Als der Monitor-Moderator merkt, dass Lucke mit sich und seinen angespannten Nerven beschäftigt ist, beginnen die Augen zu leuchten und Georg Restle wird immer ausgelassener – fast fröhlich, die Wangen röten sich unter dem Dreitagebart.
Sandra Maischberger bleibt 2019 und nach der Sommerpause beim neuen kastrierten Format ihrer Talksendung: Also noch weniger Möglichkeiten für die einzelne Position, verständlich zu werden, noch weniger Chance für eine Debatte. Ja, schade, aber am Ende auch egal, ob die Protagonisten im Rund sitzen oder der Reihe nach abgefrühstückt werden und obenauf noch eine Art Richtertisch als feste Institution dem Format vorsteht, wo drei Journalisten oder andere Medienschaffende gleich mal eine Einordnung der Verhandlungsmasse vornehmen sollen, bevor der Zuschauer auf die Idee käme, dass eigenständig leisten zu wollen.
Was kann trotzdem spannend werden? Bernd Lucke kommt frisch verjagt von der Hamburger Uni zu Maischberger. Der Moderator von Monitor, Georg Restle, ist ebenfalls geladen. Die wandelnde Unsinnsmaschine des deutschen Fernsehens hat ähnlich sendungsbewusste freikirchliche Charaktereigenschaften wie Lucke – beide erschienen irgendwie nerdig, so, als hätten sie es in der Grundschule nicht wirklich leicht gehabt und schleppten nun die Narben aus der Buddelkiste bis heute mit sich herum – veranlagungstechnisch wäre es also nicht einmal ein Wunder, die Herren würden ganz gut miteinander auskommen: Lucke könnte als Wissensmaschine brillieren und Restle dann mit tollkühner Klappe dieses Wissen verkünden – aber das passiert in einer Parallelwelt. Also los geht’s mit „Maischberger die Woche“.
Am Wichtigtuertresen der Journalistenjury („sie erklären, hinterfragen und diskutieren“) sitzen Nikolaus Blome, Mickey Beisenherz und Ferdos Forudastan, also ein Noch-Springer-Journalist, ein Nischen-TV-Moderator (Telekom-Magenta-TV) und die Innenpolitik-Chefin der Süddeutschen, die gleich mal eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zitiert und damit von der ersten Minute also ihre kleine Krawallbürste aufgeklappt hat. Bertelsmann-Unsinn sollte man eigentlich nicht in die Arena werfen, wenn man noch ein paar vernünftige Argumente auf Lager hat.
Vor Lucke und Restle soll von diesem Dreigestirn erst einmal die GroKo durchleuchtet werden. Kann man hier vorspulen? Leider nein. Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist nicht Youtube. Also schauen wir ein bisschen zu: Blome wirkt immer wie in Erwartung einer Ohrfeige – Jakob Augstein hatte ihn vor Jahren als Sidekick ausgewählt – dafür ist er eine gute Wahl, es gibt sie tatsächlich, diese Zweite-Reihe-Menschen. Nicht unsympathisch, wirkt sogar irgendwie bescheiden bei allem Wichtiggedöns-Lametta drumherum.
Was für ein verlaberter Einstieg hin zum AfD-Gründer und dann AfD-Aussteiger Bernd Lucke und dem öffentlich-rechtlichen Moderator Georg Restle – die sich vielleicht schon in der Garderobe an den Haaren ziehen, sich beißen und kratzen? Aber noch hört man kein Gejaule aus den Katakomben. Was für eine nervige Runde nach 23 Uhr. Wer will hier freiwillig aufbleiben und weiter zuhören? Wie stark ausgeprägt muss die Insomnia sein, um so einen seichten Zeitfressermist zu ertragen? Wer hier noch nicht pennt, muss leiden.
Die Runde bespricht eine Große Koalition, der anzugehören heute schon das Etikett einer Mitschuld an den Verwerfungen im Land bedeutet. Aber man quasselt sich durch die Minister, als ginge es um den Vergleich von Quartettkarten oder Klebebildchen aus der Serie „GroKo-Bundesregierung“.
Hochbezahlte selbsternannte Eliten auf Stammtischniveau beim Versuch, sorglos zu wirken, wo die Sorge, das Falsche zu sagen zum bestimmenden Moment geworden scheint: Also labert man halt so drumherum. Mickey Beisenherz ist dabei besonders nervig, weil er noch lustig dazu sein kann – Nikolaus Blome ist sein völlig bedeutungsloser Auftritt da sichtbar peinlicher. Sympatisch also immerhin das.
Aber dann wird’s doch noch interessant, als Blome die Behandlung von Lucke an der Hamburger Uni für einen echten Skandal hält, während Lucke und Restle eingeblendet werden, die längst nicht mehr in der Garderobe Haare ziehen, sondern einträchtig beisammen sitzen, sogar Ton in Ton. Die Ruhe vor dem Sturm?
Nun fangt schon an, weg jetzt bitte mit dieser öden Journalisten-Tankstelle.
Wie groß muss die Enttäuschung bei Bernd Lucke sein, wenn man sich so oft von der Partei distanziert, die man einmal gegründet hat und nun doch von links bepöbelt und auch noch aus dieser neuen Mitte der Gesellschaft vertrieben wird? Hat sich die jahrelange Distanzeritis nach dem Austritt aus der AfD am Ende doch nicht ausgezahlt für ihn?
„Herr Lucke kann und darf in Hamburg weiter lehren“, befindet Georg Restle mal ganz mutig. Aber was auch sonst? Allerdings: Als was sitzt Restle dann hier, wenn nicht als Anwalt der randalierenden Linksradikalen? Den Aufruhr kann Restle tatsächlich verstehen, schließlich sei Lucke der Wegbereiter des Rechtsextremismus. Aha. Die Behauptung, dass Restle selbst einer der ambitoniertesten Wegbereiter von Extremismus ist – würde das hier den Rahmen der Sendung sprengen? Dass die Radikalisierung bestimmter rechter Kreise auch Folge des unsäglichen Umgangs schon von Beginn an und schon mit der Euro-kritischen Lucke-AfD war? Verschwörungstheorien?
Eine Tribunalsituation, wie wir sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schon zu oft gesehen haben. Lucke in der Verteidigung, Restle und Maischberger bestimmen hier nach Belieben die Intensität der peinlichen Befragung des Hamburger Professors. Zuckerbrot und Peitsche für einen Konvertiten, der wohl am liebsten die Uhr fünf Jahre zurückstellen würde. Das wollen in Deutschland allerdings auch immer mehr Menschen. Manche wollen sogar zurück hinter die Kanzlerschaft Merkel, aber auch der 23. Oktober 2019 ist kein Wünsch-dir-was-Tag. Der politische Modus ist auf Gegenwart gestellt, Zukunftsfragen werden weiter tunlichst ausgeklammert.
Gäbe es solche Charaktere wie Georg Restle nicht, wer käme auf die Idee, so jemanden zu erfinden oder sich gar für die heimische Runde zu wünschen? Traurig. Trauriger, wenn Sandra Maischberger noch meint, Restle unterstützen zu müssen, wo der mal ein stückweit an Lucke abprallt.
Schlimm: Restle distanziert sich zwar von den Angriffen gegen Lucke in Hamburg, gehört aber zu denjenigen öffentlich-rechtlichen Protagonisten, die genau diese Angriffe gegen die Meinungsfreiheit in ihrer täglichen Arbeit befeuern. Wie viel Glück hatte Bernd Lucke eigentlich, dass er in Hamburg körperlich unversehrt aus der Uni geleitet werden konnte?
Wenn also eine Allensbachstudie sagt, dass sich eine Mehrheit der Deutschen nicht mehr traut, ihre Meinung zu äußern, woran liegt das dann? An der verschärften Meinung? An Menschen wie Bernd Lucke oder an solchen öffentlich-rechtlichen Meinungsmachern, wie Georg Restle einer ist?
Maischberger bringt ganz vorsichtig noch mal in einem Versuch der Ehrenrettung ihrer selbst die Allensbachstudie und die Shellstudie über Jugendliche zur Sprache, die doch beide befunden hätten, dass sich viele Menschen tatsächlich nicht mehr trauen, öffentlich ihre Meinung zu sagen. Für Restle liegt das alles am Internet, an den harten Reaktionen auf Meinungsäußerungen im Internet.
Ja, das muss man sich erst einmal trauen, so zu tun, als hätte es die viel gewichtigeren Diffamierungen, Diskreditierungen und Denunziationen Restles gegen Andersdenkende über das Zwangsgebührenfernsehen nie gegeben. Frechheit siegt? Nein, einfach nur unredlich. Und hier zu intervenieren, ist leider eine zu große Aufgabe für den von Hamburg kommend angeschlagenen Bernd Lucke, der gerade genug mit sich selbst zu tun hat.
Dann wird eine ganze Weile nicht mehr mit, sondern über Bernd Lucke geredet. Lucke mag nicht mehr. Aber warum geht er denn überhaupt hin? Was war seine Idee, was dort passieren soll?
„Herzlichen Dank, Bernd Lucke .. ähm .. das sie hier unser Gast waren.“ Immerhin hat Maischberger ansatzweise ein schlechtes Gewissen („ähm“), diese Gerichtsverhandlung über ein Opfer von Gewaltandrohungen und Beleidigungen an der Hamburger Uni noch als adäquate Behandlung eines Gastes zu verstehen.
Und dann wird dieser so traurig einseitige wie bestellt wirkende Schlagabtausch noch einmal am Tresen durchgehechelt. Aber an der Stelle soll hier Schluss sein, auch die weiteren Themen des Abends wollen wir auslassen und nachberichten, sollte doch noch etwa Außergewöhnliches passieren aus dieser so gewöhnlichen öffentlich-rechtlichen Fernsehfehlveranstaltung.
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Nicht vorzustellen, was bei den Öffentlich Rechtlichen los wäre, wenn ein Professor mit linker Gesinnung von rechtsextremen Kravallmachern gestört werden würde.
Ich frage mich, welche Meinung man in 20 Jahren noch haben darf, ohne angeprangert und geächtet zu werden.
Die Lust AfD zu wählen ist bei mir nach solchen Sendungen am größten.
Ja. Ich finde es faszinierend, und auch erschreckend, wie in mir ältlichem, weiblichem, untrainiertem, friedfertigem aus Feigheit und Einschätzung der schlechten Chancen, also gänzlich unkriergerischem Menschen die Aggressionen anwachsen und anwachsen. Meine Reaktion wird eher Physik sein, also eher explosiv und ungeplant. Nicht so sehr das wohltemperierte Auge um Auge der Bibel. Ich war nahe daran an dem Tag, als meine Mutter gestorben war im September und mein Bruder und ich gerade aus dem Krankenhaus kamen. Ein eher dunklerer und neuerer Mitmensch in der Berliner U7 brabbelte mit Bierflasche in der Hand besoffen vor sich hin, schwankte dauernd hinter mir,… Mehr
Danke, Herr Wallasch, für Ihre Beschreibung, Ihren Zorn und Ihre Frustration angesichts dieser undurchdringlichen Selbstgerechtigkeit der ÖR.
Mehr kann ich nicht schreiben, ich möchte nicht, dass Sie kürzen müssen-
Bei Lucke ging es auch um mangelnde Meinungsfreiheit. Die gibt es tatsächlich. Wer mit seiner Meinung nicht im Mainstream liegt und an einer Diskussionsrunde teilnimmt, schaut erst mal, ob die Runde offen ist oder ihre eigene Moral mit großen Löffeln gegessen hat. Wer feststellt, dass er in der Runde mit Argumenten nicht landet, der hält sich eben zurück. Hatte Lucke bei Maischberger Meinungsfreiheit? Hr. Restle unterbrach ihn ständig. Fr. Maischberger ließ das zu. Auf seine Argumente wurde nicht eingegangen, stattdessen ständig neue, auch falsche, Vorwürfe hervorgeholt. Bei einem Kommentar in meiner Tageszeitung mit vollem Namen und Wohnort überlege ich genau,… Mehr
Hab mir die Sendung gestern in der Mediathek angeschaut. Ich empfand Prof. Lucke gar nicht so nervös, mit sich selbst beschäftigt und in die Ecke gedrängt. Seine Konter waren sprachlich sehr genau formuliert. Die Attacken von der anderen Seite wirkten dagegen künstlich und teilweise unbeholfen (Shell-Studie). Man merkte auch, wie schwer es dem ARD-Mann fiel, den Skandal an der Uni Hamburg auch nur halbwegs als solchen einzuräumen. Da wurde seinerseits in Wahrheit gar nichts verurteilt. Die intellektuelle Überlegenheit des Professors war während der gesamten Gesprächszeit recht auffällig. Prof. Lucke kam im Gegensatz zu Restle gänzlich ohne Kraftausdrücke (z.B. Populismus) aus.… Mehr
Die wiederholte Pöbel-Inszenierung gegen Lucke im Hörsaal zeigt deutlich, dass sich die Akteure einer Rückendeckung erfreuen oder besser gesagt, im Auftrag handeln. Ob Herr Lucke nun in der Runde der „Anständigen und Demokraten“ auf Beistand und erwartbare Empörung angesichts der in den heiligen Hallen der Wissenschaft erfahrenen gewalttätigen Verwahrlosung gehofft hatte? Was hatte er den jungen Leuten eigentlich angetan, dass sie wie Furien über ihn herfielen? Schließlich wollte er keinen Parteitag zelebrieren oder ihre Zukunft zerstören! Das eisige Schweigen der ehrenwerten Gesellschaft im Studio (Ausnahme BILD), auch zu den süffisanten Schuldzuweisungen des selbsternannten Inquisitors von der Zwangsgebühreneinzugsstelle war nicht weniger… Mehr
Restle, der Glöckner von Adlershof: Mit seiner Art dreister Agitation statt Berichterstattung, hätte er auch im DDR Fernsehen nassforsch erklärt, warum in der DDR Meinungsfreiheit herrscht und jeder, der dagegen polemisiere, nur dem Klassenfeind nutze.
Solche Art des geistigen Stalinismus hat auch nach Einschätzung von Sloterdijk habituell überlebt und macht gerade wieder Karriere.
Das sagt Restl unwidersprochen dreist zu einem, der inzwischen
2x mit Gewalt am Reden gehindert wurde.
Und dabei wohl nicht einmal politische Tatsachen vermitteln wollte.
Schade, wenn so ein „Verstand“ nur Denken in Facetten zulässt.
Und dumm, wenn man das so auch noch öffentlich zur Schau stellt.
Der Schlaueste ist Lucke aber auch nicht. Jeder der sehen und hören kann die letzten Jahre wusste doch was im ÖR auf ihn zukommt. Kann ich nicht verstehen, dass er da hingeht, wirkt schon masochistisch.
Der Mann kneift nicht. Das gefällt mir. Und er spricht die Dinge sehr präzise an (ist eben kein Berufspolitiker). Das hat mir an ihm schon immer gefallen. Kann mir vorstellen, dass seine Vorlesungen sehr interessant und lehrreich sind.
Soll man, AfD-nah, mit Bernd Lucke Mitleid haben oder für seine Position eintreten? Wenn ich das verneine, dann nicht, weil ich ihm seinen Auszug aus de AfD verübelte, auch nicht so sehr, dass er trotzdem sein EU-Mandat behielt, und auch nicht, dass er seitdem eher konfrontativ zur AfD auftritt – aber unklar war bei ihm von Anfang an, was daran gekränkte Eitelkeit und tatsächlicher politischer Dissens war. Und wie „rechts“ er überhaupt war. Doch das ist aus meiner Sicht ein generelles Problem im deutschen Westen: Rechts von Lucke kommt ganz lange nichts, danach aber meist gleich Rechtsradikale und Antisemiten. Jeder… Mehr
Kurz gesagt: Der Klügere gibt solange nach, bis er der Dumme ist?!
Allein der Name lässt hoffen.