Das gallische Dorf soll in die Posthistorie befördert werden

Der neue Asterix-Band wagt ein interessantes Experiment, indem er die woken Zeitphänomene auf die Schippe nimmt. Er schafft es aber nicht, die eigentlichen Dinge beim Namen zu nennen - und zeichnet sich durch plot holes aus, die den Leser frustrieren.

IMAGO

Eigentlich hatte ich als renitenter Deklinist das neue Asterix-Heft mit dem felsenfesten Vorsatz in die Hand genommen, jede Seite zu hassen. Mir war auch schon ein guter Einstieg durch den Kopf geschossen; etwa: „Nach Star Wars, Indiana Jones, Harry Potter und Tolkien setzt sich auch der Niedergang der Asterix-Franchise unbarmherzig fort etc. pp. usw.“ Leider – oder zum Glück – liegen die Dinge nicht ganz so klar, denn der neue Asterix-Band ist gar nicht so schlecht, wenn man ihn wohl auch nicht wirklich als „gut“ bezeichnen kann.

Schon die Geschichte selbst scheint auf den ersten Blick eher untypisch für einen Asterix zu sein, geht es doch weniger um ein echtes „Abenteuer“, das unsere Helden quer durch die antike Welt führt, sondern vielmehr die Konsequenzen der sinistren Machenschaften von Visusversus, einem optisch dem französischen Starintellektuellen Bernard-Henri Lévy nachgebildeten römischen Arzt, der im Auftrag Caesars durch eine ganze Reihe von Selbstfindungs- und Achtsamkeitsparolen die widerspenstigen Gallier demoralisieren und die römischen Legionäre motivieren soll: Das „kleine Dorf“ soll durch mentale Manipulation gewissermaßen in die Posthistorie befördert und somit kampfunfähig gemacht werden – ein erstaunlich ideologiegeladenes Thema.

Doch der sich aus der Lektüre ergebende Eindruck ist eher zwiespältig. Dem neuen Texter Fabrice Caro (genannt „Fabcaro“) ist es zwar nicht nur gelungen, eine selbst für einen Asterix-Band erstaunliche, ja geradezu barocke Quantität an verschiedensten durchaus geglückten Wortwitzen in die Dialoge einzubauen, sondern auch, viele der gegenwärtigen Probleme des „posthistorischen“ Menschen auf die Schippe zu nehmen. Individualismus, Selbstentfaltung, Relativismus, Konfliktvermeidung, Inklusivität, Achtsamkeit, Klimakampf usw., dazu noch die düstere Vermutung, dass diese Elemente von sinistren Machtmenschen und ideologischen Manipulatoren durchaus bewusst zur Steuerung sozialer und politischer Prozesse eingesetzt werden könnten – vieles im Subtext des neuen Asterix hätte eigentlich politischer Sprengstoff sein können. Hätte, wenn der Szenarist denn nicht vor seinem eigenen Mut zurückgeschreckt wäre.

Denn „Die weiße Iris“ ist unfähig (oder unwillens), die eingangs gestellte zivilisatorische Diagnose systematisch durchzuspielen, und verlässt in der Mitte der Erzählung die eigentlich gewählte Bahn, ohne je wirklich zu ihr zurückzukehren. Das Heft zeigt in seiner ersten Hälfte sehr anschaulich, wie die verweichlichende Wirkung der modernen individualistischen und konfliktadversen Konsum- und Achtsamkeitskultur die Kampfesmoral des gallischen Dorfes ebenso wie seine familiäre Kohäsion in Windeseile untergräbt, ohne dass (bis zum Ende der Geschichte) ein echtes Antidot für diese Entwicklung präsentiert würde. Die anfangs gesetzte Hypothese, ähnliches „Mind-Training“ würde den Legionären ihre Schlagkraft zurückgeben, bleibt allerdings in der Folge ebenso unentwickelt wie die Ansage, die römische Zersetzungsstrategie würde in der einen oder anderen Weise die Wirkung des Zaubertranks außer Kraft setzen können – zwei ganz offensichtliche Plot-Holes, die schon in der Mitte des Heftes eine gewisse Frustration erzeugen, worum es denn nun eigentlich gehen soll.

Stattdessen geht die Geschichte genau an dieser Stelle, wo sie sich aus sich selbst heraus nicht weiterentwickeln will (oder kann) auf einmal zu einer burlesken Verfolgungsjagd nach Lutetia über, bei der es Visusversus auf einmal nicht mehr darum geht, das Gefälle zwischen Gallierdorf und Römern umzukehren, sondern die von ihrem Gatten enttäuschte Häuptlingsfrau Cäsar als Geisel zuzuführen, um das Dorf auf diese Weise zur Kapitulation zu zwingen. Obwohl das Experiment der „weißen Iris“ also eigentlich überaus erfolgreich war, entschließt sich Cäsar auf der vorletzten Seite des Heftes aus ebenso unklaren Gründen für den Abbruch des Versuchs, während das Gallierdorf nach der Rückkehr unserer Helden auf der letzten Seite „irgendwie“ automatisch zu seiner ursprünglichen Wildheit zurückgefunden hat – auch dies zwei etwas gezwungen wirkende Versuche der inhaltlichen Einhegung einer aus sich selbst heraus nicht mehr befriedigend abzuschließenden Geschichte.

So wirkt das Heft denn trotz vielversprechender Ansätze im Kleinen unbefriedigend, und auch die Story selbst hält nicht der oberflächlichsten Prüfung auf Kohärenz und Stringenz stand. Begriff der Szenarist, dass die Frage nach dem „posthistorischen“ Menschen ein zu heißes Eisen war und, rein aus sich selbst heraus weiterentwickelt, nur zu Entwicklungen führen konnte, die dem reinen Unterhaltungscharakter des Heftes und dem, was man Verlag und Establishment politisch zumuten konnte, zuwidergelaufen wären?

Im Gegensatz zu anderen neuen Asterix-Bänden, denen man nicht ohne Grund ein Übermaß an politischer Korrektheit oder doch zumindest Zaghaftigkeit vorgeworfen hat, finden wir hier zwar dankenswerterweise ein wenig von dem ursprünglichen Biss zurück, der die alten Bände auch heute noch so lesenswert macht. Doch beschränkt sich dieser Biss vor allem auf ein eher unpolitisches Sittenportrait unserer Zeit, das man wohl ebenso links wie rechts ohne größeren Anstoß zur Kenntnis nehmen wird.

Somit bleibt der Eindruck eines unverdächtigen Kammerspiels, das letztlich, um mit Siegfried Kracauer zu argumentieren, eher regimestützend als wirklich kritisch wirkt. Während Frankreich aufgrund von Schuldenbergen, Rezession, Masseneinwanderung, Kriminalität, Politsumpf und Pariser Wasserkopf droht, ganz Europa früher oder später in den Abgrund zu reißen, werden Witzchen über abstrakte Kunst, verspätete Schnellzüge, Klangschalen, Nouvelle Cuisine und Hipsterbärte gerissen und somit gratismutig „Konflikte“ beschworen, die angesichts der unterschwellig darunter lauernden Fragen keinerlei wirkliche Bedeutung haben – eine Art kontrollierte Opposition, welche es tunlichst vermeidet, die Ideologie hinter dem „Lifestyle“ zu bezeichnen.

Freilich: Wahrscheinlich darf man von einem solchen Comic mehr auch gar nicht erwarten, und es ist illusorisch, gerade in einem Asterix-Heft eine wie auch immer geartete echte politische Stellungnahme zu finden, so schlimm die gegenwärtige Lage Frankreichs auch sein mag: Bereits eine gewisse Neutralität und ein „audiatur et altera pars“, wie sie hier durchaus gelegentlich durchscheinen, stellen im Vergleich zu den früheren Heften bereits einen deutlichen Fortschritt dar.

Daher gilt hier wie überall: Wer die Dinge wirklich ändern will, sollte Hoffnung nicht von jenen altetablierten Institutionen erwarten, die festgefügte Teile des allgemeinen Räderwerks sind, sondern selber etwas Neues schaffen. Nicht über den neuen „Asterix“ klagen, sollte der Appell heißen, sondern vielmehr selber eine Serie schaffen, die nicht als Abklatsch, sondern als originelle Schöpfung alle jene Fragen stellt, die wir im Mainstream vermissen – und das gilt eben nicht nur für „Asterix“, sondern für die gesamte moderne Medienkultur. Dass viele Konservative es beim Kritisieren, Mäkeln und Maulen belassen und sich somit ganz durch sterile Ablehnung definieren, ohne selber das Heft in die Hand zu nehmen und das, was sie anderswo vermissen, selber hervorzubringen, ist das eigentliche Problem.

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Kommentare ( 16 )

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Dieter Rose
8 Monate her

Wenn du dich wehrst oder gegen den Mainstream äußerst, kommt der „Verfassungsschutz“.

horrex
9 Monate her

Ohne schon „den Neuen“ gelesen zu haben frage ich,
ob sich – womöglich – die „berühmte Spaltung“ bei den Machern des Heftes AUCH zeigt??
Nur eine These die auf die Enttäuschung des „Engels“ zielt 😉

Peterson82
9 Monate her

Der aktuelle Asterix Band ist erfrischend anders. Und bis zur Hälfte des Bandes hat mich die „Verweichlichungs-Taktik“ des Römers wirklich gefesselt. Danach traten aber die vom Autor hier herausgestellten Logik-Löcher der Story zutage die dann irgendwie negativ im Gedächnis bleiben.

Reinhard Peda
9 Monate her

Asterix (im Original: Astérix) ist die 1959 von Autor René Goscinny (1926–1977) und Zeichner Albert Uderzo (1927–2020) geschaffene, erfolgreichste französische Comicserie.
Mit dem Tod der beiden starb auch mein Asterix.

Waldorf
9 Monate her

Es ist das von ua. Peterson skizzierte Problem der westlichen Konservativen: sie nörgeln über den „linken“ Kanon ihrer Erzählungen (Identitätspolitik, Multikulti, OpenBorders, Klimaklima über alles etc), setzen aber keine „besseren“ Erzählungen dagegen – bleiben also „Literaturkritiker“, statt selbst neue Autoren zu werden. Links bleibt das Fundament eines auf Klima, Migration und Gender umlackierten Neomarxismus stabil, der Kanon der Erzählungen mag noch so skurril sein und bleiben, aber er ist immerhin einer! Im Lager der westlichen Konservativen bleibt der christliche Glauben zentral, was für viele konservative Atheisten schwierig ist und bleibt. Logik und echte, unverzerrte, unideologische Wissenschaft wären starke Partner moderner… Mehr

Talleyrand
9 Monate her

Nun ja, wer konnte denn überhaupt noch einen neuen Band ohne mainstreaming erwarten? Insoweit scheint mir die Wende geradezu tollkühn. Vermutlich haben die Macher einen großen Schluck Zaubertrank runtergespült und es wäre zu hoffen, sie machten das bald wieder. Es ist nicht zu unterschätzen, was eine solche, wenn auch noch gebremste, Verhohnepipelung der diktierten Meinung in der durstigen Volksseele bewirkt.

Aegnor
9 Monate her

Ich finde es bei den Asterixgeschichten sehr spannend, wie diese als bezeichnend für das französische Nationalempfinden stehen. Eigentlich sind die heutigen Franzosen ja kulturell Römer, die sich ihre römische Kultur gegen die germanischen Eindringlinge (Franken, Burgunder) erhalten haben und diese assimiliert haben, statt umgekehrt. Von der keltischen, gallischen Kultur haben die Römer nach 400 Jahren schließlich fast nichts übrig gelassen. Dennoch stürzt man sich auf diese imaginäre „Nationalkultur“, weil der stolze Franzose es natürlich nicht ertragen kann, kulturell nur römische (also im heutigen Sinne italienische) Peripherie zu sein. Noch treppenwitziger wird die Sache, wenn man sich vor Augen führt, dass… Mehr

Sonny
9 Monate her

Goscinny und Uderzo hatten es eben einfach drauf. Das kann man nicht einfach so kopieren. Früher haben die Länder der Welt mit ihren Marotten und Ritualen mit einem zwinkernden Auge ihr Fett weg gekriegt und man konnte köstlich darüber lachen. Ich denke da nur an die Schweizer, die Spanier oder die Briten, einfach nur klasse. Heute hat man aus Asterix und Obelix eine handzahme, langweilige Bildergeschichte gemacht. Während ich die Bände der Vergangenheit mit großem Vergnügen gekauft, gesammelt und immer mal wieder gelesen habe, ist damit seit dem Tod Uderzos und Goscinnys Schluß. Einfach zu langweilig, zu durchschaubar, zu wenig… Mehr

Last edited 9 Monate her by Sonny
alter weisser Mann
9 Monate her
Antworten an  Sonny

Der gallische Gaul ist aber noch nicht ganz zu Tode geritten.

curryculum
9 Monate her

Der Menschenirrsinn: Zwei Sklaven plus Hinkelstein …

Schwermetaller
9 Monate her

Neuer Asterix-Band?
Mir möge der Arm verdörren, bevor ich sowas kaufe.
Soll Doof-Michel dafür mal ablatzen…
Als Kind habe ich Asterix geliebt… bis zu „Der Sohn des …ix“