Afrika ist eine Business-Story

Die Geschichte von Alex Perry drehen sich nicht um Savannen und Sonnenuntergänge, sondern um Silicon Savannah, Nairobis geradezu explodierende Tech-Szene. Und mehr.

Das passt gar nicht in unsere deutschen Klischees: nicht in jenes von den „Nordafrikanern“ in Europa, aber auch nicht in das gängige der „Entwicklungshilfe“.

Alex Perry ist seit fünfzehn Jahren Korrespondent für britische und amerikanische Publikationen, leitete das Afrikabüro von Time Magazine. Seine Recherchen zu Boko Haram zog der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag als Beweismittel heran. Sein neues Buch erschien im Februar im Verlag S. Fischer: „In Afrika – Reise in die Zukunft“. Aus seinem Beitrag im Schweizer Monat der Märzausgabe möchte ich vorstellen, was so gar nicht in die üblichen Bilder passt.

Von Oktober 2010 bis April 2012 „starben in Somalia mehr als eine Viertelmillion Menschen an Hunger.“ Die Somalia-Spenden-Kampagne brachte in wenigen Monaten 1,7 Milliarden Franken: „400 Pfund für jeden betroffenen Somalier.“ Perry fragt: „Wie kann es sein, dass bei so viel Geld trotzdem 258.000 Menschen verhungern?“

„Afrikaner hungern nicht einfach so“

Was er darauf antwortet, werden viele nicht erwarten: „Die Wahrheit über Hungersnöte in Afrika ist, dass sie fast nie vorkommen. Jene in Somalia ist die einzige im 21. Jahrhundert, und sie hat ganz konkrete Gründe.“

Wer damals in Mogadischu gewesen sei, wisse, dass fast keine Hilfe die Leute im Süden erreichte. Die westlichen Hilfsorganisationen wären überwiegend gar nicht an Ort und Stelle gewesen und wenn nur im sicheren Gelände des Flughafens. Die Kundigen wissen warum, sagt Perry. Die Regierungen Somalias und der USA zwangen die Hilfsorganisationen, „den Süden von den gewohnten Essenslieferungen abzuschneiden … Mit dem Ziel, Druck auf die … Terrormiliz al-Shabaab auszuüben.“ Amerikanischen Experten zufolge hätte sich die Terror-Miliz teilweise durch den Diebstahl von Hilfsgütern finanziert. Nahrungslieferungen konnten daher als Terrorismus-Unterstützung eingestuft werden. Darauf stehen nach US-Recht drakonische Strafen. Die Hilfsorganisationen protestierten, wurden daran erinnert, dass der US-Staat ihr größter Geldgeber ist und gehorchten.

Die politischen Sanktionen lösten die Hungersnot aus, sagt Perry, kritisiert, dass sich niemand für die Zusammenhänge interessierte, die meisten ausländischen Beobachter über die Sache hinweggingen. Aber am meisten stört ihn, dass das nur möglich ist, weil wir an falschen Vorstellungen von Afrika festhalten und die alte Legende glauben, „dass in Afrika halt ab und zu gehungert werde.“

Europa hat Afrika noch nie verstanden

Diese Vorstellungen leben davon, dass die Europäer von Anfang an nicht begriffen hätten, wohin sie im 15. Jahrhundert hinkamen, nämlich auf einen Kontinent mit vielen ausgeprägten und funktionierenden Kulturen. Unter anderem nennt er das „Ashanti-Reich, das sich vom heutigen Ghana bis an die Elfenbeinküste erstreckte“, wie das römische Imperium mit befestigten Straßen, Verwaltungshierarchien und einer Armee von 200.000 Mann. Europa habe Afrika vor allem auch deshalb nicht verstanden, weil auf riesigen Flächen mit verstreuten Einheiten kein individuelles Recht möglich war, sondern Gebilde mit kollektiven Rechten. Das südafrikanische „Ubuntu“, sagt Perry, drückt das aus. Es setzt dem europäischen „Ich denke, also bin ich.“ entgegen „Ich bin, weil du bist.“

Perry: „Für jeden anständigen Europäer ist Korruption des Teufels. Durch die Linse von Ubuntu gesehen, sind Korruption und Vetternwirtschaft nichts weniger als eine soziale Pflicht – ein verantwortungsbewusstes Teilen mit dem Clan.“

Perry weiter: „Aussenstehende stellen sich Afrikaner als hungernde Kinder vor. In Wirklichkeit ist der durchschnittliche Afrikaner ein anständig gekleideter, zunehmend wohlhabender junger Erwachsener. Das Durchschnittseinkommen eines Afrikaners betrug letztes Jahr 1.720 Dollar, 200 Dollar mehr als das eines durchschnittlichen Inders.“ Private Direktinvestitionen beziffern sich inzwischen auf 87 Milliarden Dollar jährlich – vor knapp zehn Jahren haben sie das Volumen der Entwicklungshilfe überholt.

Die Weltbank sagt vorher, dass sich bis 2030 der Anteil der Afrikaner in Armut auf ein Viertel halbiert. Perry: „Geht die Entwicklung weiter wie bisher, kann ein mittlerer afrikanischer Staat wie etwa Sambia bis 2050 mit einem Einkommen rechnen, wie es heute Polen erwirtschaftet, möglicherweise sogar das von Südkorea.“

Entwicklungshilfe-Industrie

Hilfsorganisationen wollten das nicht hören: „Obwohl Afrikas Volkswirtschaften boomen, vermitteln sie der Welt den Eindruck, der Zustand des Kontinents sei nie schlimmer gewesen als jetzt – und haben ihr Spendenvolumen seit der Jahrtausendwende vervierfacht. Sie können das aufgrund ihrer schieren Größe und Macht. Entwicklungshilfe ist heute eine globale Industrie mit rund 600.000 Angestellten und einem Umsatz von jährlich 135 Milliarden Dollar. Das ist nicht Wohltätigkeit; das ist Business.“

Das Geschäftsmodell der Hilfsorganisationen sieht Alex Perry in der Krise. Deshalb würde die Branche das negative Afrikabild prägen – „mit Hilfe ihrer Ressourcen und der institutionellen Schlagkraft von UNO, Weltbank, IMF, Teilen der US-Verwaltung, hunderten Entwicklunsghilfeministerien, tausenden Botschaften und zehntausenden Nichtregierungsorganisationen.“ Die Branche wolle, dass es bei dem Bild bleibt „von Auswärtigen, die Kinder retten.“ Die UNO hat zum Ziel erklärt, „absolute Armut in den nächsten fünfzehn Jahren zu besiegen … Niemand spricht das Offensichtliche aus: dass das Besiegen von Armut gleichbedeutend sein müsste mit einem Ende der Entwicklungshilfe.“

Übrigens: Dass etliche UN-Ziele statistisch erreicht wurden, lag nicht an der UNO, sondern an der tatsächlichen Entwicklung Chinas und anderer Länder in Fernasien.

Die Business-Story

„Meine Geschichten“, schreibt Perry, „drehten sich nicht nur um Hunger in Äthiopien, sondern auch um Yuppie-Nahrungsmittelhändler, die an der ersten Rohstoffbörse des Kontinents ein Vermögen machen. Sie drehten sich nicht um Savannen und Sonnenuntergänge, sondern um Silicon Savannah, Nairobis geradezu explodierende Tech-Szene. Inzwischen sind sich die ausländischen Korrespondenten vor Ort alle einig: heute ist die große Afrika-Story, wie zuvor jene in Asien, eine Business-Story.“

So atemberaubend der wirtschaftliche Aufschwung sei, weiß Alex Perry realistisch einzuschätzen, so drastisch würden die politischen Konsequenzen sein: „Ihr neuer Wohlstand verschafft Afrikanern die Macht, sich vehement gegen Leute zur Wehr zu setzen, die noch immer zu wissen glauben, was sie zu tun oder zu denken haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich durchsetzen wird: die Geschichte, wie sich eine Milliarde Menschen ihre Freiheit erkämpft.“

Das Buch von Alex Perry muss ich offensichtlich lesen.

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