Tichys Einblick
Feminismus zu Karrierezwecken

Gleichberechtigung nur auf dem Weg nach oben: Anne Spiegel und die Frauenhasserinnen

Anne Spiegel machte unter dem Beifall vieler Medien Karriere als toughe Superfrau. In der Krise sucht sie den Beschützerinstinkt für das „schwache Geschlecht“. Alles gleichzeitig geht aber nicht – so leistet man der Gleichberechtigung einen Bärendienst.

IMAGO / photothek

„Jetzt muss ich es noch irgendwie abbinden“ – der Satz von Anne Spiegel zum Ende ihrer denkwürdigen Pressekonferenz am Sonntag wird wohl nicht so schnell vergessen werden. Inzwischen kursiert in den sozialen Medien noch die Theorie, dass sie nicht abbinden, sondern up pimpen gesagt haben könnte, was zu deutsch „aufhübschen“ heißen würde. Was sie nun gesagt und was genau damit gemeint hat, kann man nur mutmaßen. Interessanter ist, wie sie es gesagt hat. Die Nebenbemerkung, die sie an den Unbekannten hinter der Kamera richtete, spricht sie in dunkler, dialektbehafteter Stimme – wohl ihre normale Art zu sprechen.

Als sie sich wieder an die Zuschauer wendet, spricht sie Hochdeutsch – und viel höher. Seltsam, meistens stimmen Frauen ihre Stimme eine oder mehrere Nuancen tiefer, um männlicher zu wirken, weil sie glauben, dass sie das professioneller und kontrollierter klingen lässt. Höher als normal spricht man als Frau, entweder wenn man einem Mann gefallen will – oder hilfebedürftiger klingen möchte. Die arme junge Frau mit der zittrigen hohen Stimme, den Tränen nah – das erweckt beim Gegenüber gerne den Beschützerinstinkt und ganz offensichtlich auch bei vielen Kommentatoren in den Medien.

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Anne Spiegel will erfolgreich sein, Karriere machen, Macht erlangen – das zeigt ihr ganzes Auftreten. Als Familienministerin witterte sie überall Diskriminierung von Frauen – etwa, indem Sinti und Roma falsch gegendert werden.
Jetzt hat Anne Spiegel die Frauen und die Sache der Gleichberechtigung blamiert. Nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie genau das als Ausrede benutzt, wenn es ernst wird. Sie wollte eine Superwoman sein, die zwei Ministerien im Land auf einmal leitet und dann zur Bundesministerin aufsteigt, die alle Rollenklischees sprengt, die vier Kinder und Beruf unter einen Hut bekommt. Jedenfalls solange es bergauf ging – sobald es dann ernst wurde, war es das dann auch wieder mit dem Feminismus.

Spiegel behauptet, dass sie in den Urlaub gefahren ist, weil ihr Mann überfordert war und ihre Kinder nicht gut durch die Pandemie gekommen sind. Also erstmal: So gut wie kein einziges Kind ist gut durch die Pandemie gekommen. Allerdings konnten die nicht mal so eben vier Wochen Urlaub mit den Eltern machen. Die einen nicht, weil ihre Eltern zu vorsichtig waren und vom Reisen ja schließlich abgeraten wird. Andere, weil ihre Eltern ganz einfach nicht die Möglichkeit hatten, mal eben vier Wochen frei zu nehmen. Und wieder andere, die schlicht nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, auch nur für vier Tage in Urlaub zu gehen – schon gar nicht durch die Flutkatastrophe betroffene Familien in Spiegels Bundesland Rheinland-Pfalz.

Es ist sowieso schon sehr dreist, als Begründung für schlechte Politik die Auswirkungen von schlechter Politik zu nennen. Wäre sie als Superministerin mit zwei Ämtern – unter anderem schon damals dem Familienministerium – nicht in der Position gewesen, daran etwas zu ändern? Deshalb gibt man in der Politik doch so gerne Müttern dieses Amt, weil sie die Probleme der Familien mitbekommen (sollten).

Und dann kriegt sie schon zu spüren, wie schwer es für Familien und Kinder ist, in dieser Pandemie und denkt sich dann nicht: „Hmmm, Familien leiden unter der Corona-Politik – ich bin Familienministerin – wenn nicht ich, wer dann?“ Nein, stattdessen fährt Anne Spiegel in den Urlaub, in ein anderes Land, wo auch die Politik anders ist. Also insofern hat Anne Spiegel nicht nur politisch bei der Flutkatastrophe voll versagt, sie hat auch die Familien in der Corona-Politik im Stich gelassen.

Super-tough, solange es gut läuft

Nun ist sie in den Urlaub gefahren. Natürlich nicht in Deutschland – hätte ich auch nicht gemacht. Am Ende sitzt man entspannt an der Nordsee, gerade war noch Ebbe und plötzlich ruft einer: „Da kommt Wasser!“ Wie soll man sich entspannen, wenn die Arbeit einen überall hinverfolgt? Wenn ich von meiner Verantwortung in Sachen Flut davonkommen möchte, würde ich doch möglichst weit weg – aber nicht zu weit, denn für Pressetermine, ist sie ja wieder kurz zurückgekommen. Sie entscheidet sich also für Frankreich. Klingt schön, oder? Ich glaube aber, mit dieser Annahme übersieht man eine große Unstimmigkeit. Waren Sie mal mit vier jungen Kindern im Urlaub? Ich auch nicht, aber bei mir ist es nicht solange her, dass ich mal selbst eins war. Meine Verwandtschaft sagt jedenfalls immer: „Als wäre es gestern gewesen.“ Und wissen Sie, was meine Verwandtschaft mir noch so alles erzählt? Den ganzen Mist, den ich als Kind immer gebaut habe, wenn ich mit ihnen im Urlaub war.

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Einmal bin ich im Badeanzug in ein Brennesselbeet gefallen – war nicht so lustig. Vier Stunden Kinderarzt. Dann diese blöden Mücken, ich war überraschenderweise allergisch. Drei Stunden Notaufnahme. Dann wollte ich ein Eis haben; nicht dieses, nein, das andere! – Übergang zu 23 Minuten und 47 Sekunden Geschrei. Dann wollte ich heiße Schokolade, dann hab ich mir an der heißen Schokolade die Zunge verbrannt. Wieder Geschrei, dieses Mal noch lauter als vorher. Dann waren vom Schwimmen und Spielen meine Haare verklettet, irgendjemand musste das stundenlang richten und auskämmen – wiederum begleitet: von meinem Geschrei. Dann hat mein Bruder mir mein Spielzeug geklaut. Dann hab ich meinem Bruder das Spielzeug geklaut. Wieder stundenlanges Schreien, dieses Mal im Duett. Diese Arie ging dann in eine Aufführung von Hamlet über – speziell die Szene, in der die Geschwister sich gegenseitig Sandförmchen um die Ohren hauen. Zum krönenden Abschluss haben wir beide Windpocken bekommen. Und so weiter und so weiter.

Ich denke, Sie verstehen, worauf ich hinaus möchte. Multiplizieren Sie das mal vier. Kein überforderter Vater sollte mit vier Wochen Urlaub inklusive Kindern bestraft werden, das sag’ ich ganz selbstkritisch.

Wenn sie das überfordert – was man niemandem vorwerfen kann -, dann muss sie jemanden ins Amt lassen, der es schafft – und nicht die Geschicke der Bundespolitik lenken wollen. Sie hat es ganz einfach verbockt. Das Problem ist nicht ihr Urlaub, das Problem ist, dass sie ihr Amt als Ministerin nicht vernünftig hinbekommen hat. Und das ist eben kein Spaß mehr, wie sich in den Konsequenzen ihres Fehlverhaltens gezeigt hat.

Als Karrierefrau hätte sie sich hinstellen und das eingestehen müssen. Klarer Cut, jeder macht mal Fehler. Stattdessen drückt sie auf die Tränendrüse, will erreichen, dass die Leute sagen: „Oh nein, hätte ich das gewusst, natürlich war das kein Fehler!“

Drehen wir das doch mal um. Stellen wir uns vor, Anne Spiegel ist Alex Spiegel und zu Hause sitzt seine Frau mit vier Kindern. Die hat er dann in den Urlaub begleitet. Jetzt steht er vor ihnen, sagt, seine Familie brauchte den Urlaub. Was käme wohl als erstes? Ich vermute, der Vorwurf, dass die Frau für die Karriere ihres Mannes in ihrem Leben zurücktreten musste und jetzt den ganzen Haushalt samt vier Kindern übernehmen muss. Dann als Nächstes: Wie kann er, als Familienminister, seine Familie so hängen lassen. Warum hatte er überhaupt zwei Ämter, wenn seine Frau doch krank und überfordert ist?

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Anne Spiegel ruht sich darauf aus, dass jeder noch dieses traditionelle Denken intoniert hat, sodass jeder sagt: Die Kinder brauchen ihre Mutter. Wenn „Ich bin Frau und Mutter“ eine Ausrede dafür ist, seinen Job so schlecht und fahrlässig zu machen, dass dabei Menschen zu Tode kommen – dann können wir Frauen alle einpacken. Eine Ärztin, die ihre OP verpfuscht, eine LKW-Fahrerin, die am Steuer einschläft, eine Polizistin, die auf den Falschen schießt – das sind Fehler, die nicht passieren dürfen. Auch als Frau und Mutter nicht. Wenn man das anders sieht, dann dürften Mütter diese Berufe alle gar nicht erst ausüben. Gleichberechtigung ist immer auch ein zweischneidiges Schwert.

Um nochmal auf die verdrehten Rollen zurückzukommen: Erinnern Sie sich an Franz Müntefering? Als seine Frau krank wurde, trat er 2007 von seinen Ämtern als Arbeitsminister und Vizekanzler zurück.

Anne Spiegel steht für eine Generation von Politikerinnen, die alles gleichzeitig wollen: im Antritt harte Feministin, im Aufstieg super-tough, solange es gut läuft – ministertauglich. Sobald es aber zu einer Krise kommt – und dafür sind Minister ja eigentlich da -, sucht man das alte Rollenbild als Rettungsnetz, den Beschützerinstinkt für das schwache Geschlecht. Und dann ist schnell noch die Rede von einer frauenfeindlichen Hetzjagd, das konnte man ja schon bei der Causa Baerbock beobachten.

Aber wer die Gesellschaft erst durchfeminisieren will, Männer verurteilt, die Frauen die Türen aufhalten oder ihnen in den Mantel helfen – der kann nicht, wenn’s hart auf hart kommt, auf den weißen Kavalier hoffen.

Andernfalls sagt man damit: Frauen können nur Schönwetter.

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