ARD und der Krieg in der Ukraine: Fahnenflüchtige Journalisten

Die ARD gibt bei der Kriegsberichterstattung kein gutes Bild ab: Die gefährliche, aber unverzichtbare journalistische Arbeit leisten private Konkurrenten, weil der „Gemeinwohl-Funk“ diesen Dienst an der Allgemeinheit nicht zu leisten vermag.

IMAGO / Winfried Rothermel

Georg Restle ist zurzeit in Kiew – als Sonder-Korrespondent im Ukraine-Krieg. In dieser Rolle trat der „Monitor“-Moderator am Sonntagabend in der „Tagesschau“ auf und sprach auch über die mutmaßlich russischen Kriegsverbrechen in der Stadt Butscha. Es sei Journalisten am Wochenende nicht möglich gewesen, von dort zu berichten, behauptete er in seiner Liveschalte.

— Argo Nerd (@argonerd) April 4, 2022

Das war jedoch nachweislich falsch – und so korrigierten viele Kollegen Restle bald darauf auf Twitter. Und das nicht vom Schreibtisch, sondern aus der Ukraine. BILD-Reporter Paul Ronzheimer ist einer von mehreren deutschen Journalisten, die aus Butscha berichtet haben. Auch Frederik Pleitgen vom amerikanischen CNN oder Jeremy Bowen von der BBC straften Restle mit ihrer fortwährenden Berichterstattung aus Butscha Lügen.

Der erklärt daraufhin, die Kollegen hätten sich wohl nicht an die Sperrbestimmungen für Journalisten gehalten. Auch das wieder eine Falschaussage, wie Kollegen darlegen: Die ukrainische Regierung habe es Reportern ermöglicht, die Kriegsverbrechen in der Stadt zu dokumentieren, schrieb der Kriegsreporter Enno Lenze, der seit einer Weile aus dem Land berichtet.

Dann besitzt Restle auch noch die Dreistigkeit, noch einen Seitenhieb gegen die Kollegen einzuschieben. „Worum geht es jetzt: Um Wahrhaftigkeit oder Schnelligkeit?“ fragt er Paul Ronzheimer provokativ auf Twitter – als wäre er dadurch, dass er lieber in Kiew sitzt, statt vor Ort zu sein, irgendwie der bessere Journalist. Als die ARD über Butscha berichtet, muss sie auf Aufnahmen ihrer BBC-Kollegen zurückgreifen – eigene Bilder kann sich die 6,3 Milliarden Euro schwere Rundfunkvereinigung nicht leisten.

Dabei wäre es genau das, was die Gebührenzahler erwarten können sollten. Und das Selbstbild der Öffentlich-Rechtlichen ist es eigentlich auch: gebührenfinanzierte, umfassende Berichterstattung für eine unabhängig und gut informierte Öffentlichkeit. Doch im Ukraine-Krieg scheint die ARD genau das nicht liefern zu können. Am 4. März – zehn Tage nach Kriegsbeginn – erklärte ein WDR-Sprecher dass die ARD ihre Präsenz in der Ukraine verstärken werde. Davor hatten Medien und die Öffentlichkeit bereits viel Kritik an der ARD üben müssen.

Diese „Verstärkung“ rückte dann in Form von Georg Restle und seinem Team an. Schon lange vor seiner Ankunft waren internationale Medien mit starker Präsenz vor Ort – andere öffentlich-rechtliche Medien genauso wie private. Selbst das ZDF war deutlich schneller auf Trab. „Die ARD kam Wochen nach den anderen“, schreibt Kriegsreporter Enno Lenze, der auch in der Ukraine ist, auf Twitter. Er rückt Restles Arroganz zurecht: „Die ARD hat die Meetings verpasst, hat den Zugang zu Bucha verpasst und zieht nun über alle anderen her um abzulenken.“

Auch in Russland betreibt die ARD Journalismus auf Sparflamme. Zunächst zog man seine Journalisten wegen eines neuen russischen Mediengesetzes ganz aus dem Land ab, um dessen Folgen zu prüfen. Mitte März kehrten die Korrespondenten zurück. Über den Krieg wolle man von dort jedoch nicht berichten, sondern stattdessen den Fokus auf russische Politik, Zivilgesellschaft und die Auswirkungen der Sanktionen legen.

Diverse andere Medien, wie der Spiegel, RTL oder BILD, blieben dagegen trotz des Gesetzes im Land. Eine gegenteilige Empfehlung des deutschen Journalisten-Verbandes verurteilte Bild-Reporter Peter Tiede als „Schlag ins Gesicht“ für die, die vor Ort geblieben sind. Er hält auf Twitter fest: Man kann berichten! Wenn man denn will. Die ARD erklärt schlicht, die Sicherheit ihrer Mitarbeiter hätte allerhöchste Priorität. So sind es nicht die von uns allen finanzierten „Gemeinwohl-Journalisten“, sondern ihre Kollegen der privaten Medienhäuser, die diesen für die Allgemeinheit unverzichtbaren Job machen.

„Kastrierte Berichterstattung“ – so urteilte ARD-Veteran Udo Lielischkies, der unter anderem viele Jahre Moskau-Korrespondent war, am Montag in einem Interview über seinen ehemaligen Arbeitgeber. In keinem Krieg war die Information der Weltöffentlichkeit so wichtig wie in diesem. Es ist auch ein „Infokrieg“ – und die ARD, angeblich im Dienst für die Allgemeinheit, wirkt fahnenflüchtig.

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