Tichys Einblick
Wie ein Kriegsschauplatz

Enttarnung eines Wiederholungstäters – Wikipedia: das kontaminierte Lexikon

Seit dem Ende der Enzyklopädien durch Wikipedia ist das freie Nachschlagewerk das Gedächtnis unserer Gesellschaft. Aber es ist in der Hand einiger weniger Aktivisten, die sich untereinander bekriegen. Wie seriös kann es da noch sein?

LIONEL BONAVENTURE/AFP/Getty Images

Blieben Enttarnungsversuche der Frankfurter Rundschau an einem angeblichen AfD-Autoren bei Wikipedia noch erfolglos, waren andere erfolgreicher, als es darum ging, den Autoren hinter dem Pseudonym „feliks“ ausfindig zu machen und vorzustellen, wer da und warum was macht.

Gottfried Böhmer scheint ein besonnener Mann zu sein. Er ist Autor bzw. Initiator eines Blogs einer Gesellschaft, die sich „Freunde der Künste“ (GFDK) nennt und sich selbst als „aktiver Kulturförderer in Deutschland“ versteht. Thematisch beschäftigt sich das Portal mit „Kunst, Lifestyle, Theater, Musik und der Kulturpolitik.“

Zur Kulturpolitik mag gerade noch gehören, wenn sich Böhmer Anfang 2017 in diesem eher gefälligen Kontext auffällig empört über Wikipedia äußerte, dahingehend, das Online-Lexikon sei für das weite Feld der Geisteswissenschaften leider auch „eine Tummelwiese für Schreibtischkrieger, die unter dem Banner der „Neutralität“ dafür kämpfen, ihre eigene weltanschauliche Sichtweise zur „objektiven Wahrheit“ zu machen. Das ist genau so grotesk, wie es sich anhört.“

Der Auftakt zu einer verrückten wie glaubwürdig erzählten Geschichte, wenn Böhmer dann unter der Headline: „Manipulation und Betrug bei Wikipedia sind an der Tagesordnung“ berichtet, wie ihn einmal ein IT-Unternehmen aus Wiesbaden anwerben wollte und zehn- bis fünfzehntausend Euro monatlich als Dazuverdienst anbot, wenn Böhmer regelmäßig im Wikipedia schreiben würde; wenn er sich gegen ein Honorar Schritt für Schritt hocharbeitet und mit seiner Reputation irgendwann Administratorenrechte per Wahl durch die Wikipedia-Gemeinde erwerben würde. Der so überaus großzügige Gesprächspartner Böhmers erklärte diesem abschließend, dass er schon ein großes Netz von Journalisten hätte, die für Wikipedia schreiben, diese würden Böhmer dann schon zu gegebener Zeit als Administrator vorschlagen.

Aber die Freunde der Kunst sind bei weitem nicht die einzigen, die kritisch auf das Portal schauen, Einzelkämpfer wie Michael Schmalenstroer äußern Fundamentalkritik ebenso, wie beispielsweise die Frankfurter Rundschau die Anfang 2017 unter der Überschrift „Wikipedia-Manipulation – Stille Helfer der AfD“ einen Wikipedia-Schreiber entdeckt hatte, der angeblich negative Einträge zur Partei auf Wikipedia „tilgen“ würde und damit ein Extrembeispiel dafür sei, „was jeder politisch engagierte Nutzer in der Enzyklopädie tut.“

Ein weiterer Artikel der Zeitung wollte gar von einer Unterwanderung des Lexikons durch AfD-Funktionäre wissen und interessierte sich besonders für die Person hinter einem bestimmten Fantasienamen, welche jeder Wikipedia-Schreiber verwenden kann, wenn er anonym bleiben will. Die Rundschau fragte: „Wer steckt hinter AfD-Freund „Lukati“?“ Und findet keine Antwort: „Anders als mit geheimdienstlichen Mitteln käme man nicht dahinter, wer hinter dem Account steckt.“

Nach dieser also ergebnislosen bzw. –offenen Recherche der Frankfurter Rundschau, waren ein paar Blogger nun findiger und erfolgreicher, als es darum ging, einen noch viel dickeren Fisch an Land zu ziehen und zu enttarnen. So konnten Drehbuchautor und Regisseur Dirk Pohlmann (laut Wikipedia erstellte Pohlmann „historische Dokumentationen u. a. für Arte, ZDF, ARD und Spiegel-TV“) und sein Mitstreiter Markus Fiedler für ihre „YouTube Sendung „Wikihausen“ mit „feliks“ einen Wikipedia-Autor „enttarnen“ und mit der Offenlegung dieses Vielschreibers weit über das hinausgehen, was der Rundschau bei ihrer Recherche leider versagt blieb. Über „feliks“ schrieb Pohlmann: „Er gehört zu den Schreibern, die ein geradezu unglaubliches Pensum ableisten, so dass man sich fragt, ob sie keinen Arbeitsplatz, keine Freunde und keine Familie haben.“

Ähnliches schrieb auch die Rundschau schon über ihren Kandidaten:
„Ist „Lukati“ doch nur ein Hobby-Autor, der der AfD einfach nur zugeneigt ist? Dagegen spricht jedenfalls, wieviel Zeit, Ressourcen und Energie „Lukati“ über Jahre aufwenden konnte, um die Inhalte der Wikipedia im Sinne der AfD zu verändern.“

Nun wollen Pohlmann und Fiedler herausgefunden haben, dass „feliks“ einst Schatzmeister bei den Linken war, dass er seinen Namen änderte, den jüdischen Glauben vor ein paar Jahren angenommen hätte und in München als Rechtspfleger arbeiten soll. Weiter heißt es da: „Er hat mehr als 150 Wikipedia-Artikel zu Israel, Palästina, den israelischen Streitkräften und Themen bearbeitet, die die israelische Politik betreffen. Er hat noch einen zweiten Schwerpunkt: Abgeordnete der Linken.“

Pohlmann und Fiedler nennen Ross und Reiter, Vor- und Zunamen. Pohlmann selbst machte bereits negative Erfahrung mit „feliks“, der ab einem bestimmten Moment auch den Artikel „Dirk Pohlmann“ in Wikipedia bearbeitete. Es muss dutzende, wenn nicht hunderte Wikipedia-relevante Personen geben, denen diese zweifelhafte Ehre zuteil wurde. Auch der Wikipedia-Eintrag des Autors hier ist seit Jahren deutlich „feliks“-kontaminiert, so wie auch der von Tichys Einblick und Roland Tichy, Birgit Kelle, Rainer Meyer, Matthias Matussek und vielen weiteren Journalisten und Autoren mehr.

Nach der „Enttarnung“ wurde es hektisch bei „feliks“. So versuchte er offensichtlich noch schnell seine übelsten Verdrehungen zu löschen, als er beispielsweise am 7. September um 15:35 Uhr einen extrem langen Abschnitt beim linken Politiker „Dieter Dehm“ löschte mit der Bemerkung: „(Kontroversen gehören nicht in die Wikipedia)“, was ihm schon fünf Minuten später eine deutliche Abmahnung einbrachte: „Änderung 180713099 von Feliks rückgängig gemacht; das ist Vandalismus – sorgfältig belegte Inhalte werden nicht gelöscht. Beim nächsten Mal VM und Sperre!)“ Solche Korrekturen ist „feliks“ nicht gewöhnt, in der Regel und in ruhigerem Fahrwasser, kann er sich fast immer durchsetzen.

Exemplarisch dafür ein kurzer Dialog mit einem weiteren Vielschreiber auf Wikipedia aus 2014, der „feliks“ ironisch dazu gratuliert, einen Schreiber aus Wikipedia entfernt zu haben: „Gratulation, … dass Du Deinen langjährigen Sparringpartner dank wohlgesonnenen Trainern (Admins) zur Strecke gebracht hast.“ „Danke für die Blumen“, schreibt „feliks“ sarkastisch zurück und weiter: „aber die böse Admin-Sodateska hatte daran keinen Anteil, denn ohne seine tatkräftige Mithilfe wäre das nicht möglich gewesen.“ Antwort von „Bwag“, so nennt sich sein Gegenüber: „Ja, ja … Ps.: Kein Wunder, dass die Leute in der Enzyklopädie-Redaktionsstube immer weniger werden, wenn einerseits das Rausbeißen von Mitarbeitern zur obersten Priorität erhoben und andererseits andere sich wegen so einem sozialen Umfeld angewidert zurückziehen bzw. beim Eintreten gleich wieder umdrehen.“ Antwort „feliks“: „Klar, aus deiner Sicht war AWB als verdienstvoller Mitarbeiter ein echter Verlust.“

So ungefähr der Sound von „feliks“, der im Juni 2018 der Linken Annette Groth ins Wikipedia schrieb, als er deren Artikel um einen Abschnitt ergänzte, wo es wohl um irgendwelche Hilfslieferung für Gaza ging: „ Na dann mal Mast- und Schotbruch!“. Und es gibt etliche solcher Einträge mehr, das „feliks“-Archiv ist da fast unerschöpflich. Allerdings empfiehlt es sich, schnell zu schauen, denn „feliks“ hat offenbar eine Methode gefunden, nun auch solche im Prinzip unlöschbare Passagen löschen zu lassen, wie er auf seiner Seite bei wikipedia gerade aktuell mitteilt.

Allerdings auch hier in spürbarer Hektik geschrieben, so das dem ansonsten so akribischen Wikipedia-Bürokraten etliche Fehler unterlaufen, wenn er Belege verlinkt, die inhaltlich nichts hergeben oder Belege aufführt, die nicht mehr einsehbar sind, weil ebenfalls dauerhaft gelöscht. Noch einmal interessanter wird es da, wo „feliks“ Pohlmann und Fiedlers Youtube-Beitrag rezensiert und wo man dann merkt, dass die argumentativen Qualitäten entweder doch arg begrenzt sind oder unter dem Druck der „Enttarnung“ einen empfindlichen Schlag abbekommen haben, wenn der sonst oft beißende Zynismus und Spott des „feliks“ in solchen Kommentaren noch deutlicher kippt.

Laut Pohlmann-Recherche war „feliks“ u.a. Parteimitglied bzw. wohl auch einmal Schatzmeister einer Landesgruppe der Partei die Linke. Pohlmann schreibt über seine Recherche zum Fall: „Die Enttarnung von Feliks war ein investigatives Puzzlespiel, das uns letztlich durch einen Hinweis gelang, in welcher Schule er Abitur gemacht hatte.“ Im Youtube-Video ist von einem anonymen Hinweisgeber die Rede.

Den allerdings hätte es nicht einmal gebraucht, wenn „feliks“ selbst diesen Hinweis bereits nachlesbar abgeliefert hat, als er am 16. Januar 2015 nicht widerstehen konnte und damit prahlte, mit dem ehemaligen MTV-Moderator Markus Kavka zusammen zur Schule gegangen zu sein, dessen Schulort und Laufbahn nun allerdings bekannt ist und zum gleichen Ergebnis geführt hätte.

Abschließend vielleicht noch ein vielsagendes Zitat des „feliks“ aus seinem unendlichen Beitragswald, das noch einmal verständlicher macht, welche Aufgabe er selbst für sich reklamiert in Wikipedia, aufgeschrieben um 23:10 Uhr am 09. September 2014:

„Aber nach fast zehn Jahren an den Hauptkampflinien der WP möchte ich meinen, dass keiner von ihnen unkaputtbar ist. Deshalb: Manierlich bleiben, regelkonforme Belegwünsche erfüllen (…), und dann zuschlagen, wenn sie die Maske fallen lassen. Wie im richtigen Leben kriegen wir sie alle, die einzige Kunst dabei ist es, die eigenen Verluste zu minimieren.“

Wikipedia als Kriegsschauplatz. Eine Enzyklopädie, gespickt mit roten Fähnchen, Frontlinien und Vertreibungsmechanismen. Nach Pohlmann und Fiedler offensichtlich mitgesteckt von einem Mitarbeiter am Landgericht München, der dort als Rechtspflegeamtmann mindestens seine Pausenzeiten am Computer verbringen muss. Denn bisher hieß es bei „feliks“ auf der sogenannten „Benutzerseite“, er würde am Wochenende nicht für Wikipedia schreiben.

Auf seiner Benutzer-Seite aktualisierte „Benutzer feliks“ erneut seine Sicht der Dinge.

Sein aktuelles Fazit zu der Arbeit von Pohlmann und Fiedler sieht nach Stand vom 11.09.2018 um 15:22 Uhr nun so aus:

„Eine Vielzahl der dort gemachten Angaben ist schlicht falsch oder zumindest seit bis zu 15 Jahren veraltet, so zum Beispiel die zu Beruf, Arbeitgeber, militärischem Dienstgrad und Funktionen. Aber es ist vermutlich völlig witzlos, das den Verschwörungsgläubigen mitzuteilen – für die ist das nur Indiz dafür, wie gerissen die sich doch immer wieder tarnen.“

Einen weiteren interessanten Effekt hat dieser bemerkenswerte Vorgang rund um die „Entarnung“ des „feliks“ übrigens auch noch: Die vielen Beileidsbekundungen auf seiner Benutzerseite lesen sich wie das Who’s Who seiner Zusammenarbeiten der letzten Jahre. Für Pohlmann und Fiedlers weitere „Ermittlungen“ sicherlich ein hilfreiches Zusammentreffen.


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