Journalismus auf Abwegen: Fotos von den „trendy Taliban“

Das Informationsbüro der Taliban muss keine eigenen Hochglanzfotos ausgeben, die westliche Presse überschwemmt die Zuschauer mit Bildern. Manche fabulieren gar einen "liberaleren Kurs" der Taliban. Ahmad Mansour reißt die Journalisten aus diesem Traum.

Screenprint: Daily Mail UK

Fast scheint es, als habe die Taliban-Führung absichtlich ihre besten Poster-Boys nach Kabul in das Blitzlichtgewitter geschickt. Langhaarig, schwerbewaffnet, mit coolen Sonnebrillen und lässigen Kopfbedeckungen. Erinnerungen an den jungen Che Guevara werden wach, fast erwartet man, dass die Kerls sich Selbstgedrehte in den Mundwinkel schieben und mit schicken jungen Mädels die Kabuler Tavernas bevölkern. Aber halt, das verböte sich ja wegen der bekannten religiösen Einschränkungen.

Das Informationsbüro der Taliban muss jedenfalls keine eigenen Hochglanzfotos ausgeben, die internationale Presse kooperiert gerne, überschwemmt die Zuschauer mit Bildern, die kaum ahnen lassen, was diese Bubis auf den Pickups und Humvees mit den Kalaschnikows wirklich bewegt. Interviews wurden ihnen offenbar untersagt, keine entlarvenden, erhellenden Zwiegespräche in paschtunischem, tadschikischem, usbekischen oder sonst einem lokalen Teenager-Kauderwelsch, in dem der Befragte ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert: „Ja, bin isch so seit 5 Jahren bei die Taliban, da hab‘ isch in der Madrassa so ganz super Sachn gelernt, über Gott und so…“. Kein Gegrinse in die Kamera, keine der sonst in diesem Kulturraum durchaus üblichen Siegesfeiern mit gemeinsamen Salvenschüssen in den blauen Himmel.

— Argo Nerd (@argonerd) August 19, 2021

Was machen diese Typen, wenn der Abend hereinbricht und sie nicht mehr auf irgendwelchen Kampfmaschinen posen können? Schweigend am Lagerfeuer? Im Kriegstanz drumherum, oder angeregt im Flüsterton religiöse Thesen besprechend? Was essen sie so, vegetarisch oder doch das Kotelett von der Bergziege? Wie ticken diese jungen Revoluzzer, wie stellen sie sich die Zukunft ihres Landes vor?

Wahrscheinlich weiß das niemand außer ihnen selbst so wirklich. Und was für ein Forschungspotential für die deutsche Sozio- und Theologie, die sich diesen Fragen in den nächsten Jahrzehnten nun ausgiebig widmen kann.

Möglicherweise ist dies genau der Grund, warum der Westen so grandios in Afghanistan gescheitert ist. Das Angebot, die Perspektive, morgens aufstehen, Krawatte binden, in den Mittelklassewagen und ab ins hochglanzverglaste Bürogebäude, 28 Tage Urlaub im Jahr bei vollem Lohnausgleich, war einfach nicht attraktiv genug. Stattdessen haben sich diese Jungs für den dauerhaften Abenteuerurlaub entschieden, Kampf gegen das böse Imperium, mit der Waffe in der Hand gegen einen übermächtigen Feind. Beraten, ausgebildet und geführt von Männern, die aussehen, als seien sie grade einem Mittelalter-Spektakel aus Hollywood entsprungen. Knorrige, beturbante, graubärtige Gestalten, die mit einem strengen Blick und noch einigen anderen Tricks wahrscheinlich töten könnten. Der „Look“, den diese Männer und deren Vorfahren wohl seit über tausend Jahren pflegen. Leider fehlen die hierzulande üblichen Pressebilder, in denen diese rüstigen Alten vor und zu ihren Anhängern sprechen; auf denen sichtbar würde, ob und wie der Funke zwischen politischem Exponenten und den Massen überspringt. Ja hat denn dort noch niemand von einer vernünftigen Internet-Imagepflege gehört?

Angesichts so viel urwüchsiger Strenge muss sich so mancher domestizierter westlicher Politiker wie der römische Patrouillenführer auf verlorenem Posten in dem korsischen Dorf (Asterix auf Korsika, Studicus bei Waggonlix), doch völlig deplatziert und hoffnungslos unterlegen fühlen. „Ihre Schwester interessiert mich doch garnicht.“ Ach, sie wollen kein Smartphone, nicht mal ein kleines? Darf ich Ihnen vielleicht einen Café Latte, einen Piccolo oder ein schönes Hotelzimmer anbieten, ein klimatisiertes Elektrofahrzeug? Nein? Und damit sind wir dann schon am Ende unseres Lateins.

Aber – gottlob, möchte man fast sagen – ist für viele Afghanen zumindest der Flug Richtung Westen augenscheinlich immer noch attraktiv. Auf keinen Fall so ungeordnet und chaotisch wie am Kabuler Flughafen derzeit zu beobachten war, aber jedenfalls als Kontingentsflüchtling und in geordnetem Rahmen sicherlich. Nicht so für diese Taliban, diese Stammesführer, diese seit Jahrzehnten stoisch in ihren Gebirgsfestungen, in entlegenen Tälern gelegenen Dörfern ausharrenden Agrarier. Parallelen zu deutschen Selbstversorgern, Preppern und Aussteigern kommen einem unwillkürlich in den Sinn. Was kann nur an diesem Leben so schön sein, dass man es mit so viel Zähigkeit verteidigt? Auch das sollte der Westen nach dieser, neben der militärischen besonders auch ideologischen Niederlage unbedingt genauer untersuchen.

Anzeige

Unterstützung
oder