Faeser überspannt den Bogen: „eindeutig verfassungswidrig“

Nicht nur der Verfassungsrechtler Rupert Scholz hält das Vorgehen der Innenministerin gegen das Medium für eine Beschädigung des Rechtsstaats. Kritik an der historisch einmaligen Aktion kommt selbst von Linksliberalen.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Mit dem Verbot des Compact-Magazins könnte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Bogen endgültig überspannt haben – rechtlich, aber auch, was die Reaktionen in der Öffentlichkeit betrifft. Denn selbst etliche linksliberale Publizisten äußern sich kritisch zu dem bisher in der Bundesrepublik beispiellosen Verbot eines Mediums, das noch nicht einmal auf ein Gerichtsurteil zurückgeht, sondern lediglich auf eine Exekutiventscheidung. Dazu kommt: Die Verbotsverfügung wurde Gründer und Chefredakteur Jürgen Elsässer nicht einfach per Post geschickt, sondern morgens um 6 Uhr von einem Polizeikommando mit Sturmhauben an seiner Wohnungstür überreicht. Ein Pressefotograf war zur Stelle, der das vom Innenministerium offenbar gewünschte Foto von Elsässer im Bademantel schoss.

Das Compact-Magazin vertritt zweifellos rechtsradikale Positionen, und es ruft zum Sturz der Regierung auf. Nur: Artikel 5 des Grundgesetzes schützt auch diese radikalen Ansichten. „Die Meinungsfreiheit genießt einen so hohen Verfassungsrang, dass sie nicht einfach durch eine Exekutiventscheidung ausgehebelt werden kann“, so der Verfassungsrechtler und frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz zu TE: „Verbieten lässt sich ein Medium höchstens, wenn es eine revolutionäre Position vertritt, also zum Sturz der bestehenden Ordnung mit Gewalt aufruft. Das müsste dann aber zu einem Strafverfahren führen.“

Davon, dass derzeit ein entsprechendes Strafverfahren gegen Compact läuft oder gar ein entsprechendes Gerichtsurteil existiert, ist nichts bekannt. Auch der „ethnische Volksbegriff“, den Compact bemüht – also die Unterscheidung von angestammten und eingebürgerten Deutschen – ist nach Ansicht des Verfassungsrechtlers „nicht verfassungswidrig“. Für Scholz gilt vielmehr: „Das Vorgehen von Faeser ist eindeutig verfassungswidrig.“

Eine zweite wichtige Rechtsfrage wirft die Tatsache auf, dass ein Pressefotograf zur Stelle war, als das Polizeikommando morgens um 6 Uhr vor Elsässers Haus aufmarschierte. Offensichtlich hatte jemand den Termin durchgestochen – nach dem Urteil von Carsten Brennecke, Anwalt in der renommierten Kanzler Höcker, eindeutig eine Straftat.

„Das Compact-Magazin wird verboten und es gibt komischerweise und natürlich rein zufällig pressewirksam inszenierte Bilder vom Zugriff auf die Personen, die in ihrer Privatsphäre überrumpelt und der Presse vorgeführt werden. Solche ‚Zufälle‘ häufen sich. Man denke dabei nur an die Reichsbürger-Razzia, die Durchsuchung bei Zumwinkel oder bei Kardinal Woelki. Natürlich ist das vorherige Durchstechen von Durchsuchungsterminen durch Ministerien oder sonstige Behörden zur Selbstinszenierung nicht nur potentiell strafbar, sondern es stellt auch einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen dar“, schreibt Brennecke auf X.

Bemerkenswert ist nicht nur, dass diese mutmaßliche Straftat vom Verantwortungsbereich der Ministerin ausging, die vorgibt, die Demokratie zu verteidigen. Zur Erinnerung: Es war auch Faeser, die noch als Generalsekretärin der hessischen SPD einen Artikel für die Publikation des vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften VVN-BdA verfasste.

Die Aktion Faesers teilt auch das linke Medienlager. Zum einen bejubelte beispielsweise der SPIEGEL das Compact-Verbot – bemerkenswert angesichts der SPIEGEL-Affäre von 1962, als die Polizei ins Redaktionsgebäude des Nachrichtenmagazins einrückte.

Auch ein Redakteur des Tagesspiegel verbreitete kritiklos die Meldung von Verbot und Polizeieinsatz.

ZDF-Moderatorin Dunja Hayali postete das Foto von Elsässer an der Tür seines Hauses ebenfalls und kommentierte: „Symbolbild: Wenn Meinung und Freiheit geschützt werden…“

— Dunja Hayali (@dunjahayali) July 16, 2024

Der Grünen-Vorsitzende Noripour bedankte sich sogar ausdrücklich bei Faeser für das Verbot. Seiner Meinung nach reicht es völlig aus, dass das Innenministerium selbst das Magazin als rechtsextrem einstuft.

Der linksliberale Publizist und Medienkritiker Stefan Niggemeier allerdings schreibt auf X als Kommentar zu einem WELT-Beitrag: „Ich hatte an derselben Stelle dasselbe Störgefühl. Auch was das Verbot insgesamt angeht.“

ZEIT-Redakteur Lars Weisbrod stellt die grundsätzliche Frage: Was hat es mit der Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat zu tun, wenn die Polizei anrückt, um ein regierungsfeindliches Magazin auf Anweisung der Innenministerin dichtzumachen? Was, so Weisbrod, wenn demnächst ein rechter Innenminister nach gleichem Muster gegen linke Publikationen vorgehen würde? „Hatte mir rechtsstaat irgendwie anders vorgestellt“, schrieb er auf X.

Allerdings löschte er seinen Post dann auch wieder.

Aber auch sein ZEIT-Kollege Jochen Bittner meinte auf X: „Die hohen Hürden, die das GG vor einem Parteiverbot aufstellt, sprechen verfassungssystematisch eigentlich dagegen, dass eine Ministerin mal eben ein Medium verbieten darf.“

 

Elsässer und Comapct haben die Möglichkeit, gegen das Verbot zu klagen – und angesichts früherer Urteile zur Meinungsfreiheit keine schlechten Aussichten, das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu gewinnen. Allerspätestens dann müsste Faeser entlassen werden.

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