Bei Illner: Alle wollen abschieben – keiner will entscheiden

Tatsache ist: Alle drei Politiker bei Illner – ob Stephan Weil (SPD), Cem Özdemir (Grüne) oder Carsten Linnemann (CDU) – wollen Abschiebungen. Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben: Jeder von ihnen weiß, dass 2015 ein Fehler war. Tatsache ist auch: Jeder will sie, aber keiner will darüber entscheiden.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Bis zu 1000 Menschen kommen pro Tag illegal in Deutschland an. Das gibt das ZDF selbst zu. 1000 pro Tag – das dürfte sich läppern. Wenn man bedenkt, dass die Bürgermeister schon vor Monaten in den Talkshows Sturm gelaufen sind, weil sie über der absoluten Belastungsgrenze angelangt sind, dann will man sich gar nicht vorstellen, wie die Situation heute aussieht. Große Erwartungen wurden dementsprechend an den Bund-Länder-Gipfel gestellt, der nach theatralischen 17 Stunden Sitzung zu einem Ergebnis gekommen ist, das Emilia Fester in einem Instagram-Video fast zum Weinen brachte. Hat Deutschland also doch mal gute Entscheidungen getroffen?

Das will Maybrit Illner auch wissen (wenn auch ohne Heulsusen-Bezug): „Historisch oder halbherzig – was bringt der Ampel-Asyl-Plan?“ war die Frage der Stunde. Die Studio-Besetzung sorgt derweil für ein altes Dilemma. Wir haben mit Cem Özdemir von den Grünen, Stephan Weil von der SPD und Carsten Linnemann von der CDU drei Brillenträger im Rennen, deren Gläser allesamt beschlagen, wenn sie bei der Frage nach dem Verantwortlichen in den Spiegel schauen sollen.

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Carsten Linnemann fühlt sich nicht gezwungen, daran zu erinnern, dass Merkel überhaupt den Startschuss für diese Krise gegeben hat, so wie Boris Becker sich nicht gezwungen sah, seinem Insolvenzverwalter von den Millionen zu erzählen. Stephan Weil profitiert davon, dass alle vergessen haben, dass die SPD 2015 ebenfalls in der Regierungsverantwortung war, so wie alle vergessen haben dass Robbie Williams mal in einer Boyband war. Währenddessen will Cem Özdemir nur ungern zugeben, dass eine Regierung mit grüner Beteiligung härter gegen Flüchtlinge durchgreifen muss, so wie Bill Clinton nicht zugeben wollte, jemals etwas von einer Frau Lewinsky gehört zu haben.

Während die Vertreter der Politik mit mehr Affären zu kämpfen haben als Paris Hilton, wird die Runde durch zwei Frauen außerhalb des Politikbereichts komplett. Die Migrationsforscherin Victoria Rietig mag ein neuer Name sein, doch in ihrer Szene hat sie sich bereits einen Namen gemacht. In ihrer Vita liest man von ihrer Tätigkeit bei der UN, ihrem Master-Studium an der Havard-Universität und ihrer Beratungsarbeit für sämtliche Außenministerien dieser Welt. Die zweite Dame ist Eva Quadbeck, die Chefredakteurin vom „RedaktionsNetzwerk Deutschland“(RND). Angesichts der Tatsache, dass diese Frau schon zahlreiche Male bei Illner eingeladen war und noch nie etwas Originelles gesagt hat, handelt es sich bei ihr wohl um den Notfall-Puffer – zur Not geht eine Vertreterin aus der freien Presse eben immer, auch wenn von ihrer Zeitung noch nie jemand was gehört hat.

Zu Beginn der Sendung hätte ich Victoria Rietig beinahe vorschnell als uninteressant abgestempelt. Doch sie hat tatsächlich ein paar interessante Dinge angesprochen. So zum Beispiel das Phänomen, dass man von Abschiebungen in Deutschland im Grunde nur zwei Arten kennt: der top integrierte Migrant, der abgeschoben wird, und der kaltblütige Straftäter, der hier bleiben darf. „Weil gut Integrierte leichter abschiebbar sind als weniger gut Integrierte.“ Rietig führt das auf ein unfaires Abschiebesystem zurück, das von uneinheitlichen Beschlüssen und Umsetzungen geprägt ist.

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„Und deshalb haben wir einige Bundesländer, die sehr gut darin sind, die Zahlen nach oben zu treiben. Aber da haben wir eben auch die Fälle von gut integrierten Bäckerlehrlingen, die dann abgeschoben werden. Hingegen haben wir andere Bundesländer, wo Abschiebungen weniger politisch gewollt sind, und da haben wir eine absurde Situation von straftätigen Ausreisepflichtigen, die sich trotzdem nicht mit der Abschiebung ernsthaft befassen müssen. Also das wird dann einfach nicht durchgesetzt.“ Zwei Extremsituationen, die beide nicht in unserem Interesse sind. Es nützt uns gar nichts, arbeitswillige, ehrliche und fleißige Menschen des Landes zu verweisen, während wir Vergewaltiger und Totschläger im Land behalten, am besten noch frei herumlaufen lassen.

Dass diese Fälle endlich Mal im Fernsehen angesprochen werden, ist wichtig. Denn es lässt das Märchen des Fachpersonals so wunderbar auffliegen. Nein, was hat mein Politiklehrer damals von den ganzen zukünftigen Altenpflegern geschwärmt, die wir dank der Flüchtlingskrise haben werden. Das Pflegeproblem wäre gelöst, der demographische Wandel könnte uns nichts mehr anhaben. Und nun? Werden die wenigen Fachkräfte, die wir abbekommen haben, des Landes verwiesen, weil sie zu deutsch geworden sind. Hätten sie statt einer Ausbildung zu machen eine Frau vergewaltigt, dürften sie hier bleiben.

Was ich an diesen Sendungen spannend finde, ist die Parallele zu 2015, die man unweigerlich zieht – und welchen Wandel unsere Gesellschaft seitdem durchgemacht hat. Denn die Tatsache ist: Alle, ob Weil, Özdemir oder Linnemann, wollen Abschiebungen. Und alle sind von 2015 traumatisiert. Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben: Jeder von ihnen weiß, dass das ein Fehler war. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mache mir keine großen Hoffnungen. Jeder will Abschiebungen, aber keiner will darüber entscheiden. Bei meiner letzten Zypernreise – wohlgemerkt ein EU-Land – musste ich ingesamt sechs Mal meinen Ausweis an der Grenze vorzeigen. Währenddessen hat Deutschland tausende Menschen aufgenommen, die in keinster Weise überprüft wurden. Und das während eines durch Terroristen ausgelösten Krieges im Nahen Osten, als Geheimdienste bereits gewarnt haben, dass unter den Flüchtlingen auch getarnte Hamas-Terroristen sein könnten.

Nein, wirklich gelernt hat hierzulande keiner. Aber die Stimmung ist anders. Es ist viel mehr sagbar geworden, als es noch vor acht Jahren war. Umso enttäuschender (vorausgesetzt, dass man Erwartungen hatte) war der Auftritt von Carsten Linnemann. Als er das letzte Mal bei Illner war, habe ich ihn gelobt. Nicht wegen seiner Politik oder seinen Positionen, was viele falsch verstanden haben. Ich halte es nur für Teil meines Jobs aufzuschreiben, wer sich in diesen Sendungen objektiv gut schlägt. Schlechte Politik und schlechte Rhetorik gehen nicht unbedingt Hand in Hand, das beste Beispiel dafür ist Obama. Bei seinem letzten Mal überzeugte Linnemann durch Energie und Aggressivität, wodurch es ihm gelang, seine politischen Gegner an die Wand zu reden. Dieses Mal versuchte er das erneut – doch war Özdemir ihm weit überlegen, der sich einfach nicht aus der Ruhe bringen ließ.

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Linnemann erinnerte in dieser Sendung mehr an Rumpelstilzchen als an einen Staatsmann. Es schien, als wäre sein aufgebrachter Ton aufgesetzt, weil das das ist, was die Leute von ihm hören wollen – dass mal jemand auf den Tisch haut. Die linken Parteien bieten gerade weiß Gott mehr als genug Angriffsfläche. Schließlich scheitert gerade alles, wofür sie stehen: von der Willkommenskultur bis hin zu Fridays for Future. Das Problem ist nur: Wenn man dann jedes Mal die gleichen Phrasen wiederholt, bis dann auch Illner sagt: „Das haben Sie jetzt schon dreimal gesagt“ – dann kommt das nicht mehr so gut mit dem auf den Tisch hauen. „Wir müssen uns ehrlich machen“, „Wir müssen endlich mal machen“, oder „Wir brauchen einen Wechsel“ – das ist alles nichts, was das konservative Herz höher schlagen lässt. Wer so etwas bewegend findet, schaut auch Wandfarbe beim Trocknen zu – was die übriggebliebene CDU-Stammwählerschaft ganz gut beschreibt.

Fast könnte man Mitleid bekommen, so tragisch ist es mitanzusehen, wie jemand jede Chance von sich schlägt. Nach den antisemitischen Ausschreitungen auf muslimischen Demonstrationen ist aktuell so ziemlich alles erlaubt – mit Habeck angefangen haben sämtliche linke Politiker mit Abschiebungen gedroht. Sätze, für die Merz vor ein paar Wochen noch als Nazi beschimpft wurde, werden heute von Grünen übertrumpft. Doch in seiner Stunde benimmt Linnemann sich wie ein kläffender Chihuahua inmitten von Schäferhunden. Aber vielleicht ist es besser so – wer will schon Merz als Kanzler?

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Kommentare ( 73 )

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73 Comments
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November Man
1 Jahr her

Bezüglich Özdemir und seinen Grünen bringt Sahra Wagenknecht die Sache auf den Punkt und kritisiert die Grünen scharf. „So, wie die Grünen heute Politik machen, ist eine Koalition ausgeschlossen“, sagt die Politikerin in dem Video, von dem sie auch einen Auszug auf X (ehemals Twitter) teilte. Es sei die „inkompetenteste, heuchlerischste, verlogendste und, bezogen an dem realen Schaden, den sie anrichten, aktuell die gefährlichste Partei, die wir im Bundestag haben“. Die Politikerin kritisiert unter anderem die „unendliche Arroganz, auch gegenüber den sozialen Problemen der Menschen“. Menschen auf dem Dorf könnten beispielsweise nicht aufs Auto verzichten, nicht jeder könne in seinem Haus eine Wärmepumpe… Mehr

Rene 1962
1 Jahr her

Ich habe das gestern gesehen. Natürlich weiß ich nicht was sie gesehen haben Frau David. Die anwesenden Frauen haben eigentlich nur darüber gesprochen was aus irgend welchen Gründen nicht geht. Herr Weil und der von den Grünen erzählten weiter die alte Geschichte vom Registrieren und dann verteilen in Europa. Weil sagte dabei hilft vielleicht der Machtwechsel in Polen. Linnemann hat so gut wie nichts gesagt.

Dr. Rehmstack
1 Jahr her

Man kann Herrn Spahn ja vieles vorhalten, aber gestern bei Lanz hat er die hier von vielen Kommentatoren geforderten Maßnahmen direkt angesprochen. Auch als Lanz und die Dame von der Zeit immer wieder versuchten, ihn mit dem nogo “ körperliche Gewaltanwendung“ an der Grenze der Unmenschlichkeit zu zeihen, hat er klar bekannt, dass dieses staatliche Gewaltmonopol dauernd bereits angewendet wird und angewendet werden muß; und er brachte überzeugende Beispiele dafür, was die Dame von der Zeit immer wieder durch emotionale Kommentare zu diskreditieren versuchte. Herr Lanz war mit seiner üblichen Masche, seine Gäste zu zwingen innerhalb seines Meinungskorridors zu bleiben,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Dr. Rehmstack
EinBuerger
1 Jahr her

Nichts wird passieren. Bei Umfragen sinkt die AfD wieder und die CDU nimmt zu. Die Menschen (im Westen) wollen etwas weniger grün. Deshalb wählen sie CDU.
Entscheidend ist wie die Realität sich weiter entwickelt. Und ob die Medien es schaffen, die Realität passend zu framen. Wann ist die Realität schlimm genug, dass der Wessi AfD wählt? Niemals?

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  EinBuerger

Die den Plan machten und ihn durchziehen lassen erkennen, dass sie das Experiment mit dem Frosch, der im Wasser nur langsam erhitzt und zum Kochen gebracht wird, 1:1 auf unsere Situation umzusetzen wissen. Und immer dann, wenn es ein wenig zu schnell zu heiß wird, fangen sie an zu schwurbeln – wie oben. Was aber mitnichten heißt, dass der Feldversuch abgebrochen werden würde. Danisch über Diversität als Gesellschaftsvernichtungswaffe: „Das Experiment war also nicht, ob eine diverse Gesellschaft funktionieren kann, sondern umgekehrt, ob man mit Diversität eine weiße Gesellschaft ausrotten kann. Deshalb gab es da auch kein Abbruchkriterium. Irgendwelche Leute haben… Mehr

Klaus D
1 Jahr her

Alle wollen abschieben – keiner will entscheiden…..DAS höre ich jetzt seit über 40 jahren denn DAS thema hat da seinen anfang. Hier mal 3 schlagzeilene des Spiegels aus der zeit: »Raus mit dem Volk« Bomben und Hetzparolen — in der Bundesrepublik wächst der Haß gegen die Ausländer Tödliche Gewalt und gefährliche Stimmungsmache begleiten eine neue Welle von Ausländerfeindlichkeit. Über vier Millionen Fremde in der Bundesrepublik und der Ansturm der Asylbewerber drohen das politische Klima umzukippen. (1980)Ausländer: »Schmerzhafte Grenze gezogen« Die Bundesregierung will den Zuzug von Ausländern eindämmen, CDU-Politiker möchten abschieben, unter den Bürgern kommt Fremdenfeindlichkeit auf. Das Kernproblem bleibt ungelöst:… Mehr

Boris G
1 Jahr her

AfD in Thüringen 34% – das ist es, was den links-grün gestimmten politisch-medialen Komplex ins Stottern bringt. Dass Abschiebungen nach monate- oder jahrelangen Asylverfahren niemanden am illegalen Grenzübertritt hindern, sollte jedem mit einem IQ>100 klar sein. Also wird die Stampede der jungen Männer aus dem Armutsprekariat der 2. und 3. Welt weitergehen und der AfD weitere Wähler zutreiben. Jenachdem wie sich Sahra positioniert (an der Grenze notfalls schießen?), könnten auch sie wertvolle Stimmenprozente unter denen einsammeln, die unter Migrantophobie leiden.

Roland Mueller
1 Jahr her

Was ist mit dem von Terroristen geführten Krieg in Syrien? Werden die Terroristen aus Syrien alle brav demokratisch und rechtsstaatlich, wenn sie ins gelobte Land kommen oder wie oder was? Ach ich habe etwas vergessen, vor diesen Terroristen haben nur „Rääächte von der AfD“ gewarnt, welche von morgens bis abends Fake News verbreiten.

stb0815
1 Jahr her
Antworten an  Roland Mueller

Nein Antisemitismus kommt nach Reiner Haseloff in den gestrigen Tagesthemen in der Hauptsache von rechts (auch wenn es das kaum verbal herausbekam) – ansehenswert!

Leopold Schmidt
1 Jahr her

Nein, Frau David. Nichts hat sich geändert.
Ihre feingestrickte Analyse geht an den Problemen und den notwendigen Lösungswegen weit vorbei.
Schon vor vielen Jahren fand ich es unangenehm und unangemessen, daß im Zentrum meiner Heimatstadt Gruppen junger Männer die Innenstadt für sich eroberten, sich ausgiebig zwischen den Beinen kratzten und vorbeigehende Passanten anpöbelten.
Ich warte auf die politische Partei, die ein umfassendes gesetzliches Reformpaket und klare operative Maßnahmen vorlegt, wie im ersten Jahr eine Million unerwünschte Ausländer in einem rechtsstaatlichen Verfahren deportiert werden.

Boris G
1 Jahr her
Antworten an  Leopold Schmidt

Diese Partei bräuchte eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament, müsste die Verfassung ändern und aus der EU austreten. Könnte die AfD das hinkriegen?

Alf
1 Jahr her

Wenn keiner entscheidet, dann wird das Volk entscheiden.
Dafür brauchen wir keine Politdarsteller.
Hessen ist nur der Anfang.
Auch die FDP-Mitglieder werden Votum über Ampel-Aus erzwingen – Es fehlen nur noch wenige Unterschriften.
„Diese Regierung tut dem Land nicht gut. Wir müssen sie beenden, um Schaden vom Land abzuwenden“

Es ist genug mit dem Kasperletheater.

Carrera73
1 Jahr her

„Sie wissen, sie lügen. Wir wissen, sie lügen. Sie wissen, daß wir wissen, sie lügen. Wir wissen sie wissen, daß wir wissen, sie lügen. Trotzdem lügen sie weiter.“
(Alexander Solschenizyn)