Weihnachten mit Dampf

Lehrer Bömmel aus Heinrich Spoerls Roman „Die Feuerzangenbowle“ wusste es auch nicht so genau: „Also, wat is en Dampfmaschin?“ Wer sich diese Frage beantworten und einen Kindheitstraum verwirklichen will, muss eine Dampfmaschine erwerben.

Schon als Kind stand ich staunend im Spielwarengeschäft vor einer kleinen Dampfmaschine. Ich stand dort jedes Jahr, und je näher Weihnachten kam, desto länger wurden die Zeiten vor der kleinen Maschine.

Sie hatte einen Kessel, einen Zylinder, ein Schwungrad und noch ein paar Leitungen mit unwiderstehlichen Ventilen. Wenn man das Schwungrad drehte, dann bewegte sich ein kleines, karussellartiges Gebilde. Ich konnte stundenlang davorstehen, das Ventilgewicht anheben, mit dem Schwungrad über den Federriemen das kleine Karussell antreiben und zusehen, wie sich die zwei Pleuelstangen versetzt hin- und herbewegten.

Aber die kleine Maschine war teuer. Sehr teuer sogar: mehrere Hundert Mark. Nicht dran zu denken, so eine jemals selber zu besitzen. Und jeder versicherte mir, wie unsinnig so eine Konstruktion doch war, die nichts konnte, als sich selbst anzutreiben. Dass sie eigentlich immer nur im Regal stehen und einstauben würde. Das war natürlich richtig und vernünftig, und so vergingen die Jahre ohne Dampfmaschine. Irgendwann war die Kindheit vorbei und damit auch die Berechtigung, sich eine Dampfmaschine zu wünschen. Dann machte ich eines Tages zwei Entdeckungen: Erstens, ich wurde Vater, und zweitens, die Dampfmaschine wurde immer noch hergestellt, und zwar praktisch unverändert. Ich verband beide Erkenntnisse zu einem Entschluss und war kurz darauf Besitzer eines solchen Wunderwerks. Zu Weihnachten wurde sie angeworfen.

Männer, die auf Pleuel starren

Das Wasser einzufüllen ist nicht einfach, aber schließlich ist das auch keine Maschinensimulation auf dem iPad, sondern ein Gerät aus Fleisch und Blut, oder welches Material war das doch gleich? Mein Großvater hatte mir gezeigt, wie man Tüten aus Papier dreht und wie man diese auch als Trichter verwenden kann. Jetzt treten die ersten Zuschauer dazu, aber sie sind zu früh.

Nach dem erfolgreichen Einfüllen des Wassers kommt eine Ladung Esbit in die Brennkammer, wird entfacht und unter den Kessel geschoben. Dann folgt gespannte Erwartung. Prüfen, ob das Ventil zu ist. Ob das Gewicht richtig hängt. Männliche Anwesende werden über Generationen hinweg magisch angezogen. Ob das Wasser schon anfängt zu brodeln? Ja: kleine Bläschen. Ventil auf. Das Schwungrad dreht sich eine halbe Drehung und bleibt sofort wieder stehen. Die Frauen greifen sich an den Kopf und verlassen den Raum, die männlichen Teilnehmer kommen näher, auch die Babys.

Offenbar noch zu wenig Druck, also das Ventil wieder zu. Und was macht denn dieses zweite Ventil daneben? Ist das Gewicht für das Überdruckventil auch wirklich richtig eingehängt?

Jetzt das Ventil noch einmal auf. Meine Güte, der Kolben steht ja im Totpunkt, das kann so nicht funktionieren! Man muss das Schwungrad drehen, dann passiert bestimmt etwas. Und das tut es dann auch. Das Rad springt ohne weitere Vorwarnung an. Nicht langsam wie eine alte Dampflock, sondern wie eine Nähmaschine auf Esbit. Die Maschine rattert und zischt, das Wasser brodelt, es riecht nach einem Gemisch aus Trockenbrennstoff und überhitztem Metall, und man kann mit dem Finger die Kraft am Schwungrad spüren. Wenn man zu viel heizt, dann aktiviert das die Dampfpfeife, was zugleich den Dampfdruck senkt und die Maschine etwas langsamer werden lässt. Jetzt können auch die Frauen nicht mehr widerstehen und wollen das Schauspiel sehen. Aber sie kommen erst, als der Druck schon langsam abnimmt und die Drehzahl kleiner wird. Es dauert nicht lange, bis das Brodeln merklich schwächer wird und das Rad schließlich zum Stillstand kommt.

Wenn man nun das Ventil zudreht, etwas wartet und es wieder aufdreht, dann flammt das Rattern noch einmal kurz auf, aber bald geht es endgültig zu Ende.

Faszination für alle Generationen

Das ist der Zeitpunkt, an dem es still wird und alle melancholisch über die Dinge im Leben sinnieren, die unwiederbringlich vorbeigegangen sind. Dann lässt man die Maschine abkühlen und geht zum nächsten Programmpunkt auf dem Weg bis zur Bescherung über. Die kleine Dampfmaschine läuft jedes Jahr zu Weihnachten, obwohl ihr Kauf schon ewig her ist. Von wegen unsinnige Maschine. Seit dem Kauf sind Autos, Tablets, Kameras gekommen und gegangen. Aber die Dampfmaschine ist geblieben und mit ihr die generationenübergreifende Faszination zu Weihnachten. Glauben Sie mir: Da kommt kein Räuchermännchen mit.

Soll ich Ihnen etwas verraten? Die Maschine gibt’s immer noch zu kaufen.


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick Ausgabe 01/2018 erschienen >>

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Kommentare ( 20 )

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B. Krawinkel
6 Jahre her

Ein schöner Bericht! Und so, wie dem Autor, gehts mir auch. Selbst nie zu so einer Maschine gekommen, sinne ich seit Monaten darüber nach, meinem Sohn eine zu schenken. Obwohl der gerade erst drei geworden ist. Macht aber nichts….schließlich sollen Kinder ohnehin nicht unbeaufsichtigt mit solcher Technik gelassen werden. Da muß man halt dabei bleiben. Jim Knopf steht als DVD schon eh im Regal und wird auch gerne ohne Kind konsumiert, wenn mir Merkel und Co. den Verstand rauben wollen. Seltsamerweise hat mein Filius schon jetzt mehr Affinität zum Dampf als ich seinerzeit, obwohl mich in meiner Kindheit die an… Mehr

Franz Reinartz
6 Jahre her

Mit meiner damals noch kleinen Tochter habe ich aus einem Metallbaukastensortiment ein Riesenrad gebaut, das wir mittels Dampfmaschine angetrieben haben.
Sie hat Maschinenbau studiert.

Friedrich Rückriem
6 Jahre her
Antworten an  Franz Reinartz

Haargenauso war´s bei mir und meiner Tochter! Die Dampfmaschine und Metallbaukasten sind Spielzeuge meines Vaters, Jahrgang 1927.

Hugocmeier
6 Jahre her

Die Dampfmaschine ist der Beginn der breiten Industrialisierung Deutschlands und der erste kommerzielle Einsatz war im Bergbau im Ruhrgebiet, gebaut durch Franz Dinnendahl, der entsprechend im Bergbaumuseum in Bochum gewürdigt wird. Das faszinierende an einer Dampfmaschine ist die Allgemeinverständlichkeit des Systems, es wird im Kessel Druck aufgebaut und dosiert über Kolben in Zylindern verbraucht, indem es in kontrollierbare Kraft umgewandelt wird. Meine Dampfmaschine habe ich mit dem Bunsenbrenner vorgeheizt und danach nur noch mit Espit auf Temperatur und Druck gehalten, sie steht heute noch im Keller und kommt nur noch selten zum Einsatz. Leider teilt mein Sohn diese Leidenschaft nicht,… Mehr

Reiner Ernst
6 Jahre her

Unvergessen, das Konglomerat von Dampf, Öl und Esbit in der Nase!
Wurde eben um 60 Jahre jünger! (Leider nur für einen kurzen Moment.)
Das Ding „lief wie die Feuerwehr“. Erinnere mich, dass das über die Transmission angeschlossene Hammerwerk mit der gelieferten Drehzahl überfordert war. Die Hammer erreichten nicht mehr das zu bearbeitende Teil, sondern tanzten in der Luft . . .

Wolfsohn
6 Jahre her

Rieck – Ich bedaure, Sie auf einen Fehler aufmerksam machen zu müssen: Leher Bömmel wusste ganz genau, wat en Dampfmaschien is‘: „Dat is enne jroße schwatte Kasten mit zwei Löcher. Durch dat eine kommt der Dampf ‚rein, dat andere kriejen wa später….“ Zu unser aller Bedauern haben wir den Zeitpunkt, an dem Herr Bömmel seine Ausführungen fortgesetzt hat, nicht mitbekommen, wejen de Jungens mit de fiese Charakter!

Frank Zwanziger
6 Jahre her

In der Stadt, in der ich lebe, gibt es ein Industriemuseum, das seit 21 Jahren jeden Herbst die sog. Dampfmodelltage veranstaltet. An jeweils zwei Wochenenden stellen Dampffreunde aus ganz Süd- und Mitteldeutschland sowie Österreich ihre Modelle aus und lassen diese auch laufen.
Ich war sicher nicht auf allen Dampfmodelltagen aber besonders viele verpasst, habe ich auch nicht.
Es ist absolut faszinierend, welche technischen Meisterleistungen sich einige der Tüftler immer wieder ausdenken. Tolles Hobby, das leider langsam zusammen mit den Protagonisten ausstirbt.

Hugo C. Meier
6 Jahre her
Antworten an  Frank Zwanziger

Leider ereilt diese Schicksal nicht nur die Freunde des Dampfes oder der Modelleisenbahn, es trifft auch die Briefmarkenfreunde, die Münzensammler, die Modellflieger und die Slot car Freunde, die Commodore 64 Liebhaber, die Pferde- und die Jagdfreunde…………einige Hobbys kommen, andere gehen, das nennt man Entwicklung gepaart mit Fortschritt. Dass Tradition gepflegt werden muss damit sie nicht verschwindet lernt man erst sehr viel später zu schätzen.

Spruance
6 Jahre her

Ein tiefes Trauma, wirklich. Ich bin dampfmaschinenlos aufgewachsen, obwohl ich mir an jedem Schaufenster die Nase plattgedrückt und jahrelang in Katalogen die Spielzeugwelt durchforstet habe. Mittlerweile besitze ich epochale Werke wie „Die Dampflokomotive“, F.Meineke/Fr.Röhs, Steiger Verlag 1982/82, Exemplar 660 von 700, aber keine Modelleisenbahn und immer noch keine Dampfmaschine. Manche Dinge kann der Mensch nicht nachholen – er muß lernen, mit dem Mangel zu leben. All denen, die schon in der Jugend das Glück hatten, sich die Finger am Dampf zu verbrühen, gilt mein wehmütiger Gruß. Es war (und ist) eine faszinierende Technik!

Franz Reinartz
6 Jahre her
Antworten an  Spruance

Sie können immer noch starten! Es gibt noch Hersteller in Deutschland und Großbritannien. Bei den Online-Auktionshäusern und -kleinanzeigenmärkten finden Sie auch gebrauchte Schätze in allen möglichen Preiskategorien. Meine Dampfmaschinen und -modelle und Antriebsmodelle, die ich heute (wieder) besitze, habe ich so erworben, darunter wieder ein Modell, das mir von meinem Vater in den 1960ern zu Weihnachten geschenkt worden war und das ich als Jugendlicher zerstört hatte. Zwei Modelle habe ich als „Ruinen“ vom Flohmarkt getragen und wieder restauriert, da der Lüdenscheider Hersteller praktisch alle Ersatzteile im Katalog hat oder auf Nachfrage zur Verfügung stellen kann bzw. auch Reparaturen ausführt. Nachholen… Mehr

Ronaldo
6 Jahre her

Ich sage nur: Industrie 1.0. Und die kann man hier schön haptisch begreifen.

Und wer die Industrie 1.0 nicht versteht, wird auch 2.0, 3.0 und 4.0 nicht verstehen…

Dampfturbinenkesselmaschinist
6 Jahre her

Nach wie vor hartnäckig hält sich in Historikerkreisen ein Gerücht. Friedrich der Große hätte von der Dampfmaschine gehört und ihre Bedeutung für künftige Generationen Preußens sofort erkannt. Vielleicht teilte er aber auch einfach nur die Faszination und den Spieltrieb des Autors und auch die meine, wer weiß das schon? Da die Briten so eine unwälzende Erfindung natürlich nicht freiwillig und schon gar nicht an so einen weitsichtigen König herausgerückt hätten, musste er einen Plan aushecken um das Ding zu klauen. Ob ihm das gelungen ist oder nicht, weiß die Historikergemeinde leider nicht eindeutig zu berichten. Ich persönlich glaube aber, er… Mehr

Zuhörer
6 Jahre her

Danke für ihr schöne Geschichte, ich möchte sie zu Anlass nehmen etwas zu erweitern. Noch in den 60iger Jahren gab es von der Firma Kosmos einen Experimntierkasten unter der Bezeichnung „Technikus“, Kinder welche sich für Technik interessierten konnten konnten u.a. aus Multifunktionsteilen eine eigenständige Dampfmaschine zusammenbauen. Heute undenkbar, weil vieeel zu gefährlich.

https://www.youtube.com/watch?v=69tpDgKHckY