Das große Vorstellen von Politikern, die aus dem letzten Loch pfeifen, oder Experten, von denen man noch nie gehört hat, kann man sich diesmal sparen. Denn die gestrige Folge mit dem kreativen Titel „Krieg in der Ukraine“ war Chefsache. Nur ein einziger Gast wurde von Illner empfangen und zwar niemand geringeres als der deutsche Bundeskanzler – für diejenigen, die ihn zwischenzeitlich vergessen hatten: Sein Name ist Olaf Scholz.
Überraschend klar hat er zuletzt auf die Ukraine-Krise reagiert – mehrmals gebrauchte er selbst den Begriff „Zeitenwende“, verkündete nicht nur Waffenlieferungen an Kiew, sondern auch ein massives Aufrüstungsprogramm und eine damit einhergehende wieder stärkere Westorientierung Deutschlands. Seine Worte zu den entsetzlichen Verbrechen Putins in der Ukraine sind jedenfalls klar.
Illner nagelt den Kanzler dann vor allem mit dem Blick zurück fest. Scholz begibt sich auf verlorenen Posten: Er wusste von nichts und kann sich auch ansonsten an nichts erinnern. Eine Methode, die ihm schon in der Warburg-Affäre gelang. Illner konfrontiert ihn mit früheren Aussagen, die er gemacht hat, etwa dieser eine Woche vor dem russischen Einmarsch: Es werde keine Waffenlieferungen in die Ukraine geben – „das war richtig und bleibt richtig […] Die Mehrheit der Deutschen sieht das so“.
Auch seine Aussage, Nord Stream 2 sei ein rein „privatwirtschaftliches Projekt“, wird gewürdigt und das gekonnte Ignorieren der zahlreichen Gesuche von NATO-Partnern, Deutschland solle mehr zur Sicherheit Europas beitragen. Scholz findet auch alle diese nun korrigierten Positionen rückwirkend weiterhin richtig – ein missglückter Spagat. Geändert habe sich nämlich: die – schon durch den Impfpflicht-Turnaround so berüchtigte – „Sachlage“. Angesichts des russischen Angriffskrieges hat er damit ja auch durchaus einen Punkt – ignoriert aber, dass solche Maßnahmen vor dem russischen Einmarsch deutlich wirksamer gewesen wären als hinterher.
Scholz will alles haben, aber nichts dafür aufgeben
Doch Scholz rechtfertigt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Vorgängerin. Die habe all diese Probleme mit Putin gesehen, Kritik lässt er nicht auf sie kommen. Der Versuch, sich bei einer 180-Grad-Wende der Sicherheits- und Außenpolitik allerdings als Kontinuum darzustellen, macht sich aber dann doch auch in der Form seiner Ausführungen bemerkbar. Scholz’ Gesichtsausdruck wird noch schwerer, seine Sprache noch langsamer, seine Stimme noch dünner, seine Augen noch träger, und die Tatsache, dass er nichts von dem ernsthaft denken kann, was er da gerade behauptet, zeigt sich anhand von Versprechern, die er nicht geistesgegenwärtig, sondern stolpernd oder gar nicht korrigiert. Da sagt er etwa, er wolle den Krieg in der Ukraine „verhindern“, wenig später sagt er das Gleiche nochmal, immerhin hier korrigiert er sich dann – der Krieg laufe ja schon. Große Teile Europas würden von russischem Gas und russischer Kohle „a.. a…“ – Illner schlägt vor: „abhängig sein“ – aber Scholz vollendet den Satz schließlich bedingt geschickt mit: „aufbauen“.
Scholz will alles haben, aber nichts dafür aufgeben. Er will Kohle- und Atomausstieg ohne die russische Energieabhängigkeit, will Bundeswehr-Aufrüstung, ohne zu sparen. Und er will eine Wende vollziehen, ohne seine alten Positionen zu revidieren, dabei kommt er nun nahezu allen Forderungen seines politischen Gegners (und im Übrigen auch denen der Trump-Administration) in der Frage nach, ohne das mit einer Silbe zu erwähnen.
Doch allzu pessimistisch muss man nicht sein. Dieser Krieg ist ein brutaler Realitätsschock für die Ampel, und die Rückkehr des äußeren Gegners führt schon zu einer gewissen Konsolidierung der Rest-Vernunft. Und es entspricht doch guter deutscher Tradition, dass es ein sozialdemokratischer Kanzler sein muss, der die in der eigenen Partei verhassten, umstrittenen, aber notwendigen Schritte ergreift. Oder um es mit einer mal nicht ganz schlechten Spiegel-Überschrift zu sagen: What a time to be Olaf.