Organisierte Selbsttäuschung bei Illner: Olaf Scholz als neuer Führer der freien Welt

Habeck erkennt an, dass die Abhängigkeit von russischen Energieimporten das zentrale Problem sei. Dennoch gelingt es ihm dann, die Ursache davon einfach zu übersehen. Und Lars Klingbeil blamiert sich bis auf die Knochen.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Eigentlich hätte am Donnerstagabend ja die Mädchensitzung des Kölner Karnevals im ZDF laufen sollen. Doch die massive Kritik am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, der Unterhaltungsformaten zuletzt immer wieder Vorrang vor aktueller Ukraine-Berichterstattung gab, zeigt wohl Wirkung. Jetzt bekamen die Zuschauer immerhin gleich Sondersendung von „Maybrit Illner“ zur Primetime.

Marina Weisband, eine in Kiew geborene Grünen-Politikerin, berichtet eindrücklich vom Leid ihrer Angehörigen in der Ukraine. Aber auch vom Kampfgeist, mit dem man sich Russland widersetzen wolle. Sie meint: „Wenn Putin mit einer schnellen Kapitulation der Ukraine rechnet, dann hat er die Rechnung ohne das ukrainische Volk gemacht.“ Ihre Hoffnung liegt vor allem auf dem russischen Volk, das gegen den Krieg protestieren würde – sie nennt dazu etwa die Bilder von großen Demonstrationen in St. Petersburg am Donnerstag.

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Auch Brigadegeneral a.D. Erich Vad kann einige interessante Einschätzungen bereitstellen. Seine Vermutung: Putin plane, den Donbas und Teile der Südukraine tatsächlich zu besetzen und einzugliedern, Kiew zu erobern und dort ein Marionetten-Regime einzurichten. Er meint: „Militärisch gesehen ist die Sache gelaufen.“ Der Krieg werde „nur um ein paar Tage gehen … und nicht mehr“. Sollte Putin allerdings in die Westukraine vordringen, könnte es zu einem „Guerillakrieg im Stile Afghanistans“ kommen.

Soweit so schön. Doch Illner hat an diesem Abend natürlich auch Regierungspolitiker eingeladen und die Sendung nimmt ihren üblichen Lauf. Robert Habeck analysiert zunächst einige Dinge überraschend vernünftig: Deutschland habe in der Vergangenheit einen klaren strategischen Fehler begangen – und zwar „sich energiepolitisch abhängig zu machen von einem Despoten“. Wenn man energiepolitisch mehr Freiraum hätte und Nord Stream 2, hätte man jetzt souveräner agieren können. Ja mein Gott – wie hätte man denn bloß energiepolitisch mehr Freiraum haben können? Da fällt einem ja spontan gar nichts ein. Robert Habeck auch nicht. Vermutlich muss man einfach mehr Atomkraftwerke abschalten und Windräder bauen. Habeck sagt dann zumindest ehrlich, dass Deutschland der Ukraine gar nicht helfe. „Wahrscheinlich wäre kein Drohpotenzial stark genug gewesen, Putin abzuschrecken“, so der Vizekanzler.

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Besonders dreist wird dieser Spagat auch beim neuen SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Er und seine Leute in der SPD waren es, die in den letzten Jahren federführend einen besonders milden Kurs gegenüber Russland durchsetzten. Ob das die bis zuletzt weiter angestrebte Nord-Stream-Pipeline ist oder die konsequente Missachtung des NATO-2-Prozentziels – diese Partei hat im Umgang mit Russland in den letzten Jahren wohl alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Auch diese deutsche Schwäche gab Putin Aufwind, sich immer weiter vor zu wagen.

Doch anstatt nun ein Hauch von Demut zu zeigen, spielt Klingbeil eine konsequent parteipolitische Karte. Er findet, es sei genau der richtige Moment gewesen, das Projekt zu stoppen. Also eine Pipeline fast ein Jahrzehnt gegen alle Widerstände aus dem In- und Ausland zu bauen und sie dann im Moment ihrer Fertigstellung abzublasen – das ist wirklich perfektes Timing.

Ich muss gestehen, ich habe Sie am Anfang des Textes getäuscht. Ich behauptete ja, dass ZDF habe die Übertragung des Karnevals abgesagt. Aber in Wahrheit wurde der Karneval nur zu Maybrit Illner ins Studio verlegt. Besonders deutlich wird das an diesem Klingbeil-Satz: „Olaf Scholz ist eine der zentralen Personen in Europa, die es gerade schafft, die Verbündeten zu sammeln, den Weg vorzugeben, den Weg zu einen und den Weg auch vorzutragen.“ Wider den tierischen Ernst! Alaaf! Das reicht schon fast an Saskia Eskens Lob der guten „Ampel-Krisendiplomatie“ heran, nach dem Treffen von Scholz und Putin – eine Woche vor dem russischen Einmarsch. 

Es ist organisierte Selbsttäuschung, die hier in der Runde stattfindet. Alle eigenen Fehler werden geleugnet, die Schwäche des Westens übergangen – politisch wird sich darauf geeinigt, dass Putin einfach völlig überraschend handelte und da ja niemand hätte etwas tun können. Die Stimmen aus der Praxis werden zwar formal anerkannt, in der Konsequenz aber völlig überhört. Und so wird man auch beim nächsten Mal wieder völlig überrascht sein – wenn es nicht mehr Kabul oder Kiew, sondern Taiwan oder Minsk ist.

Denn es wird ja keiner ahnen hätte gekonnt haben können.

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Kommentare ( 72 )

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Heimatland
2 Jahre her

Es hat wenig mit dem Thema zu tun, aber ich empfehle gestern im Hangar 7 bei Servus tv mit reitschuster und tichy, das war eine informative Diskussion

Amerikaner
2 Jahre her

All diese Leute… Alle, die man so gemeinhin in der Presse sieht, die sich nun äußern, sind alle gut in einer Sache: Sich in einem korrupten Parteienstaat mit abhängigen Medien irgendwie in Position zu werfen, ein paar ihrer Amigos und Wasserträger in nutzlose Versorgungsposten zu hieven, sich so Loyalitäten mit Steuergeld zu erkaufen etc. und ansonsten sind diese Leute bewiesenermaßen zu überhaupt gar nichts zu gebrauchen. Und wenn der kalte Wind der Realität bläst, und sich diese Rosstäuscher nicht in ihren Narrativen verstecken können, wird die ganze Lächerlichkeit und auch Dysfunktionalität der Bundesrepublik nach 16 Jahren Merkel komplett sichtbar. Ein… Mehr

Freiherr
2 Jahre her

Für mich wird es von Tag zu Tag schmerzlicher, dieser unserer Politikerkaste zuzuschauen, bzw. ihren von großen Teilen der Medien gesteuerten Narrativen und Ideologien nicht den Stempel einer freiwilligen Selbstverstümmelung zu attestieren. Europa und besonders Deutschland lässt sich vorführen von den 3 „ großen“ Mächten. Die USA schüren die Aggression gegen die Russen, auch mit Hilfe der NATO weil Russland gegenüber den Chinesen der leichtere Gegner ist da diese keine große wirtschaftliche Macht haben und dadurch auf lange Sicht ein Spieler aus dem Rennen genommen werden soll, zumal die strategische Partnerschaft Russland-China geschwächt werden soll. Es ist doch einfacher sich… Mehr

Old-Man
2 Jahre her

Zu meinem Glück brauchte Ich mich nicht über diese „hohlbirnigen“ Aussagen zu ärgern, Ich sah diese „Sendung“ nicht. Ihre Zusammenfassung erläutert aber zutreffend den geistigen Zustand von rot-grünen „Politikern“, wenn etwas passiert, dann sind immer die anderen daran Schuld!. Im letzten Jahr konnte man laut und deutlich Putins Aussagen zu diesen Dingen vernehmen, wenn man denn wollte, oder anders gesagt: in der Lage war, diesen Sozipsychopaten zu erkennen. Das aber nun wieder die „absolut“ härtesten Sanktionen angekündigt, aber dann um die wichtigste Sanktion auch auf Betreiben von Olaf Scholz verzichtet wurde, lässt tief blicken, der „Westen“ ist nicht wirklich bereit… Mehr

November Man
2 Jahre her

Um die ewige Abhängigkeit von russischem und amerikanischem Gas endlich zu beenden, brauchen wir Atomkraftwerke. Viele große, saubere und leistungsstarke Thoriumreaktoren, Kernkraftwerke gekoppelt mit Dual-Fluid-Reaktoren und BN-1200-Reaktoren.
Wer nicht anfängt zu bauen wird nie fertig.
Alle begreifen das so langsam, nur die Grünen nicht, die halten uns in der Abhängigkeit, die Grünen sind hinderlich, die sind unser Klotz am Bein.

Gaijin
2 Jahre her

Seit Jahren wird dieses Land von Politikern regiert, deren einzige Befähigung Dilettantismus zu sein scheint! Von nichts eine Ahnung, davon aber sehr viel. Hauptsache grün und weiblich!

Evero
2 Jahre her

Ich glaube, dass die Einschätzung des Westens gegenüber Putin falsch ist.
Putin möchte womöglich am Ende seiner Regierungszeit seinem Volk ein sicheres und wirtschaftlich gut dastehendes Land überlassen. Ich glaube nicht, dass er tatsächlich in einer Art psychopathogener Selbstüberschätzung versucht das alte Sowjetreich mit den Vasallenrepubliken wieder erstehen zu lassen.
Meine Einschätzung geht dahin, dass Putin den kampflosen Vormarsch der Amerikaner gen Moskau stoppen will.
Es bleibt abzuwarten, ob die Amerikaner nach dem Ende der Kampfhandlungen verhandlungsbereit sind, was die Anerkennung einer Pufferzone zum NATO-Gebiet anbelangt.

Marcel Seiler
2 Jahre her
Antworten an  Evero

„Putin möchte womöglich am Ende seiner Regierungszeit seinem Volk ein sicheres und wirtschaftlich gut dastehendes Land überlassen.“

Das ist sicher nicht seine Priorität. Wenn er ein wirtschaftlich gut dastehendes Land hätte haben wollen, hätte er die Zusammenarbeit mit dem Westen gesucht und Russland nach westlichen, marktwirtschaftlichen Prinzipien reformiert. Er hätte sein Land in das Wirtschaftssystem der westlichen Demokratien integriert, denn die schaffen Fortschritt und Reichtum. Aber die „Größe Russlands“ ist ihm entschieden wichtiger. Und reich werden seine Kumpels, das Volk bleibt arm.

Marcel Seiler
2 Jahre her
Antworten an  Marcel Seiler

Die Energiewende ist eine klare Abkehr vom erfolgreichen Wirtschaftsmodell der westlichen Demokratien. Es ist vom gleichen Holz wie Putins Autoritarismus, nur grün angemalt. Wie jemand darauf kommen konnte, dass ich das gemeint hätte, ist mir unverständlich.

Karina Gleiss
2 Jahre her

Spätrömische Dekadenz – im Endstadium.

Peter Gramm
2 Jahre her

Warum wird nie über die völlig unkontrollierte Ausdehnung der westlichen Wertegemeinschaft bis an die Grenzen Rußlands diskutiert. Diese gestörte Wahrnehmung der Sicherheitsinteressen Rußlands müßte man auch mal erörtern. Das Pendel schlägt halt nicht immer nur in eine Richtung. Die Amerikaner haben doch genau das was sie immer schon wollten – die Verhinderung von NS 2 und damit den Absatzmarkt für ihr umweltschädliches fracking gas mit Unterstützung der Friedens -und Umweltschutzpartei. Besser kann es für die Amis doch gar nicht laufen. Ganz nebenbei wird jetzt kräftig aufgerüstet. In den Kassen der Rüstungsgeschäftemacher klingelt es wieder kräftig. Was tut man doch nicht… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Peter Gramm
Julian Schneider
2 Jahre her

Marina Weisband ist eine der linksgrünen Politikerinnen, die sich immer wieder mit grenzenloser Naivität hervorgetan hat. Und jetzt: Uuiii, der Putin kommt. Weisband ist doch schon immer für offene Grenzen gewesen. Nun doch nicht?