Regisseur Joe Wright überschreitet die Grenze zwischen Fiktion und anachronistischer Verfälschung der Wirklichkeit zu höheren moralischen Zwecken.
Was bei den Brexit-Verhandlungen letztlich herauskommt, wie die Briten ohne bzw. mit EU-Europa zurecht kommen werden (und umgekehrt), ob ihnen der Rückzug auf ihre eigene insulare Existenz teuer zu stehen kommt oder nicht, ob am Ende gar noch ein Exit vom Brexit stehen könnte – all das schwebt noch im Ungewissen.
Immerhin lässt sich spekulieren, warum gerade in dieser Zeit der Ungewissheit zwei Filme in die Kinos gekommen sind, die, erfüllt von patriotischem Pathos, geeignet sind, einerseits den Mut der Brexiteers zu stärken, andererseits auch verzagte Remainers. Beide mögen sich an den Filmen erbauen, die den EU-Europäern die Rolle Englands bei der Rettung des Kontinents vor Hitler vor Augen halten. Die Rede ist von den Kriegsdramen „Dunkirk“ und „Darkest Hour“.
In einer fulminanten Besprechung auf „Tichys Einblick“ hat Albert Sellner den Churchill-Film „Darkest Hour“ zu Recht ob seiner filmischen Qualitäten gerühmt und zum Pflichtbesuch aufgerufen. Kein Zweifel, der Film war sein Geld wert, aber er verdient eine Nachbetrachtung.
Wenn es um das „richtige“ Geschichtsbild geht, ist selbst der Historiker nicht immer der „richtige“ Interpret vergangenen Geschehens, insofern nicht wenige Vertreter der Zunft als Künder politisch erwünschter Wahrheiten fungieren. Nichtsdestoweniger gibt es andere, die entgegen den Weisungen des Zeitgeists und eingedenk des eigenen, ideologieanfälligen Erkenntnisinteresses sich um den nüchternen Blick auf die meist unerfreulichen res gestae bemühen.
Der amerikanische Historiker John Broich, spezialisiert auf Geschichte des British Empire und des II. Weltkriegs, hat den Film „Darkest Hour“ auf seinen Umgang mit den Fakten überprüft. Sein Katalog der Abweichungen des Drehbuchs von den historischen Fakten ist beachtlich. Es gibt beispielsweise keinen nachweisbaren Versuch seitens des zurückgetretenen Neville Chamberlain im Bündnis mit seinem Ex- Außenminister Lord Halifax, im House of Commons ein Misstrauensvotum gegen Chruchill herbeizuführen. Die Sekretärin Elizabeth Layton begann erst ein Jahr nach der „dunkelsten Stunde“ unter dem für seine Wutanfälle bekannten Churchill zu arbeiten. Sie hatte keinen Bruder, der bei Dünkirchen gefallen war. Erst 1943 gab es direkte Telefonkontakte zwischen Churchill und dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt.
Broich widerlegt vor allem die Schlüsselszene, in der Winston Churchill auf Anregung des Königs sich in die Londoner Untergrundbahn begibt, um die Haltung des Volkes zu erforschen. Und es ist im Film das Volk, die einfachen Leute, die, anfangs von dessen Auftritt noch befremdet, den Premierminister durch ihre Unbeugsamkeit beeindrucken und zu seiner Rede vor dem erweiterten Kabinett inspirieren. Winston stieg nicht hinab zum Volk in der Tube.
In seinem Artikel verzichtet Broich auf einen Kommentar zu diesem fiktiven Einschub. Er hätte insbesondere die Fragwürdigkeit jener Szene beleuchten können, in der Churchill, Abkömmling der englischen Hocharistokratie, mit dem einzigen schwarzen Passagier spricht und eine patriotische Antwort bekommt. Zum Schluss, bevor er an der Westminster-Station aussteigt, rezitiert Churchill zur Demonstration seiner Entschlossenheit den Horatio-Monolog aus „Hamlet“. Der wohlgekleidete schwarze Passagier fällt bildungsbewusst in die Schlusszeilen ein – eine Art Hochamt des demokratischen Patriotismus.
Der Regisseur Joe Wright überschreitet die Grenze zwischen Fiktion und anachronistischer Verfälschung der Wirklichkeit zu höheren moralischen Zwecken. Selbst ein noch so positives Urteil über Churchill angesichts seines Standhaltens gegen Hitler – im Film tituliert er den Tyrannen publikumswirksam auch als „house-painter“ – kommt an dem Faktum nicht vorbei, dass der britische Staatsmann von Rassenvorurteilen geprägt war. Er glaubte an die Überlegenheit des weißen Mannes und ersehnte – im Hinblick auf das Verblassen des British Empire – eine weltpolitische Allianz der angelsächsischen „Rasse“ in Washington und in London.
Mit dieser anachronistischen Szene trägt der Regisseur – ob aus Überzeugung oder aus Verbeugung vor dem Zeitgeist – dazu bei, ein Geschichtsbild zu etablieren, das weit von der historischen Wahrheit entfernt ist.
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Ich weiß, das ist jetzt bissig. Aber im Film muss ein Quotenschwarzer vorkommen, so wie neuerdings in Hollywoodfilmen oft es Schwarze sind, die Technik- und Mathegenies darstellen. Immer mehr bestimmt die Ideologie die Wirklichkeit.
Churchill glaubte an die Überlegenheit des weissen Mannes? Vor nicht einmal 100 Jahren? Da gibt es nur eines: der Mann muss aus dem Film geschnitten werden!
„Er glaubte an die Überlegenheit des weißen Mannes…“ Was angesichts der Tatsache, dass es vor der Kolonisation in den meisten Teilen Afrikas weder das Rad und schon gar keine Gebäude mit mehr als einem Stockwerk gab, wirklich völlig abstrus erscheint, nicht wahr? Ich empfehle hierzu eine Studie von Lynn/ Vahanen, die die kognitiven Fähigkeiten von etwa 100 Ländern mit standardisierten IQ-Tests verglichen. Auch interessant hierzu ist die Arbeit von Charles Murray. Die Chinesen sind unter anderem deshalb gegen Einwanderung aus der dritten Welt, weil die Menschen dort einen IQ haben, der deutlich über eine Standardabweichung der heimischen Bevölkerung liegt. Die… Mehr
Korrektur: es muss natürlich heißen:
„… weil die Menschen dort einen IQ haben, der deutlich über eine Standardabweichung UNTER der DER heimischen Bevölkerung liegt.“
Ich glaube vielmehr, daß Regisseur Wright hier in der erwähnten Schlüsselszene die Wahrheit dem vermaledeiten Zeitgeist opferte, eine plumpe Anbiederung, nichts sonst, die auch mich bei dem ansonsten dramaturgisch hervorragenden Film sehr störte.
Leider passiert das immer öfter, auch im Theater und selbst in der Oper werden von selbsternannten Regisseur-umerziehern essentielle Teile von klassischen Stücken verfälscht, so letztens in Düsseldorf im Graf von Luxembourg und in Florenz bei Carmen – die Dummheit kennt keine Grenzen.