Könnte es nicht immer so sein? Ein künstliches Erregungsthema, nette Gäste in der Plauderrunde. Dazu ein Glas Wein und dann in Ruhe einschlafen.
Meinem amerikanischen Cousin Warren könnte ich die ganze „Erdogan-Humor-Affäre“, unser Gaga-Gate, überhaupt nicht verständlich machen, weil auf seinen TV-Kanälen jedes A … und F … Wort sofort überpiept würde. Erst recht, wenn Ziegen dabei vorkommen.
Wo ist das Gedicht des Anstosses?
Auch nach der Anne Will Sendung weiß man eigentlich immer noch nicht genau, woher die ganze Aufregung rührt. Zwar wurde das Intro zum Schmäh-Gedicht, nicht aber selbiges abgespult.
Es ging auch eher um Erdogans langen Arm, und ob Merkel seine „Bitch“ ist, um mal etwas Schmähkritik reinzubringen. Ja, absolut, meinten der Satiriker Serdar Somuncu, Sevim Dagdelen von Die Linke und einerseits, andererseits, der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.
Vornehme Zurückhaltung übte der Rechtsanwalt Fatih Zingal, der einen erstklassigen Eindruck machte. Gottseidank machte Will zweimal deutlich, dass er Erdogan-Anhänger sei, so dass der Autor sich verpflichtet fühlt, sich für den ersten Eindruck, den er von Zingal hatte, etwas zu schämen. https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/boehmermann-tucholsky-und-der-sultan/
Den weißen, alten Mann in der Sendung spielte Elmar Brok, und zwar so, dass nun jeder weiß, warum Immigration wichtig ist. Humorlos, an der falschen Stelle engagiert, einfach fehl am Platze, armes Vaterland! Als Entschuldigung kann man nur anführen, dass Brok Merkel verteidigen musste, was in diesen Tagen eigentlich unmöglich ist. Gefühlte zwölf Mal beharrte er aber darauf, dass auch Frau Merkel eine Meinungsfreiheit besitze und jedwedes Gedicht schlecht finden dürfe.
Seltene Einigkeit …
Die Mehrheit der Runde aber war sich einig: Die Kanzlerin hätte ihrem neuen Buddy Erdi klarmachen müssen, dass wir in Deutschland lachen können über was und wen wir wollen, weil wir nämlich Pressefreiheit haben und Menschenrechte und Humor! Stattdessen hat sie erst acht Tage nach einem Song-Vortrag im NDR gesagt, dass das ok sei und beim jüngsten Beschwerdefall der Türkei sogar verlauten lassen, dass sie das Ziegenf…r-Gedicht nicht lustig fand.
Feigheit! Ruft die Linke Sevim Dagdelen. Und der Merkelsche Gedichtkommentar ist quasi per se schon ein Eingriff in die Pressefreiheit. An dieser Stelle müssen wir die Frage einschieben: Warum ist in j e d e r ÖR-Talkshow der letzten 10 Jahre immer eine/r von Die Linke dabei? Werden WillMaischbergerIllnerPlasberg erpresst?
Die Causa Gaga-Gate ist derzeit auf Antrag der Türkei Justiz anhängig, und zwar wegen § 103 StGB, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes. Wie immer in unserem Rechtsstaat sind die Gesetze völlig eindeutig formuliert. Sollte der Richter aber noch Verständnisprobleme haben, empfahl sich Medienwissenschaftler Pörksen mit seinen Erläuterungen. Es handele sich bei dem inkriminierten Stück um einen „Hybrid aus Satire und Schmähkritik“, wo die „kalte Mechanik des Rechts“ irgendwie nicht greift. Das ganze sei eher „ein Lehrbeispiel für eine Erregungsepidemie“.
Dann haben wir gelernt, dass Erdogan ein rechter Prozesshansel ist: In der Türkei sind eintausendachthundert Verfahren wegen Beleidigung anhängig. 1.800! (Und wir dachten immer Volker Beck sei schnell betroffen und beleidigt!)
… auch im Publikum
Unsere Presse als auch das Publikum im Saal fanden es zudem ungehörig, dass wegen der Lapalie unser Botschafter einbestellt worden ist. Auch da haben wir bei Anne Will dazugelernt: Der Botschafter wird jede Woche einbestellt! Steinmeier, jetzt reden Sie doch mal mit dem Mann! Sie wissen selbst, dass Frauen, ob mit Kopftuch oder ohne, nicht ganz ernst genommen werden bei den Muslim-Brüdern.
Zum Trost für alle, die bei Facebook schon wieder „Je suis …“ solidaritätsgeflaggt haben, sei bemerkt, dass alle in der Runde, selbst der uns zu Beginn nicht unsympathische Rechtsanwalt davon ausgehen, dass das Ganze juristisch glimpflich ausgehen wird.
Und korrigieren wollen wir – fast zum Schluss – nochmal Elmar Brok, der entschuldigend wie verzweifelt vortrug, wir bräuchten die Türkei, „um den Krieg in Syrien zu beenden“. Brauchen wir nicht. Wenn die Amis sich raushalten, beenden die Russen den schon ganz alleine.
Was genau nehmen wir übel?
Schon haben wir die Satire aus dem Fokus verloren. Da beim Thema Satire immer Tucholsky zitiert werden muss, wollen auch wir das tun: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ Ein großartiger erster Satz! Und leider in diesem Fall entlarvend. Denn so gut wie niemand saß auf dem Sofa und entrüstete sich (die Original-Sendung hat kaum jemand gesehen). Nur einer auf einem Diwan nimmt übel, wobei man sich die Frage stellt: Woher kennt der überhaupt – anders als gefühlt zwei Drittel der Deutschen – das schmähende Stück?
Und da wir den Muslimen in aller Welt, ganz gleich welchen Feuerzauber sie veranstalten, doch sonst immer mit ganz viel Verständnis begegnen, soll hier auch der Versuch unternommen werden. Der fromme Erdogan hat vielleicht so wenig Humorverständnis, weil der Humor im Koran so gut wie keine Rolle spielt. Explizit ist eine Stelle (Sure 83, Verse 29-36), die man so zusammenfassen könnte: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Oder auch so: Der Gläubige lacht, nachdem dem Ungläubigen das Schandmaul gestopft wurde.
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