersetze mal: Durch die Beeinflussbarkeit des völkerkundlichen Forschungsansatzes ohne einen zählbaren Untersuchungsbestandteil mit anleitungslosen Methoden und unbeschränkten Antwortmöglichkeiten der Gesprächspartner/innen wird mit großer Zuverlässigkeit das erfasst, was wirklich gesagt wurde.
Und Medien plappern unkritisch nach
Sie werden verstehen, dass ich nach diesen Erläuterungen zur methodischen Vorgehensweise bereits auf Seite 22 von 489 aufgehört habe zu lesen. Wobei ich dem Ganzen gar nicht unterstellen will, dass daraus nicht Spannendes zu erfahren wäre – vor allem für jene, die sich sonst mit Jugend und Jugendkultur gar nicht beschäftigen. Man lernt dort gewiss einiges darüber, wie manche Jugendliche in Deutschland ticken. Aber ganz gewiss nicht, wie Deutschlands Jugend tickt.
Die unzähligen Schlagzeilen dazu sind nun aber mit Absolutheitsanspruch in die Welt hinausposaunt. Ein paar Gedanken über die Aussagekraft der Studienerkenntnisse nur im Text vergraben. Den Studienschreibern ist mangelnde Demut vorzuwerfen (wobei sich die Frage nach den Vorbildern stellt, denen die Jugend angeblich nacheifert), aber das ist ja noch irgendwie nachvollziehbar: Trommeln gehört zum Geschäft und ein paar Warnhinweise hat man ja gegeben. Die Massenhaftigkeit, in der die Medien mit konformen Indikativ-Überschriften die Sache aufnehmen, ist aber erschreckend. Ein Lehrstück dafür, wie die mediale Wirklichkeit tatsächlich nur rein zufällig der wirklichen Wirklichkeit entspricht?
Es ist auch ein Lehrstück dafür: Die Jugendlichen gehen ihren eigenen Weg. Dass der nicht den Main-Stream-Predigern paßt spricht eher für die Jugendlichen als gegen sie.
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