Hart aber Fair über den begonnenen Bundestagswahlkampf

Gut möglich ist, dass diese Hart aber Fair-Debatte nichts als heiße Luft um ein letztlich drittrangiges Thema war, und sich Olaf Scholz am Ende des Wahlkampfes wie sein eigenes Thema auf dem dritten Rang hinter seinen Widersachern Merz und Habeck wiederfinden wird.

Screenprint ARD / Hart aber Fair

Unter Wählern, aber auch unter einigen Politikern, gibt es eigentlich nur zwei Typen: Solche, die eigenständig ihre Werte und politischen Überzeugungen herausbilden und gemäß dieser Überzeugungen wählen oder sich in einer Partei engagieren, und solche, die sich irgendwann einmal, mehr oder weniger zufällig, für eine der bekannteren Parteien entschieden haben und seit diesem Tag ihre „Überzeugungen“ aus den offiziellen Verlautbarungen der Partei ableiten.

In Zusammenhang mit dem letzteren Menschentypus überhaupt von Überzeugungen reden, hieße dem Wort jeglichen Sinn zu nehmen. In einem Essay aus dem Jahr 1918 mit dem Titel „Opportunismus, der Weltfeind“ hat der Schriftsteller Stefan Zweig eine bis heute überzeugende Unterscheidung zwischen Überzeugungen auf der einen und Meinungen auf der anderen Seite getroffen: „Meinung haben viele. Überzeugung ganz wenige. Meinung fliegt zu aus Wort, Zeitungsblatt, Wunsch und Gerede, fliegt wieder fort mit dem nächsten Wind, klebt an den Tatsachen und ist immer dem Druck der Luft, der Massenpsychose, unterworfen. Überzeugung wächst aus Erlebnis, nährt sich an Bildung, bleibt persönlich und unteilhaft an den Ereignissen. Meinung ist Masse, Überzeugung der Mensch.“

Handeln statt Tricksen
Was jetzt zu tun ist: Regierungsprogramm für einen Kanzler
Der SPD-Mann Ralf Stegner lebt weit überwiegend von Meinungen, genauer: von denen der SPD. Er ist die wahrscheinlich reinste Verkörperung des Typus des Parteisoldaten, die Deutschland zu bieten hat. Das ist an sich beileibe nichts Neues oder Verwunderliches, das ist schon klar. Aber mich überrascht diese öffentliche Preisgabe der eigenen Person zugunsten der gerade herrschenden Parteidoktrin doch immer wieder aufs Neue. Seit Donnerstagabend wissen wir nun endgültig, welche drei Männer sich anschicken, uns ab dem nächsten Frühjahr oder – je nach Tempo der Koalitionsverhandlungen – ab Sommer zu regieren.

Olaf Scholz und nicht Boris Pistorius wird für die SPD als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen. Letzterer hatte in einem Video-Statement seinen Verzicht auf eine Kandidatur und damit auf einen parteiinternen Wahlkampf erklärt. Dabei hätten sich nach den aktuellsten Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen in einem Kanzlerduell mit Friedrich Merz sage und schreibe 59 Prozent der Deutschen für Pistorius als Kanzler entschieden, während Scholz im selben Duell nur auf 39 Prozent kommt. Und Ralf Stegner, der um die um Dimensionen besseren Umfragewerte für Verteidigungsminister Pistorius weiß, sitzt am Montagabend bei Hart aber fair und erklärt, weshalb Olaf Scholz der bestmögliche Kandidat für die SPD sei.

Die „Argumente“ dafür erinnerten gleichwohl an gegenseitige Beschwörungen von Sektenmitgliedern: Man könne noch nicht vorhersehen, was im Wahlkampf passiere, aber irgendwie wird es sich am Ende bestimmt schon ausgehen. Die SPD-Wahlkampfstrategie ist mit der Entscheidung pro Scholz und angesichts eines Rückstandes von zwanzig Prozentpunkten auf die Union mittlerweile bei Hoffen und Bangen, purem Wunschdenken und dem Glauben an Wunder angekommen. Erinnert sei an diesem Zusammenhang auch an Saskia Esken, die der SPD erst kürzlich ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastisches Wählerpotenzial von 47 Prozent attestierte.

Steinhöfel mahnt ab
Bei Beleidigung fix, ansonsten lax: Habecks Lockerheit in rechtlichen Dingen
Nun gut, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber mich persönlich hätte durchaus interessiert, wie die SPD dieses Mal gedenkt, ihren massiven Rückstand aufzuholen. Denn auf einen Pleiten-, Pech- und Pannen-Wahlkampf der Konkurrenz – ihrem Erfolgsrezept von 2021 – wird sie sich wohl bei den anstehenden Neuwahlen nicht erneut verlassen können. Ein bisschen mehr als die viel beschworene „Besonnenheit“ von Olaf Scholz in Sachen Ukraine-Politik müsste da schon herumkommen.

Entscheidet sich die Bundestagswahl an der Ukraine-Frage?

Womit wir dann auch beim Hauptthema der gestrigen Sendung wären: Der Frage welche Rolle, die deutsche Ukraine-Politik für den anstehenden Wahlkampf spielen wird. Und ich will es gleich vorwegnehmen: Exklusive und neue Erkenntnisse über die Haltungen der Parteien zur Ukraine konnte ein stets bemühter Louis Klamroth den Diskutanten nicht entlocken. Dafür kam mir vor dem Bildschirm aber das ein oder andere Mal der Gedanke, dass die Grünen in Felix Banaszak seit Kurzem einen talentierten Politiker an der Spitze haben.

Ja, Sie haben richtig gelesen. Ich habe Banaszak gestern zugegebenermaßen das erste Mal öffentlich wahrgenommen und auch wenn ich inhaltlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 97,5 Prozent seiner Positionen ablehne, muss ich doch anerkennen: Da saß gestern ein aufgeräumter Mann, der immerhin stringent argumentieren und seine Gedanken prägnant formulieren kann – mithin Eigenschaften, die in Spitzenpositionen bei den Grünen seit einiger Zeit keinesfalls selbstverständlich sind. Inhaltlich argumentierte er zusammen mit Norbert Röttgen (CDU) und der Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff jedenfalls für eine entschiedenere Unterstützung der Ukraine, die auch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern einschließt.

Das Geschäft mit der Desinformation
Welche NGOs von „Desinformationskampagnen“ tatsächlich profitieren
An dieser Stelle muss ich vielleicht kurz einschieben, dass ich in Sachen Ukraine keinen fest einbetonierten Standpunkt habe. In Gesprächen mit Freunden teste ich wahlweise mal die eine, mal die andere Perspektive aus und versuche, dabei für mich herauszufinden, welche Argumente ich überzeugender und welche ich weniger schlagend finde. Gestern jedenfalls hat mich die Fraktion um Röttgen und Banaszak mehr überzeugt. Wie ihnen erscheint es mir einfach einleuchtender, aus einer Position der Stärke heraus Verhandlungen zu erzwingen, als sich in einer Position der Schwäche die Friedensbedingungen diktieren zu lassen.

Denn dass es letztlich Verhandlungen und Diplomatie gibt, bestreitet ja niemand ernsthaft. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen diese Gespräche dann geführt werden. Ich persönlich würde zum Beispiel statt mit dem Rücken zur Wand und einem Messer an der Kehle auch lieber mit als ohne Pfefferspray in der Hand um meine Brieftasche verhandeln. Aber das mag jeder mit sich selber ausmachen. Ich verstehe auch jeden, der, um seine Gesundheit zu schützen, nachgeben, ohne sich zu wehren, das Portemonnaie herausrücken würde. Aber – um wieder auf die politische Ebene zurückzukommen – wenn „wir“ uns bzw. die „demokratischen Parteien“ sich dazu entschieden haben, die Ukraine sowohl finanziell als auch militärisch zu unterstützen, dann verstehe ich ehrlich gesagt die ganzen Debatten um Waffenlieferungen nicht.

Es ist doch so: Entweder ist die Ukraine Opfer eines russischen Angriffes und hat daher das legitime Recht, sich mit allen notwendigen und erlaubten Mitteln zu verteidigen, oder aber sie ist es nicht und hat kein Recht auf Selbstverteidigung. Da sich Deutschland nun grundsätzlich zur ersten Position bekennt, wäre es doch nur folgerichtig, der Ukraine dann auch alle Waffensysteme zur Verfügung zu stellen, die sie für die Abwehr des russischen Angriffs braucht. Die SPD-Position, die zwar Putin als Aggressor verdammt, gleichzeitig aber davor zurückschreckt, dessen Aggression wirksam zu bekämpfen, ist dagegen schlicht inkonsistent.

Endspiel
Ampel: viele Formen der Lüge, der Irreführung und des Etikettenschwindels
Entweder unterstützt man die Ukraine so gut es geht oder man lässt es ganz, aber dieses Herumlavieren und Triggern von Ängsten vor hypothetischen Schreckensszenarien (Atomwaffen, 3. Weltkrieg, etc.) à la Scholz und Stegner ist einfach unwürdig. Außerdem sollte man doch gerade in Deutschland aus den verhängnisvollen Folgen deplatzierter Appeasement-Politik gelernt haben.

Machtmenschen vom Format eines Putin kann nur mit Gegenmacht begegnet werden. Jede Schwäche des Gegners (des Westens) wird gnadenlos ausgenutzt.
Bevor ich mich aber ungewollt nun doch noch in den dogmatischen Grabenkämpfen zwischen Ukraine-Befürwortern und -gegnern zu verlieren drohe, will ich dann mit Blick auf die Bundestagswahl doch noch einmal auf die Bremse treten. Denn ob die Ukraine-Politik überhaupt ein prägendes Wahlkampfthema wird und ob Scholz mit seiner Fokussierung auf seine Rolle als vermeintlicher Friedenskanzler nicht aufs falsche Pferd gesetzt hat, ist zumindest offen. Denn auf der öffentlichen Agenda stehen aktuell zurecht die wenig erfreuliche Lage der deutschen Wirtschaft und das Migrationsthema noch deutlich höher im Kurs.

Gut möglich also, dass die gestrige Hart aber Fair-Debatte nichts als heiße Luft um ein letztlich drittrangiges Thema war, und sich Olaf Scholz am Ende des Wahlkampfes wie sein eigenes Thema auf dem dritten Rang hinter seinen Widersachern Merz und Habeck wiederfinden wird.

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Kommentare ( 90 )

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November Man
1 Monat her

Deutschland hat nächstes Jahr die Wahl zwischen schwarz-„grüner“ Pest und schwarz-roter Cholera.
Man kann nur hoffen, vernünftige und verantwortliche Wähler besinnen sich, verhindern das und wählen die AfD. Sonst wars das wohl.

November Man
1 Monat her

Warum wird hier Frau Dr. Alice Weidel Kanzlerkandidatin der AfD nicht erwähnt? Die AfD liegt in den Umfragen bei ca. 19,5% vor der SPD und den Grünen und Frau Weidel bei den Kanzlerkandidaten auf Platz zwei mit Scholz gleichauf und weit vor dem Schlusslicht Habeck. Laut Bild: Umfrage-Sieg für Kanzlerkandidat Friedrich Merz – Olaf Scholz abgestürzt. Auch bezüglich der Kanzler-Kandidaten gaben die Befragten ihre Meinung ab. Demnach sprach sich eine relative Mehrheit von 40 Prozent dafür aus, dass CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz der Favorit für den Posten sei. Es folgten Alice Weidel und Olaf Scholz mit jeweils 14 Prozent… Mehr

Martin Buhr
1 Monat her

„… gerade in Deutschland aus deplazierter Appeasement-Politik gelernt haben .“ Richtig . Jedoch kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen , wenn man sich sich nicht ausschliesslich von Guido Knopp unterrichten laesst . „Machtmensch Putin , der jede Schwaeche ausnutzt “ … Wieviele Vertraege mit den USA und der Nato hat Putin einseitig gekuendigt ? Wo , wann und mit welchen Worten und in welchem Zusammenhang hat Putin seinen Willen zum Machtausbau in Richtung Westen verkuendet ? In welchem westlichen Land hat Putin seinen Geheimdienst dazu beauftragt , einen Putsch ( regime change ) durchzufuehren , um dort seine Waffen gegen den… Mehr

Fieselschweif
1 Monat her

Ich bin im Grunde fassungslos, wie gescheiterte Typen sich erdreisten, das Scheitern wiederholen zu wollen. Da muss man doch sagen: Hallo, MacFly, jemand zuhause. Vor ein paar Tagen noch, waren es die „Politiker der Ampel“, die es mit gewaltigem Anlauf und mit Ansage versemmelt haben: Die Wirtschaft geht seit die Ampel regiert massiv in die Knie, das Steuergeld wird für parteipolitische Lieblingsprojekte zum Fenster rausgeworfen (Bürgergelderhöhung, unbegrenzte Zuwanderung in die Sozialsysteme, ein Haus für die 8-köpfige sogn. Geflüchtetenfamilie for free, etc. pp.), wobei man sich dann ob der disfunktionalen Geldorgie darüber beschwert, dass man nun kein Geld mehr für die… Mehr

Last edited 1 Monat her by Fieselschweif
merkelinfarkt
1 Monat her

Ich habe in der Teilnehmerliste keinen Vertreter der AfD gesehen – da schalte ich dann gleich weg. Geschwätz und Scheingefechte der weitestgehend Einigen interessieren nicht; und was soll da eigentlich noch „hart“ oder gar „fair“ sein?

Thomas
1 Monat her

Russland führt aus seiner Sicht, man mag dem zustimmen oder nicht, es ändert nichts an der Tatsache, in der Ukraine einen existentiellen Kampf. Das bedeutet, daß Russland nicht nachlassen wird bis es seine Ziele erreicht hat. Wenn auch der Westen nicht nachgibt, weil die Niederlage in der Ukraine die Herrschaft des jetzigen westlichen Machtkartells einschliesslich Nato wahrscheinlich beenden würde (wenn die Menschen das Ausmass der Niederlage realisieren) bedeutet das leider, daß wir uns mE nach auf weitere Eskalation einstellen müssen, mit der Möglichkeit, das der Krieg auch Deutschland erreichen kann. Ps Viele westliche Beobachter flüchten sich in die Hoffnung, daß… Mehr

Last edited 1 Monat her by Thomas
Dieter Rose
1 Monat her

Aus der Position der Stärke heraus verhandeln. Prima. Wenn es nach einem provozierten Atomschlag noch was zu verhanden gibt.
Sebbst wenn man der „Erstschläger“ ist…

BK
1 Monat her

Merz-Habeck-Scholz, wenn das alles ist, was mein Leben zukünftig ruiniert, dann muss ich mich für die nächsten Jahre irgendwo im Wald eingraben, Hasen jagen und Beeren sammeln. Mit diesen Leuten in der Regierung hat Deutschland bald keine Freunde mehr und wir werden die bittersten Zeiten erleben. Ich glaube, da war es noch in der Ostzone schöner, als es demnächst hier sein wird. Vier weitere Jahre dieses Elend ertragen müssen, das verkrafte ich nicht mehr.

November Man
1 Monat her

SPD- Stegner ließ kein gutes Haar am CDU-Kanzleranwärter Merz. Der habe ja noch nicht einmal „eine Kreisverwaltung im Sauerland verwaltet“, sagte er mit Blick auf Merz’ sauerländische Herkunft. Wo er recht hat hat er recht.

Logiker
1 Monat her

bekannter Witz aus der Ehemaligen:

Kommt ein Mann zum Zeitungskiosk und sagt:
„Ich hätte gern ein Neues Deutschland.“
Beugt sich der Verkäufer vor und flüstert:
„Ich auch.“

Last edited 1 Monat her by Logiker