Politiker überbieten sich mit Vorschlägen gegen Fake News und Regierungsplänen für ein „Wahrheitsministerium“ - Innenminister-Konferenz und Deutscher Presserat wollen ab 2018 den bundeseinheitlichen Presseausweis: Journalisten erster und zweiter Klasse?
Während sich die Politiker mit Vorschlägen gegen sog. FakeNews überbieten und die Regierungspläne für ein „Wahrheitsministerium“ immer konkreter werden, hat die Innenminister-Konferenz (IMK), assistiert vom Deutschen Presserat, bereits Nägel mit Köpfen gemacht: ab 2018 soll es quasi staatlich kontrollierte und anerkannte, „bundeseinheitliche Presseausweise“ geben. Gibt es dann Journalisten erster und zweiter Klasse?
Nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit haben IMK und Presserat am 30.11.2016 eine gemeinsame Vereinbarung getroffen, wonach erstmals nach 2008 zum 1.1.2018 der bundeseinheitliche Presseausweis mit dem Signum der IMK wieder eingeführt wird.
Der Vorläufer war auf der Basis eines Runderlasses des Innenministers NRW von 1993 in Absprache mit den Länder-Innenministerien exklusiv von den fünf großen Journalisten- und Verlegerverbänden in eigener Verantwortung ausgegeben worden. Bis 2004 ein Mitbewerber erfolgreich gegen das Exklusivrecht klagte. Eine Einigung der gesamten Journaille, den Ausweis der Rechtsprechung anzupassen, scheiterte. So zog die IMK 2008 die staatliche Legitimation zurück. Die Folge war reichlich Wildwuchs, das Papier wurde entwertet: kein für professionelle Journalisten wie Behörden befriedigender Zustand.
Insofern kann man den Wunsch der Medienverbände noch nachvollziehen, wieder alte Privilegien und Wettbewerbsvorteile zu erlangen und gleichzeitig die „Spreu“ der geschmähten Pseudo-Journalisten vom „Weizen“ der Professionals zu trennen. Die Politik unterstützte generös dieses Verlangen, sogar im Koalitionsvertrag 2013, allerdings um den Preis – wie sich jetzt herausstellt – einen breiten Fuß in die Tür der Pressefreiheit zu stellen. Als Argumentationshilfe musste auch der böse Nazi herhalten, der, mit dem Presseausweis bewaffnet, Demos ausspioniert und Gegner ablichtet.
Die Kritik am Deal von Presserat und IMK macht sich denn auch nicht am vermeintlichen oder tatsächlichen Regelungsbedarf fest, sondern am Regelungs-Konstrukt an sich:
- Der Staat sitzt im Gewande der IMK jetzt direkt mit am Tisch, wacht darüber, kontrolliert und entscheidet mit, welche Verbände die begehrte Ausgabeberechtigung erhalten, einschließlich der Kontrolle über sämtliche diesbezügliche Angelegenheiten. Ermöglicht wird das durch eine sogenannte Ständige Kommission, die unter dem Dach des Presserats paritätisch mit Mitgliedern der IMK und der Medienverbände besetzt ist.
- Das Konstrukt bevorteilt weiterhin ausschließlich hauptberufliche Journalisten und grenzt z.B. nebenberufliche Schreiber, Blogger oder Bürgerjournalisten aus, die ihren Lebensunterhalt eben nicht überwiegend mit Journalismus verdienen/wollen/können. Damit blenden Presserat und IMK/Staat vollkommen die Internetszene und die wachsende Vielfalt journalistischer Erzeugnisse des Medienzeitalters aus. Ob diese Regelung mit dem Grundgesetz kompatibel ist, wird sich zeigen.
- Es gibt künftig Journalisten 1. und 2. Klasse. Edelfedern dürfen z.B. bei Demos abgesperrte Flächen mit quasi-amtlichem Passierschein passieren, der journalistische Rest mit den „billigen“ Ausweisen (die ja nach wie vor am Markt bleiben) muss der Polizei und den Behörden erklären, weshalb auch er zur Journaille gehört. Eine von Presserat und IMK erhoffte Rechtssicherheit sieht anders aus.
Die kursorische Durchsicht der getroffenen Vereinbarung zeigt weitere Schwächen des Konstrukts auf:
- Die Ständige Kommission entscheidet darüber, welche Medienverbände künftig die Erlaubnis erhalten, Presseausweise auszugeben. Die Hürden für diese Verbände sind hoch. Sie müssen „ausreichend zuverlässig und funktionsfähig“ sein. Die Kommission gilt als juristischer Kniff, die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, weil ja der Staat nur mittelbar mitwirkt. Allerdings bekommen die Ausweise andererseits nur ihren Wert durch die staatliche Legitimationswirkung.
- Die Kommission, und damit der Staat, kann nach § 3, Abs. 1 Einfluss auf Bezug und Entzug der Aufgabenübertragung nehmen. § 3 Abs. 2 der Vereinbarung sichert der Kommission ein Auskunftsrecht auf alle Angelegenheiten zu, die Ausgabe und das Verfahren betreffen. Damit hat der Staat die volle Kontrolle über die Vergabe von Ausgabeberechtigungen an Verbände, einschließlich der Auskunftsberechtigung von Anzahl und eventuell Namen der akkreditierten Journalisten. Der Staat hat damit Journalisten und deren Berufsverbände praktisch am Gängelband. Er kann – mit Stimmengleichheit – Beschlussvorschläge torpedieren.
- Die ausgabeberechtigten Verbände müssen ein Selbstverwaltungsgremium bilden, über dessen Absegnung natürlich die Kommission und damit der Staat befinden. Auch hier begeben sich die Journalisten in staatliche Unterwerfung.
- Als ob das noch nicht reicht, werden in § 7, Abs 8 die Verbände zum Denunziantentum angehalten. Sie sollen Verbände melden, die gegen die Regeln verstoßen.
Der staatlich legitimierte Presseausweis, das darf man vermuten, ist vor allem Mittel zum Zweck, eine Art Hintertür zur Pressefreiheit. Der Staat möchte Einfluss. Gleichzeitig geht es darum, die „Freizeitjournalisten“, die „bösen Bloggern“ im Netz kurz zu halten, sie von Informationen fern zu halten. Ein Vorhaben mit Strahlkraft: Behörden, Parteien, Kirchen, Unternehmen – alle könnten sich künftig auf den staatlich legitimierten Presseausweis berufen und Informationen verweigern.
Der Presserat, das freiwillige Selbstkontrollorgan der deutschen Presse, verkauft eine grundgesetzlich verankerte freiheitliche Selbstverwaltung für ein Linsengericht. Wie will er garantieren, dass der Staat nicht im Rahmen der Ausweisangelegenheit nunmehr Einblick in die Belange der Mitglieder bekommt, die beruflichen Schutz suchen, ja sogar im ungünstigen Fall über den Entzug des Ausweises mitentscheidet? Die Medienverbände bringen sich damit in eine unnötige und fatale Unterwerfungsposition.
„Wir müssen die Arbeit der hauptberuflichen Journalisten schützen“, predigt IMK-Projektleiter Pistorius, Niedersachsens Innenminister. Indem man Presseausweise nur an „seriöse“ Journalisten ausgibt, wie seine Justiz-Kollegin Niewisch-Lennartz fordert?
Höchst bedenklich ist nämlich die staatliche Einflussnahme in § 10 Abs. 1:
„Personen, die die Voraussetzungen des einheitlichen Presseausweises nicht erfüllen oder deren publizistische Tätigkeit laufend oder sonst schwerwiegend gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt, die dem Schutz der verfassungsgemäßen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dienen, erhalten keinen Presseausweis.“
Und weiter in § 9 Abs.1: „Die Ausweise werden nur an hauptberufliche JournalistInnen ausgegeben, die eine verantwortliche, im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit ausüben.“ Diese Formulierung bestand zwar schon im bisherigen Anerkennungsverfahren, gewinnt aber im Rahmen der Fake-News-Hysterie neue brisante Bedeutung.
Wer bestimmt also künftig, wer gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt, oder was eine verantwortliche, im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit ist? Heiko Maas, Frau Kahane, die IMK, der ständige und gleichberechtigte IMK-Gast de Maiziere, die Kanzlerin oder die Journalisten selbst?
Was treibt den Staat, sich dermaßen rigoros in die Angelegenheiten der Presse und damit in die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit einzumischen? Vier mögliche Antworten: der Staat ist schwach, hat Angst vor unbequemer Berichterstattung, er will kontrollieren und notfalls Druck ausüben.
Der Presserat und die Verbände müssen sich fragen lassen, warum sie hier mitziehen anstatt auf staatliche Distanz zu gehen? Das Argument angeblicher Missbrauch durch rechte Störer ist nicht das Regelungsproblem der Verbände. Ist es der Wettbewerbsvorteil, den sich die handverlesenen Verbände durch das amtliche Siegel vor Mitbewerbern erhoffen? Lohnt es sich, grundgesetzlich verankerte Freiheiten dafür zu opfern? Denn theoretisch wäre es möglich, die Regelungen ohne Staatsbeteiligung durchzuführen. Der Aufschrei der Journalisten blieb aus. Die Leser werden sich fragen, warum „seriöse“ Journalisten und Staat so eng kooperieren.
2017 ist nicht 1933, aber dennoch sei als Warnung an den Beitrag der Schweizer Neuen Zürcher Zeitung erinnert, die zur Verabschiedung des Schriftleitergesetzes vom 4.10.1933 schrieb: „Infolgedessen wird die Aufgabe der Presse von Grund aus verändert. Sie besteht wesentlich darin, nicht mehr zu diskutieren, sondern zu interpretieren und die Entschlüsse der Regierung mit den Argumenten unterbauen zu helfen, die sie beizubringen vermag.“
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