Der britische Rennfahrer Stirling Moss schaffte 1957 beim Langstreckenrennen „Mille Miglia“ einen legendären Rekord: Die tausend Meilen (1.597 Kilometer) quer durch Italien schaffte er in exakt zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden. Den Husarenritt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 157,6 km/h fuhr er auf öffentlichen Landstraßen ein, durch Städte und Dörfer. Heutzutage wäre so ein Schnitt selbst auf der Autobahn kaum zu schaffen. Der Rekord ist bis heute ungebrochen.
Doch Stirling Moss hat seine Rechnung ohne Annalena Baerbock gemacht. Denn für die deutsche Außenministerin ist der Ukraine-Krieg von ihrem Wohnort Potsdam „nur sieben Autostunden entfernt“, wie sie bei Maischberger kundtut. Ihre Stimme überschlägt sich dabei fast. Das entspricht bei 1.392,7 Kilometern zwischen Potsdam und Kiew einem Stundenschnitt von sagenhaften 198,95 km/h. Gute Fahrt!
Immer wieder malt Baerbock den Teufel an die Wand: Russland würde irgendwann Moldawien angreifen und gar „bis nach Polen vormarschieren“. Erst jüngst habe er es wieder bewiesen: „mit einem Angriff auf ein Schiss, ein Schiff in den Hoheitsgewässern Rumäniens“. Neu ist nur, dass sich der Westen angeblich seit Beginn des Krieges um Friedensverhandlungen bemüht, aber Russland ständig blockt.
Maischberger will wissen, ob eigentlich der grüne Bellizismus, der Wandel vom Pazifisten-Saulus zum Waffen-Paulus, ein Grund sein könnte, warum die Partei gerade aus den Landtagen fliegt. „Nein, ganz und gar nicht“, sagt Baerbock. Sie betont, dass „die Frage von Haltung bei so zentralen Fragen eine ist, die nicht für schnelle Überschriften oder plakative Maßnahmen kurz im Wahlkampf zentral ist“.
Ob sie selbst oder Robert Habeck denn persönliche Konsequenzen in Betracht ziehen, nachdem am Vormittag der Grünen-Parteivorstand das Handtuch geworfen hat? Keinesfalls! „In diesen krisenhaften Zeiten können wir Probleme nicht lösen, wenn wir nur in Schlagzeilen diskutieren“, sagt Baerbock. Und ist Habeck der richtige Kandidat für den nächsten Bundestagswahlkampf? „Auf jeden Fall! Auf jeden Fall!“, platzt es aus Baerbock heraus. „Sorry to say. Ja, ich bin hier im englischen Diskurs noch unterwegs.“ Ihre Stimme überschlägt sich schon wieder fast vor Stolz. Es sei „die falsche Strategie zu sagen: Und jetzt mal der Nächste, und jetzt mal der Nächste, und jetzt mal der Nächste. Es geht um Vertrauen, es geht um Verlässlichkeit.“ Habeck habe bewiesen, „dass er in der Krise das Land nicht nur führen konnte“, sondern dass das Volk „gut durch den Winter gekommen“ ist. Die ganze alte Leier.
Maischberger, vom Denglisch infiziert, schließt den Baerbock-Vortrag mit einer kleinen Spitze ab: „Das war ‘ne Werbung für die Grünen und für Robert Habeck. Fair enough.“
Für den Publizisten Wolfram Weimer ist der Rücktritt des Grünen-Vorstands mehr als nur ein Bauernopfer. Mit Omid Nouripur und Ricarda Lang sieht er eine Opferung „der gesamten Bauernreihe, um die Dame und den König zu behalten“. Der Verleger des „The European“ bemüht den Sport: „Stellen wir uns vor, ein Fußballverein steigt ab, und dann tritt der Greenkeeper und der Masseur zurück.“
Maischberger setzt nach: Man müsse bedenken, „dass die Menschen auf den Namen Habeck landauf, landab durchaus gereizt reagieren können“. Weimer geht noch einen Schritt weiter und bilanziert, „dass der Zeitgeist den Grünen jetzt entgegenweht und sie nicht mehr trägt“. Vor wenigen Jahren habe die Partei die Themen gesetzt, „das ist heute komplett anders. Heute geht es um Sicherheit, es geht um Wohlstandswahrung, um Migration und Krisen. Wenn die kulturelle Hegemonie verlorengeht, dann geht dir auch die Jugend verloren“. Alle 15 bis 20 Jahre wechsele die Hoheit über die Begriffe. „Das haben wir jetzt bei den Wahlen gesehen. Dass die jungen Wähler sich so sehr abwenden von den Grünen.“
Weimer findet viele klare Worte: „Das Haus der Ampelregierung ist morsch. Wenn diese Ampelregierung jetzt wirklich noch ein Jahr so weiterwurschtelt, dann werden die Fliehkräfte der Republik, dann werden die Extreme noch stärker. Wir haben eine Migrationskrise, die nicht gelöst ist, und eine Wirtschaftskrise, die auch nicht adressiert wird.“
Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?, fragt Maischberger. Weimer: „Auf jeden Fall! Deutschland schrumpft. Die Lage ist ernster, als die Politik es vielleicht glaubt. Deutschland blutet aus. Wir erleben eine Deindustrialisierung.“ Der Mann der Stunde ist für ihn ausgerechnet Friedrich Merz. „Wir brauchen einen Sanierer. Einen ernsten Mann für ernste Zeiten.“
Auch René Obermann ist zu Gast. Der Airbus-Verwaltungsratschef redet, wie jemand reden muss, dessen Firma nicht nur Verkehrsflugzeuge baut, sondern auch Waffen wie den Eurofighter. „Wir sollten der Ukraine alles geben, was wir können“, sagt er. Abschreckung sei wichtig.
Deutschland sei zu wenig innovativ und viel zu lange viel zu „bräsig“ gewesen, die EU ersticke in Bürokratie. Die Regulierung zur Künstlichen Intelligenz etwa habe „mehr als 100 Seiten im Hauptwerk und nochmal 100 im sogenannten Anhang“. Kein Wunder, dass junge Firmen dann „einfach in andere Länder“ gingen.
Oder fahren. Mit Tempo 200.