Gestatten: Tess McGill, Working Girl

Auf dem Event angekommen, hält sie Ausschau nach Jack Trainer, von dem sie nicht weiss, wie er aussieht. Unwillkürlich stellt man sich die Frage: Hey, warum hat sie ihn denn vorher nicht gegoogelt? Bevor man wieder darauf kommt: Oh, stimmt. Das sind ja die Achtziger! Jack Trainer hat sie in der Menge der Gäste bereits erspäht. Was folgt, ist eines der besten und wahrhaftigsten Komplimente, die man Frauen in der Finanzbranche überhaupt nur machen kann:

„Sie sind die erste Frau, die ich auf so einer Veranstaltung sehe, die sich auch kleidet wie eine Frau. Und nicht wie eine Frau, die denkt: was würde ein Mann anziehen, wenn er eine Frau wäre.“

Sie sitzt da, an dieser Bar mit dem Investment Broker, von dem sie nicht weiss, dass sie für den nächsten Tag einen Termin mit genau ihm vereinbart hatte und sagt ihm, leicht enthemmt durch die fatale Kombination aus Tequila und Valium, dadurch auch entspannt und völlig selbstbewusst: „Ich habe ein Gespür für’s Geschäft und einen Körper für die Sünde. Ist daran irgendwas verkehrt?“ Und er entgegnet fasziniert: „Nei… Nein.“ Man stelle sich so einen Dialog im Deutschland von heute vor, die Dame dabei im offenherzigen Dirndl. Der Ausgang dieser Geschichte ist bekannt.

Nach einigen weiteren Verwicklungen, entwicklen beide die Investmentidee von Tess gemeinsam weiter, und Jack begibt sich auf die Reise und die ersten Akquisitionsgespräche. Ohne im Vorfeld einen Termin beim Big Boss des Konzerns zu vereinbaren, um den es geht, schleicht sich Tess auf der Hochzeitsfeier dessen Tochter ein und gibt sich als Freundin des Bräutigams aus. Jack, überrumpelt von der Tatsache, dass Tess sich dort hineingetrickst hat, beruhigt seine Nerven bei einem Drink, akzeptiert dann aber schnell, dass Ort und Zeitpunkt günstig sind – und läßt sich auf ihre Art zu spielen ein. Während er eine unansehnliche Brautjungfer mit entwaffnendem Charme abklatscht, kann Tess einen Tanz mit dem Tycoon aufs Parkett legen. Sie nutzt ihre zwei Minuten, ist perfekt über seinen Hintergrund informiert und bringt ihr Projekt vor. Zack! Es läuft, und wie.

Allerspätestens an dieser Stelle ist man gefangen von der Person Tess McGill. Diesem einfachen Mädchen der Arbeiterklasse. Sie hat sämtliche Hürden überwunden und ist direkt und ohne weitere Umwege auf’s Ziel los. Mit viel Mut. Leidenschaft. Überzeugung. Engagement. Sie wächst über sich selbst hinaus und katapultiert sich in eine andere Liga.

Tess beschreibt diesen Weg später: „Man kann die Regeln zurecht biegen, wenn man an der Spitze ist. Aber jemand wie ich kann nicht dahin kommen, ohne die Regeln zurecht zu biegen.“

An einem Punkt entscheidet sich Tess dafür, die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Man spürt ihre Unsicherheit. Sich innerhalb von Kreisen zu bewegen, mit denen sie vorher nur für einen kurzen Moment am Tag den Fahrstuhl geteilt hat.
An irgendeinem Moment im Leben kommt man dahin, zu genau diesem Punkt, an dem die Strecke sich gabelt. Aufgeben und geschlagen geben?
Die Wahl der Waffen ist frei. Der Weg unbeschritten. Die Fußspuren sind frisch wie an einem klaren Neuschneemorgen.

Der American Way of Life ist gefühlt öfter ein Produkt der Hollywood-Industrie als ein real existierendes Phänomen. Dennoch kann man sich der Stärke der Botschaft dieses Films schwer entziehen.

Natürlich kommt es zu einem nervenaufreibenden Showdown. Die heimgekehrte Chefin kommt dahinter, was die kleine Sekretärin hinter ihrem Rücken getrieben hat. Irgendwie kommt Jack Trainer dabei nicht die Gewichtung zuteil, die bei vielen Filmen die Ursache eines Machtkampfs zwischen zwei Frauen bildet: Ein Kerl.

Man fragt sich heute, was eine feurige Selfmade-Person wie Tess McGill wohl zu so etwas abstrusem wie der Frauenquote sagen würde. Zu Vereinigungen wie Pro-Quote, die jede Woche einen neuen Beschwerdebrief an Veranstalter, Verleger, Herausgeber und Chefredakteure schreiben. Frauen, die sich auf eine gemachte Position setzen wollen und denen dabei das Mittel der Beschwerde oder das Durchdrücken per Gesetz gerade recht ist. Dabei ist das Arbeiten unter Frauen gar nicht so nett und freundlich, wie diese Frauengruppen es doch so gerne für sich in Anspruch nehmen wollen. Das Arbeitsleben unter Frauen ist ebenso hart, wenn nicht sogar härter – und ebenso unfair wie es auch unter Männern zugehen kann. Männer graben eine Frau an, blitzen ab, man kommt nicht weiter. Da ist das Visier wenigstens offen. Unter Frauen ist es sehr oft geschlossen. Die Abneigung hinter aufgesetzter Freundlichkeit verschleiert. Da kommt man nicht weiter. Aber kommt oft erst sehr viel später darauf, warum nicht.

Nach aufschlussreichen Jahren im Berufsleben, kann man eines mit Sicherheit festhalten: Ob Mann oder Frau – das ist völlig egal: Arsch ist Arsch.

Tess McGill macht es besser. Sie hat zwar nicht vor, sich den Rest ihres Lebens den Hintern abzuarbeiten und nirgendwo hinzukommen, weil sie Regeln befolgt hat, die sie nicht aufgestellt hat. Aber anstatt sich irgendwo reinzubeschweren, greift sie zum Hörer und kündigt ihr Erscheinen an.

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