Eine Talkrunde, die keinem weh tat. Aber eine gute Runde, weil sie so angenehm frei war von den üblichen bundespolitischen Graben- und Wahlkämpfen? Weil Positionen geklärt wurden? Weil man sich weitestgehend ausreden ließ? Erkenntnisse nur in so weit, dass alles wohl noch schlimmer ist, als man bisher annehmen musste.
„Bomben und Elend in Syrien, lässt sich der Krieg stoppen?“, fragt Anne Will in ihrer Primetime-Sonntagsabend-Talkshow. Säße für Wladimir Putin Peter Altmaier in der Sendung, er hätte die Frage wahrscheinlich so beantwortet: „Wir arbeiten dran.“
Bild schreibt heute früh: „Putin-Versteherin zickt Anne Will an“. Und damit sind wir schon bei Gast Nr.1, der ehemaligen Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz. Sie wissen schon, die Journalistin mit der Ingo-Appelt-Frisur.
Marwan Khoury ist ebenfalls dabei: Ein der syrischen Opposition nahestehender im bayrischen Hof ansässiger syrischer Arzt und Organisator der Hilfsaktion „Barada e.V.“, die Medikamente und Lebensmittel nach Syrien bringt und im türkischen-syrischen Grenzgebiet Schulen für die Kinder der vertriebenen und geflüchteten Landsleute baut. Also Herzenskandidat von der AfD bis zu Angela Merkel. Denn klar ist, wer diese Schulen besucht, macht sich nicht auf den Weg nach Deutschland.
Diese deutsche Perspektive kann dem Basler Kriegsreporter Kurt Pelda egal sein. Der 50-jährigen Schweizer „Journalist des Jahres 2014“, ist bereits seit den 1980er Jahren im Nahen Osten unterwegs. Er gibt bei Anne Will den Scholl-Latour 2.0. Ob er diese hoch aufgehängte Rolle auch nur annährend erfüllen kann, wird sich zeigen.
Ebenfalls im Studio Berlin-Adlershof dabei ist Harald Kujat, General a.D. der deutschen Luftwaffe, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr und Ex-Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Na klar, seine Position ist der militärische Blickwinkel. Der Schuster macht Schuhe, der Bäcker Brötchen, der eine setzt den Sauerteig an, der andere bleibt bei seinen Leisten, während Kujat am besten zurecht kommt, wenn man Flieger losschickt, die Probleme der Welt zu lösen.
So ist eben jeder in seinem Handwerk gefangen. Und weil Putin seine Flieger losschickt, das eingefahrene, schier unlösbare Syrienproblem wegzubomben, ist Kujat auch auf Putins Seite. Also sind mit Krone-Schmalz schon zwei am Tisch, die noch nicht bereit sind, der neuen Lesart des ehemaligen norwegischen Regierungschefs und jetzigen Nato-Generalsekretärs, Jens Stoltenberg, zu folgen. Einer, der es auf der Münchner Sicherheitskonferenz verstand, die Angst vor Putin wieder auf die Bedrohung durch die russischen Atomwaffen zu fokussieren.
Quasi direkt von dieser Konferenz zu Anne Will angereist war der Präsident des Europäischen Parlaments, der SPD-Politiker Martin Schulz. Ihn beneidet wohl niemand um seinen Job. Noch weniger seit – so zumindest seine Behauptung bei Anne Will – Russland die rechten Parteien im Europäischen Parlament finanzieren würde, weil die in Europa kein Geld mehr bekämen. Der Bayrische Rundfunk und andere Medien wollten schon im Februar 2015 diesen Einfluss Putins auf die rechten Parteien im Europaparlament recherchiert haben.
Aber auch klar, wer „Moskau-finanziert!“, schreit, der betreibt die Rhetorik des Kalten Krieges. Da haben sich also mit Schulz und Stoltenberg zwei Sozialdemokraten gefunden. Aber Stoltenberg saß gar nicht mit am Nierentisch, die Runde war mit Schulz komplett. Es konnte also losgehen.
Seit September fliegt Russland nun Angriffe auf Syrien, eröffnet Anne Will. Merkel sei entsetzt. Aber worüber eigentlich fragte man sich da sofort als Zuschauer. Der bewaffnete Konflikt ist immerhin fünf Jahre alt und 2016 sind wir hunderttausende tote Syrer weiter. Wird Merkels Entsetzen auch von der Befürchtung gespeist, das jetzt immer noch mehr Flüchtlinge ihrer Einladung folgen werden? Die Luftangriffe der russischen Kampfjets jedenfalls werden von bestimmten Kreisen als neues Initial für diese Fluchtroute verstanden.
Anne Will fragt nach: „Bringen die russischen Bomben irgendetwas Gutes für die Menschen?“ Der General erklärt, der Einsatz der Russen hätte die eingefahrenen Verhandlungen wieder in Gang gebracht. Er wisse zwar, dass den Russen vorgeworfen wird, dass sie auch die liberalen Anti-Assad-Kräfte bombardieren. Aber wer würde zeitgleich kritisieren dass die Türken in diesem Konflikt die Kurden bekämpfen? „Schwarz-weiß-Denken bringt nichts.“
Kujats militärische Kollateralschaden-Rhetorik wird zum Stachel im Fleisch des EU-Präsidenten, der im grantelnden Gewerkschafterton seinerseits feststellt, dass man einer Kriegspartei ja wohl nicht dankbar sein müsste, das sie Krieg führt. Aber natürlich hätten die USA und Europa keine Strategie gehabt für Syrien. Und Russland sei eine aktive sehr starke Kraft, mit der man zurechtkommen müsse.
Die Russlandexpertin Krone-Schmalz verschärft den Ton: „Es waren nicht die Russen, die in Syrien als erste gebombt haben. Seit Russen anfangen zu bombardieren, zählen wir Bombenopfer. Vorher waren es Kollateralschäden.“ Und fügt mit bösem Blick in die Runde an: „Wen man selbst im Warmen sitzt, ist es leicht zu moralisieren.“ Ein Interessenausgleich wäre vor fünf Jahren noch einfacher gewesen. Aber die USA waren damals nicht bereit, mit Assad zu sprechen. Wo hingegen für Russen Assad nur Mittel zum Zweck sei.
Jetzt ist Marwan Khoury dran. Der hat als Exil-Syrer eine gewichtige Stimme. Ein Betroffener. „Ich bin ein humanitärer Aktivist. Die Moral spielt bei mir eine große Rolle.“, erklärt er. Für ihn richten sich die russischen Angriffe nicht gegen den IS, sondern sie hätten alleine das Ziel, eine Alternative zu Assad auszuschalten. „In Aleppo gibt es keine IS, hier geht es darum, Menschen zu töten, damit Assad an der Macht bleibt. Assad hat 500.000 Zivilisten getötet. Mit einem Massenmörder macht man keinen Frieden.“
Das hat gesessen. Aber man fragt sich: Kann man Assad wirklich für alle bisherigen Opfer alleine verantwortlich machen? In so einem Krieg töten alle Waffen, auch die der Rebellen, des IS, der Kurden, der russischen Bomber, der Al-Nusra-Front und wer noch alles verwickelt ist in dieses immer unübersichtlicher werdende regionale Kriegsgeschehen.
Anne Will bringt die Münchner Sicherheitskonferenz ins Spiel, als sie fragt, ob sie etwas verändert hätte. Der syrische Arzt sieht das noch nicht. Die Bombardierungen seien nicht weniger geworden. Die Russen hätten sogar im Umland von Aleppo in der letzten Woche hunderttausend neue Flüchtlinge produziert.
Ist das schon Rebellenpolitik, die der engagierte Doktor da betreibt? Eine Drohung direkt an die deutsche Regierung gerichtet, dass es noch mehr Flüchtlinge werden, wenn man Putins Pro-Assad-Engagement nicht stoppt, und die Rebellen nicht nach fünf elenden Jahren endlich zum Sieg führt?
Nein, das ist wenig überzeugend, denn mittlerweile lauert mit dem IS ein weiterer Akteur auf die Eroberung Syriens und es darf bezweifelt werden, dass diese Freiheitskämpfer an zwei Fronten siegreich sein könnten. Wer also anfangs die Idee hatte, Russlands Kampfjets würden nur den IS bekämpfen und damit indirekt den Rebellen den Rücken gegen Assad freihalten, der hat sich irreführen lassen.
Im Gegenteil, der Konflikt wächst sich immer mehr aus zu einem dieser klassischen Stellvertreterkriege aus der Ära des Kalten Krieges. Wer jetzt nicht die gesamte Chronologie, die Eskalationsspirale dieses Konfliktes rekapituliert, der läuft Gefahr, nicht mehr durchzublicken.
Wir erinnern uns: Der Orientexperte Prof. Dr. Günter Meyer sprach Anfang 2012 dem Bayrischen Rundfunk ins Mikrofon bezogen auf die Rebellen gegen Assad: es sei „ganz offensichtlich, dass wir es mit einer bewaffneten terroristischen Organisation zu tun haben, die für einen sehr großen Teil der Toten ebenfalls verantwortlich ist. (…) Das heißt, wir haben eine klare Anti-Sichtweise gegen das Regime. Eine Sichtweise, die massiv gestärkt wird, durch die Interessen insbesondere der USA, aber auch durch die westlichen Verbündeten. (…) Wir haben es nicht mit einem isolierten Konflikt zu tun, sondern mit einem massiven Eingreifen von außen.“
Vergessen wir auch nicht, was die ZEIT schon im März 2013 wusste: „Die USA sind laut US-Medien stärker als bekannt in den syrischen Bürgerkrieg involviert. Mithilfe der CIA seien die Waffenlieferungen an die Rebellen deutlich gestiegen.“
Sogar schon kurz nach den ersten Demonstrationen gegen Assad 2011 sollen die ersten Millionen an Oppositionsgruppen geflossen sein. Die Erfolge der Revolutionen in Nordafrika machten solche Geldmittel damals erfolgversprechender als in den Jahren zuvor, als Assad äußerst zaghaft zwar, aber Reformen eingeleitet hatte, die eben auch die eine oder andere Demonstration erfolgversprechend erscheinen ließ. Wollten die US-Amerikaner schon viel früher partizipieren?
Aber weiter mit Harald Kujat, der die besondere Rolle Aleppos im Konflikt erklärt, wenn er fragt, warum die Russen Aleppo bombardieren. Aleppo sei für Russland nur ein strategisches Zwischenziel. Man wolle damit die Terroristen von der Versorgung aus der Türkei abschneiden. Das man damit auch die Versorgung der Stadt abschneiden würde, sei doch klar. „Und hier führt es dazu, dass große Teile des IS eingekesselt werden und nicht mehr aus der Türkei versorgt werden können. Das schaffen die Russen zusammen mit Assads Soldaten.“
Der Kriegsreporter Kurt Pelda schüttelt den Kopf: „Wir sollten das nicht zu einer Märchenstunde ausarten lassen. Russland bekämpft die Rebellen und die Al-Nusra-Front.“ Man tue nichts gegen den IS. „Der IS wird von den Russen in Ruhe gelassen. Die Russen und Assad brauchen doch den IS. Im Moment werden die sunnitischen Araber vertrieben. Die Dinge, die uns flüchtlingsmäßig in der Zukunft beschäftigen werden, passieren jetzt. Jetzt müssen wir etwas tun.“, erklärt er.
Martin Schulz richtet einen Appell an die Türkei, die Grenze zu Syrien wieder aufzumachen. „Ich bin für die andere Alternative: Reduzierung der Gewalt. Humanitärer Korridor. Wir müssen den Konflikt mit allen Parteien lösen, dazu gehören bedauerlicherweise auch die Russen.“, fügt er noch an. Bei Martin Schulz klingt das alles ziemlich durcheinander. Gut, das spiegelt natürlich das Durcheinander dieses Konfliktes am besten wieder, aber man ist doch hier in dieser bescheidenen ARD-Sendung angetreten, ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen.
Der Schweizer Pelda plädiert im Gegensatz zu Kujat für ein militärisches Gleichgewicht. Gut, am Kartentisch mag das ja noch hübsch aussehen, denkt man. Aber war das nicht genau die Ursache für immer mehr Tote in Syrien in den letzten Jahren? Diese Unlösbarkeit, dieses Patt, das an keinem Verhandlungstisch entwirrt werden konnte?
Koudhri macht seine Position kurzerhand zur Position des gesamten syrischen Volkes: „Eine Lösung ohne das Syrische Volk wird nicht passieren. Assad hat 500.000 Menschen getötet, und eine Million behindert gemacht. Dieses Volk wird es nicht mehr akzeptieren, unter diesem Regime zu leben.“
Kujat versucht es mit einem Kompromiss: Es ist völlig klar, dass Assad nicht an der Regierung bleiben wird. Da hat auch Putin gesagt und im September bereits die ersten Schritte genannt. Ich rate ihren Freunden in Syrien: Die Verhandlungen bitte nicht durch Vorbedingungen belasten. Damit erreichen sie genau das Gegenteil.
Und damit sind wir wieder am Anfang der Sendung. Hier im Kleinen dreht sich alles im Kreise wie auf der großen Bühne.
Frau Krone-Schmalz versucht sich an einem Schlusswort, als sie fragt: „Wie schlecht ist es um unsere Gesellschaft bestellt, wenn wir eine solches Feindbild (gegen Russland) aufbauen müssen?“ Und dafür bekommt sie dann die erste grobe Watschen des Abends: „Das ist Blödsinn“ bollert Martin Schulz. Oder war es der Schweizer?
Eine Talkrunde, die keinem weh tat. Aber eine gute Runde, weil sie so angenehm frei war von den üblichen bundespolitischen Graben- und Wahlkämpfen? Weil Positionen geklärt wurden? Weil man sich weitestgehend ausreden ließ? Erkenntnisse nur in so weit, dass alles wohl noch schlimmer ist, als man bisher annehmen musste. Nicht mehr die immer weiter sterbenden Syrer stehen im Fokus eines Lösungsinteresses, nicht die steigenden Flüchtlingszahlen. Liest man die Beiträge der Runde richtig, dann hat die reale Bedrohung eine neue Dimension erreicht. Die Furcht vor einer Eskalation des regionalen Konfliktes hin zu einem Konflikt zwischen Nato und Russland ist vorherrschend.
Armes Syrien. Was muss noch passieren, damit du endlich wieder in Ruhe deine tiefen Wunden lecken kannst? Damit der Toten endlich in Würde und Freiheit gedacht und die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können, um sie wieder aufzubauen?
Immerhin 3,8 Mio. Menschen wollten das sehen, 200.000 mehr als bei Wills Quotentiefpunkten, eine halbe Millionen weniger als zu Beginn und noch mal deutlich weniger, gemessen an Vorgänger Jauch. Überall Krise, bei Anne Will (noch) nicht wirklich.
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