Der große Reporter Dagobert Lindlau ist gestorben. Ich bin mir aber sicher: Er stellt weiter Fragen. An ihm kann man ermessen, wie sich der deutsche Journalismus verändert hat.
Nein, Dagobert Lindlau war auf den ersten Blick kein angenehmer Mensch. Meist schaute er finster. Leichtfüßig war er nicht. Er hat immer Fragen gestellt. Mehr Fragen als jeder andere.
Wir damals Jungen, von der Deutschen Journalistenschule oder gerade beim Bayerischen Rundfunk, haben ihn gefürchtet. Er hat es niemandem leicht gemacht, sich nicht, uns nicht, Franz Josef Strauß schon gar nicht.
Er war genau, lästig, penetrant.
Fakten statt Haltung
Denn er wollte die Fakten sauber recherchieren, sich nicht aufs Hörensagen verlassen oder auf das, was ein Regierungssprecher so erzählt. Lindlau hat fast 40 Jahre für den Bayerischen Rundfunk (BR) gearbeitet, von 1969 bis 1992 war er Chefreporter, „Report München“ hat er geleitet, den „Weltspiegel“ ab 1975 moderiert. Ein parteipolitisch unabhängiger Journalist, ein Berufsoppositioneller, was im damals CSU-gesteuerten BR Haltung abverlangte.
Im Bayerischen Rundfunk war er ein Außenseiter. Beliebt war er nicht, oder gerade deswegen nicht. Die allseits Beliebten sollen nicht Reporter werden. Dabei war er privat fröhlich, den Menschen zugewandt, lustig – wenn er sich nicht gerade in seinen eigenen Grant verliebt hatte. Aber als Reporter hatte er den Mut zur Unbeliebtheit.
Drei Grimme-Preise
Mit kritischen Reportagen – etwa über Methoden der Schutzgelderpressung und des Rauschgifthandels – löste er häufig kontroverse Debatten aus, ebenso mit seinem 1987 publizierten Buch „Der Mob – Recherchen zum Organisierten Verbrechen“. Drei Mal hat Lindlau die höchste TV-Auszeichnung, den Grimme Preis gewonnen, für „Perry Mason lebt“, „Der faschistische Antifaschismus“.
Zuletzt beschäftigte er sich mit dem NSU-Prozess. Darüber hat er auch bei Tichys Einblick geschrieben.
Auch hier hat er sich nicht mit scheinbar Ersichtlichem zufrieden gegeben. Er hat tiefer gesehen. Vermutete das organisierte Verbrechen, obwohl es doch drei durchgeknallte Jung-Nazis waren, zwei von denen schon 2 tot. Da lässt sich ein Prozess machen.
„Wenn das bis Ende des Jahres so weitergeht, könnte das Verfahren mehr kosten als Geld. Den guten Ruf der Justiz,“ hat er damals geschrieben und weiter:
„Jahrzehntelang gab es bei uns gegenüber dem Organisierten Verbrechen eine rot/schwarze Koalition der Verdrängung. Aus ganz unterschiedlichen ideologischen Gründen. Die Linken waren gegen zu viel Macht für die Polizei und daher nicht ohne jede Sympathie für Leute, die mit der auch nichts am Hut hatten. Die Rechten wollten nicht zugeben, dass sie jahrelang eine gefährliche Entwicklung verschlafen hatten, obwohl die Innere Sicherheit eines ihrer Anliegen war.“
Lindlau hat die Rechten kritisiert und die Linken. Er war schonungslos.
Was er bei TE schrieb, passte nicht ins Bild des Verfahrens. Das hat ihn nie gestört. Reporter waren diejenigen, die Fragen stellten. Lindlau unterscheidet sich von der Riege der heutigen Mediendienstleister, die ihren Job in demonstrativer „Haltung” sehen und im Ausschmücken dessen, was die Regierung vorgekaut und vorgegeben hat. Zu seiner Zeit galt Lindlau als böser Linker, weil der Staat konservativ war. Gegen Ende seines Lebens setzte er sich auch noch mit der Regierung kritisch auseinander, obwohl oder weil sie längst rotgrün durchgefärbt ist.
Aber so sollen ja Reporter sein. Genau, lästig, penetrant, und immer zweifelnd.
Wenn Dagobert Lindlau seinem Schöpfer entgegentritt, wird er den Kopf schieflegen, listig über die Brille (nimmt man die mit durch die Himmelspforte?) linsen und fragen: „Und Du willst also der Herrgott sein? Dann beantworte mir mal folgende Frage.“.
Es wird nicht bei einer bleiben. Und dann ist er glücklich. Dann ist er im Reporterhimmel angekommen.
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Über ihn ärgerte ich mich gelegentlich, aber schätzte ihn immer. So geht Journalismus. Was allerdings den „NSU“ betrifft – da bin ich fester denn je davon überzeugt, daß es den so nie gegeben hatte. Das war ein Schlag türkischer Dienste gegen Finanzierer der PKK, und damit die in der BRD handeln konnten, wurden deutsche Ermittlungen ruhiggestellt, beispielsweise mit „Sachsensumpf“. Warum wohl diese etwas denkwürdige DNA-Spur vom Uwe an Peggy? Für mich ein Warnschuß, nicht weiter zu ermitteln – ein derartiger Fehler dürfte einem Labor jedenfalls nicht unterlaufen, das würde x-fach gegengeprüft, ehe das an die Presse geht. Und ausgerechnet den… Mehr
Dazu die Anwesenheit beobachtender ausländischer Dienste, auch US-amerikanischer Provenienz am Tatort in Heilbronn. Am gleichen Tag gab es in dieser Stadt eine bedeutende fianzielle Transaktion, Geldübergabe, vermutlich aus Drogengeschäften in dem von Ihnen vermuteten Zusammenhang.
Sehr viel wahrscheinlicher als die offizielle Variante.
An solchen Nachrufen kann ich erkennen, dass ich mit einem ganz anderen „Kaliber“ Journalisten groß geworden bin, als sich evtl. viele heute tummeln. Aber die Zeit war auch eine andere. Vor allem der Fakten sind viele geworden, so dass eben eine Strukturierung notwendig geworden ist. Das mit dem „organisierten Verbrechen“ schien mir nach einer Weile auch deutlich zu werden. Die Frage war welche „Verbrecherorganisation“ Rechtsextreme Verbände nach 40 Jahren DDR konnte ich mir in der Schlagkraft und Organisationreichweite nicht vorstellen. In der DDR gedieh vornehmlich der Machtapparat. Nun habe ich lange an Einwirkung von aussen gedacht. Die aber wiederum hatten… Mehr
„Der Mob“ – Es gibt keinen Mob. Es gibt auch kein organisiertes Verbrechen. Schon gar nicht in Frankfurt. Hysterie, Stimmungsmache, unverantwortlich solch eine Behauptung, Lüge! Heute würde man ihm die Verbreitung von Fake-News unterstellen – ihn der Hetze bezichtigen und mittels des Netzwerkdenunziationsgesetzes versuchen, zum Schweigen zu bringen. Er hat es überstanden. Weil seine Gegner keine Fakten bringen konnten, die seine Recherche hätten Lügen strafen können. So war das damals. Da glaubte man wirklich, man brauche Fakten, um Jemanden zu widerlegen. RIP D.L. und vielleicht können Sie den „Alten Da Oben“ ja mal wieder zu einem Zeichen bewegen 😉 Und… Mehr
Wieder ein guter Mann weniger. Ich hab ihn übrigens nie als links oder rechts angesiedelt gesehen. Er war einfach ein fundemantal guter Journalist. Davon gibt es jetzt noch weniger.
frueher:
Jounrnalist: Dagobert Lindlau
Kabarettist: Dieter Hildebrandt
heute:
‚Journalist‘: Marietta Slomka
Kabarettist: Dieter Nuhr
Und da sage einer frueher war nichts besser.
Volltreffer …
Bei deutschen Reportern mit Charisma aus der Zeit, als ich nicht von der Journlsitenschuke kam, sondern eine andere Bildungsanstalt verließ, denke ich sofort an Peter Scholl-Latour, Dieter Kronzucker und ganz besonders an Dagobert Lindlau.
Vom Herrgott heißt es, wenn man es genau nimmt wie Dagobert Lindlau: dann wirst du keine Fragen mehr stellen, er wird alle Tränen abwischen und der Tod wird nicht mehr sein. Er darf sich jetzt ausruhen!
Die alte Garde tritt einer nach dem anderen ab. Und mit ihr die Lebenserfahrung und das Rückgrat, dass der heutigen Generation oftmals fehlt.
Ein sehr bedauerlicher Verlust.
Es gibt Menschen die man gerne kennen gelernt hätte,denen man aber leider nie begegnet ist,Dagobert Lindlau gehört dazu.
Ich hoffe er trifft die Aufrechten der Branche dort wo er hingegangen ist!
Dagobert Lindlau befragt den lieben Gott. Würden mich schon interessieren, sowohl die Fragen wie die Antworten. Ich vermute allerdings, es würde bei einem vielsagenden Schweigen bleiben und Lindlau versteht… „hier nur Schweigen gemäß“ in Anbetracht der Komplexität des zu befragenen Gegenstandes.
Ja Herr Tichy, ein großer Verlust ähnlich dem Peter Scholl- Latour’s, ich bin sicher die beiden schütteln den Kopf über die Verhältnisse auf Erden auf ihrer Wolke 7.
Ich habe eine Kerze angezündet.