Hart aber Fair: Putin schafft Fakten, wir klopfen Sprüche

Bei Hart aber Fair meint man, Putins Panzer mit großen Worten und pathetischen Floskeln beikommen zu können. Hilflose Spekulationen über den Gesundheitszustand des Kreml-Chefs ändern auch nichts am Bild.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Eigentlich sollte es am Montagabend um Inflation gehen – doch die Weltpolitik macht dem WDR einen Strich durch die Rechnung. Die russische Eskalation im Ukraine-Konflikt zwingt Plasberg das Thema von vergangener Woche auf. „Russland streckt die Hand nach der Ostukraine aus“, konstatiert Plasberg – um darüber zu sprechen, müssen er und sein Team eilig eine passende Runde zusammenzimmern. Da überrascht es nicht, dass mit CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, ARD-Journalist Vassili Golod und Russland-Expertin Sarah Pagung drei Gäste vom letzten Mal wieder dabei sind. Dazu kommen noch FDP-Fraktionschef Christian Dürr und der ehemalige ARD-Journalist Ulrich Lielischkes. Es ist die einzige Reaktion der ARD auf die Eskalation an diesem Abend – während das Privatfernsehen schnell mit Berichterstattung zur Stelle ist, läuft im ÖRR das Normalprogramm weiter.

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In der letzten Sendung wurde noch groß diskutiert, wer denn Putin die Stirn bieten wolle – jetzt stellt sich heraus, dass man die Drohungen und Bekundungen in Moskau scheinbar gar nicht gehört hat. CDU-Politiker Röttgen beklagt jetzt einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ und attackiert Putin scharf. Dieser habe am Montagabend eine „Kriegsrede“ gehalten. Die politischen Manöver um die „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk zielten „faktisch auf die Kriegseinladung“ Russlands ab. Sanktionen müssten jetzt kommen, und zwar scharf und so schnell wie möglich.

Der ARD-Veteran Ulrich Lielischkes ist sich sicher: Die Bitte um Aufnahme in die Russische Föderation wird kommen – und dabei wird es wahrscheinlich nicht bleiben. Putin verhalte sich wie eine Python-Würgeschlange. Er „drücke“ langsam zu, um sein Ziel zu erreichen. „Ich glaube, wir sind in der Anfangsphase eines neuen kalten Krieges.“

Wie NATO und EU genau reagieren wollen, weiß keiner – auch die NATO und die EU nicht

Dann beginnt der Journalist mit dem Mutmaßen – um Putins Gesundheitszustand. Der Präsident sei psychisch und physisch nicht in guter Verfassung, munkelt die Runde. Er nehme Steroide, sei seit Corona zunehmend isoliert und in sich gekehrt. Bei seiner Rede habe er auch ganz blass gewirkt. Putin wird aus 3.000 Kilometern Entfernung ferndiagnostiziert. Plasberg fragt auch nach, ob man Putin nicht den Atomkoffer wegnehmen könne – bei Trump habe es ja zumindest solche Überlegungen gegeben. Spätestens jetzt wird es absurd – schrille Töne wie diese übertünchen jeden Funken von ernsthafter Debatte über die Fakten, die Putin geschaffen hat. Doch was sein nächster Schritt ist, weiß die Runde nicht. Er sei quasi nur noch von außenpolitischen Falken umgeben – doch in den nächsten Tagen sei ein „Vortasten“ zu erwarten, meint zumindest Russland-Expertin Pagung.

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Das Kernproblem Russlands sei „seine Schwäche“, sagte Röttgen. „Eine wirtschaftliche Modernisierung würde auch eine Änderung des politischen Systems bedeuten. Putin weiß, dass das eine Sackgasse ist und rettet sich dadurch, dass er immer weiter hineinläuft“ – doch rhetorisch ist es eindeutig Röttgen, der die Flucht nach vorn antritt. FDP-Fraktionschef Christian Dürr wirbt für eine geschlossene Antwort des Westens.

Doch wie NATO und EU genau reagieren wollen, weiß keiner – auch die NATO und die EU nicht. Plasberg schaltet zum ARD-Korrespondenten in Brüssel, Markus Preiß. Der konstatiert, in Brüssel herrsche „hektische Ratlosigkeit“. Zwar hatten Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel Sanktionen angekündigt – doch wie diese aussehen sollten, sei noch völlig offen. Röttgen fordert das volle Sanktionspaket anstatt einer „mehrstufigen Rakete“. Doch die Einschläge von Röttgens metaphorischen Flugkörpern würde man in Russland wohl so oder so nicht bemerken. Die zugeschaltete Moskau-Korrespondentin Ina Ruck erklärt, dass weitere Sanktionen „in der Bevölkerung wohl kaum“ ankommen würden und der russische Staat die westlichen Sanktionsdrohungen wohl ohnehin nicht fürchte.

Die einzige, die sich fürchtet, scheint Russland-Expertin Pagung zu sein – und zwar vor einem „heißen Krieg“. Doch Antworten, um das zu verhindern, werden auch keine gefunden. Die eilige und chaotisch geführte Runde repräsentiert so an diesem Abend erfolgreich die Lage des Westens: Putin schafft Fakten, wir gucken zu. Und ihn für verrückt oder krank zu erklären, wird an dieser Gemengelage nichts ändern.

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Kommentare ( 63 )

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Wolfgang M
2 Jahre her

Wenn man den Politikern zuhörte, hatte man das Gefühl, dass alle Sanktionen auf EU und NATO-Ebene abgesprochen sein und man nur noch festlegen muss, ob Sanktion 1 oder 2 oder 3 in Kraft tritt. Stattdessen fängt man wieder an zu diskutieren und jeder backt sein eigenes Brötchen. Da muss sich Putin nicht fürchten.

Teiresias
2 Jahre her

Wirtschaftssanktionen sind sicher eine ganz tolle Disziplinierungsmaßnahme, wenn man das unverzichtbare Zentrum der Weltwirtschaft darstellt. Eine sich dank „Green Deal“ selbstverzwergende EU, die bestenfalls noch als Nebenschauplatz gelten kann, schadet sich mit Sanktionen nur selbst. Da die Schwerpunkte der Weltwirtschaft sich nach Asien verlagert haben und weiter verlagern werden, sind wirksame Wirtschaftssanktionen – falls man Putin wirklich zwingen wollte – ohne Asien nicht möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß all die Politikberater, Strategen und Politologen das nicht genau wissen. Insofern muss man davon ausgehen, daß hier ganz andere Motive als der „Schutz des Völkerrechts“ eine Rolle spielen: Die USA… Mehr

Andreas aus E.
2 Jahre her

Also, ich vermochte nach Lektüre der langen Rede Putins (beim Röper, ok, erklärter Putinist, aber nachprüfbar) nichts erkennen, was den irgendwie irrationial erscheinen ließ.
Auch die Ausführungen zur Historie vermag ich zu teilen.
Offenkundig leben wir tatsächlich in verschiedenen Universen.
Hoffentlich erkennen das relevante Politikaster wenigstens ähnlich, und uns bleibt Megablutbad erspart.

Thomas Hellerberger
2 Jahre her

“Sprüche klopfen” (und sonst nichts) würde auch eine AfD-Bundesregierung, bloß daß sie lebhaft der russischen Regierung beispringen würde. Alle Deutschen im Jahre 2022 können nichts als Sprüche klopfen, moralisch oder nicht, wenn es um Außenpolitik oder Sicherheit geht. Das hat mit der Ampel, Baerbock, Scholz oder nicht einmal der Alantikbrücke oder Klaus Schwab etwas zu tun. Das ist etwas ganz typisch deutsches. Wir haben 1945 unsere nationale Würde, insbesondere unsere Selbstachtung und damit jeden Willen, uns jenseits der reinen Einkommenserlangung zu behaupten, aufgegeben. Das einzige, was den Deutschen seitdem an seiner Nation interessiert, ist der Sozialstaat. Rente, Pension, Krankenkasse, oder… Mehr

Peter Gramm
2 Jahre her

Lese gerade das Buch von Heiko Schöning „Game Over“ (Band1). Mafiöse Strukturen offenbaren sich. Da muß man sich über die personellen Besetzungen in den entsprechenden Verantwortungsbereichen nicht mehr wundern. Man glaubt es nicht, es sind aber Realitäten. Da ist nichts mehr zufällig, da ist alles ganz penibel geplant.

RMPetersen
2 Jahre her

Jetzt kommt die erste Bewährung der „vom Völkerrecht her kommenden“ Annalena B.
Mit dem von ihr vorgetragenen Prinzip „feministische Aussenpolitik“ wird sie sicherlich ganz groß rauskommen. Was ist dagegen schon Real- und Machtpolitik.

Roger W.
2 Jahre her

in Brüssel herrsche „hektische Ratlosigkeit“
Hat irgendjemand irgendwann Brüssel und die EU in irgendeiner x-beliebigen Frage in einem anderen Aggregatzustand erlebt?
Ausnahmen gelten nur, wenn Bürgerrechte, das Subsidiritätsprinzip und die heilige Freizügigkeit – mit Ausnahme selbstverständlich derjenigen aller legalen und illegalen Migranten – einzuschränken sind.
Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos.

Oekoverweigerer
2 Jahre her

Ich habe gerade 11:30 Uhr in Россия 24 die Abstimmung über die Verträge mit den beiden Republiken gesehen. 88,9% der Abgeordneten haben der Ratifizierung zugestimmt. Damit dürfte sich jede Diskussion im ÖRR erledigt haben. Jetzt heißt es abwarten!

Julian Schneider
2 Jahre her

Und warum ist die Bevölkerung in der Ostukraine russisch?

Sabine K.
2 Jahre her

Vielleicht sollten sich diese „Experten“ mal den Gesundheitszustand des amerikanischen Präsidenten genauer anschauen, der ohne Teleprompter und vorgefasste Pressekonferenzen hilflos scheint und nicht umsonst Sleepy Joe genannt wird.