Es ist wirklich Zeit, dass die Will-, Illner-, Maischberger-, Plasberg- und sonstigen Talkrunden in die mehr bzw. eher weniger verdiente Sommerpause starten. Die brisanten Themen liegen zwar auf der Straße, aber irgendwie haben sich diese Quasselrunden mit ihren zweibeinigen Wanderpokalen erschöpft. Bei Illner war es soeben nicht anders, als sie sich für sechs Wochen bis Ende August in den Urlaub verabschiedete. Eigentlich bestens platziert zwischen NATO-Gipfel in Brüssel und Trump-Putin-Gipfeltreffen in Helsinki surfte die von Illner dazu einbestellte Fünferrunde schön an der Oberfläche dahin. Da halfen auch der Moderatorin gespielte Provokationen wenig, etwa die Behauptung, Trump gebe mit seiner 2-Prozent-Politik den „Schuldeneintreiber“ sowie den „Schutzgelderpresser“, außerdem betreibe der US-Präsident eine Politik der „Abrissbirne“.
Oskar Lafontaine gab in dieser ZDF-Runde – wie immer – den Welterklärer, Putinversteher und Moralisten. Statt zwei Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt will der Ex-SPD-Vorsitzende nur 0,7 BIP-Prozente für militärische Zwecke haben, für die Entwicklungshilfe möchte er 2,0 Prozent. Überhaupt hält er die US-Politik für „krank, irre und terroristisch“; sie führe nur Rohstoffkriege, sei verantwortlich für das Entstehen des Islamischen Staates, und die NATO habe mit der Ostverschiebung um eintausend Kilometer russische Sicherheitsbedürfnisse tangiert. Zudem sei Deutschland immer noch nicht souverän. Willy Brandts Friedenspolitik habe im übrigen mehr erreicht als amerikanische Hochrüstung. Über die Lafontaine‘sche Gedächtnislücke, dass Gorbatschow „Glasnost“ und „Perestroika“ inszenieren musste, weil Ronald Reagan die Sowjetunion mit Rüstung in die Knie gezwungen hatte, schweigen wir einmal großzügig. Ebenso darüber, dass es kein Land der Welt gibt, das derzeit so massiv hochrüstet wie Putins Russland. Das hinderte Lafontaine nicht daran zu behaupten, dass die derzeit größte Gefahr von den USA ausgehe.
Zwei weitere Teilnehmer der Runde trugen zur Debatte kaum Wesentliches bei: weder die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff noch der ehemalige US-Generalleutnant Frederick Ben Hodges, der von 2014 bis 2017 Kommandeur des US-Heeres in Europa war. Deitelhoff urteilte, Trump habe in Brüssel eine krachende Niederlage erlitten, weil er die 2 Prozent nicht habe durchsetzen können. Der General, hier nicht ganz diplomatisch, meinte, man müsse Druck auf Russland ausüben.
Am eindeutigsten gab sich in der Runde Wolfgang Ischinger, von 2001 bis 2006 Botschafter in Washington und von 2006 bis 2008 in London. Seit 2008 leitet er die Münchener Sicherheitskonferenz. Er kam 17 Minuten zu spät in die Runde, weshalb er wohl nicht alles unterbringen konnte, was unterzubringen gewesen wäre. Jedenfalls unterstrich er die Notwendigkeit, am 2-Prozent-Ziel festzuhalten. Denn, so Ischinger, zu internationalen Einsätzen auch unter Beteiligung der Bundeswehr: „Wenn wir die Probleme nicht vor Ort lösen, kommen sie zu uns.“ Darüber hinaus brauche Deutschland zumindest bis zu einer nuklearen Abrüstung den nuklearen Schutz der USA; Europa sei eben nicht ohne militärische Dimension zu haben.
Um 23.13 Uhr, zwei Minuten vor Ende der Sendung, gab es dann urplötzlich einen Lagebericht zum Zustande der Bundeswehr. Wir haben bei TE oft darüber berichtet. Siehe zum Beispiel https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/minister-fuer-abruestung-von-der-leyen/ oder https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/bundeswehr-und-europaeische-nato-partner-demnaechst-ziemlich-fluegellahm/ oder https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/gute-nacht-bundeswehr/
Ursula von der Leyen wird dankbar gewesen sein, dass all dies nicht mehr zur Sprache kommen konnte. Immerhin hat sich an der äußerst eingeschränkten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nichts geändert, im Gegenteil: Es ist alles immer noch schlimmer geworden. Die Verteidigungsministerin kommt denn an dieser Stelle nur noch ganz kurz zu Wort, um die Europäische Verteidigungs-Union (EVU) zu beschwören. Ja, das wäre das eigentliche Thema der Sendung gewesen, um das meilenweit herumgeredet wurde! Kein Wort zum NATO-Mitglied Türkei! Kein Wort zum EU-Wunschprojekt „Pesco“ (Permanent Structured Cooperation), an der 25 der 28 EU-Staaten teilnehmen wollen! Kein Wort zu den Folgen des Brexits für die Verteidigungspolitik der EU-Staaten nach dem Ausscheren der schlagkräftigsten Armee Europas!
Fazit: Die mehr oder weniger einmütige Empörung der Runde über Trumps elefantöses Auftreten beim NATO-Gipfel war das eine. Dass die Europäer aber wieder mal nur reden, reden, reden, jedoch nicht liefern, ist das andere. Ministerin von der Leyens Mantras sind hierfür symptomatisch: „Wir müssen …. Wir müssen … Wir müssen.“ Und: „Wir arbeiten an der Trendwende.“ Sagt eine, die seit 55 Monaten Verteidigungsministerin ist.