Im Eifer des Feiertagsgefechts

Während das RKI routinemäßig vor Gesundheitsgefahren beim Fleischfondue warnt, kramen wir unbeeindruckt das verstaubte Fondue-Set aus dem Schrank oder holen den ranzig muffelnden Raclette-Ofen aus dem Keller. No risk no fun! Von Georg Etscheit und aufgegessen.info

IMAGO / Depositphotos

Alle Jahre wieder warnt das Robert Koch-Institut (RKI) für Volkshygiene, Quarantäneknast und Impffolgenverschleierung, nein, diesmal nicht vor Corona, sondern vor den Gefahren des Silvesteressens. Ein zünftiges Besäufnis zum Jahreswechsel ist damit nicht gemeint, sondern der schöne und verbreitete Brauch, Verwandte und Freunde am Silvesterabend zu einem geselligen Fondue- oder Raclette-Event einzuladen.

Eine nicht mehr ganz so neue Studie habe ergeben, dass das Risiko für bestimmte Durchfallerkrankungen durch den Verzehr von Fleischfondue oder Raclette mit Fleisch gesteigert sei. „Vor allem Hühnerfleisch ist hier ausschlaggebend und stellt eine potenzielle Erkrankungsgefahr dar.“ Der Grund: Rohes Hühnerfleisch sei häufig mit sogenannten Campylobacter-Bakterien verunreinigt.

Nun werde das Fleisch bei Fondue und Raclette zu Weihnachten in der Regel nicht roh gegessen, heißt es zutreffend in dem Bericht, wobei ich mich frage, was Fleisch bei einem Raclette-Essen überhaupt zu suchen hat. Jedenfalls würden die Stücke „im Eifer des Feiertagsgefechts“, welch nette Formulierung, „auch mal mit den bloßen Fingern berührt oder mit derselben Gabel, mit der auch gegessen wird“. Außerdem stehe das Fleisch häufig offen auf dem Esstisch und könnte so mit anderen Lebensmitteln oder Getränken in Berührung kommen. Kurzum: Kontakt mit den Bakterien könne nicht immer ausgeschlossen werden.

Das stimmt, Kontakt mit Bakterien und Viren kann im Verlaufe eines Menschenlebens und vor allem beim Essen nicht immer ausgeschlossen werden. Wenn man das versuchen würde, müsste man nicht nur auf Fondue oder Raclette verzichten, sondern aufs Leben überhaupt. Ich selbst würde übrigens ein herzhaftes Käsefondue immer einem Fleischfondue – egal ob à la bourguignonne (in Öl) oder à la chinoise (in Brühe) – vorziehen, das ich mehr für eine Kochshow und ein Geduldsspiel als ein Essen halte.

Für ein echtes Schweizer Käsefondue lässt man zu gleichen Teilen geriebenen Emmentaler und Greyerzer von der würzigen Provenienz mit einem nicht zu Säure haltigen Weißwein, die Schweizer nehmen traditionell den aus der Chasselas-Traube gekelterten Fendant, in einem mit Knoblauch ausgeriebenen, irdenen Gefäß (Caquelon) schmelzen, bindet die Masse mit etwas Speisestärke, die man zuvor in Kirschwasser aufgelöst hat. Noch ein Spritzer Zitronensaft, Muskat und schwarzen Pfeffer aus der Mühle dazu, fertig.

Die zähe Masse blubbert dann auf einem Rechaud (Bitte kein Stövchen mit Kerze!) vor sich hin, bis man sich in der gefräßigen Gruppe, bewaffnet mit zweizackigen Fonduegabeln (Feiertagsgefecht!), auf denen Weißbrotstücke aufgespießt sind, zum Käse verkrusteten Boden („Großmutter“) vorgearbeitet hat, der für Kenner, obwohl ganz unten gelegen, den Gipfel des Genusses darstellt.

Vorteil eines Käsefondues gegenüber einem Fleischfondue ist, dass man zuverlässig satt wird, der Nachteil, dass man mit schwerem Magen womöglich eine durchwachte Nacht erleben muss, wobei das an Neujahr zugegebenermaßen nicht so ins Gewicht fällt. Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, diesmal unter Leitung des italienischen Altmeisters Ricardo Muti, kann man auch im leicht sedierten Zustand an sich vorbeirauschen lassen.

Wenn es doch ein Raclette sein soll, sollte man sich zunächst einmal um einen wirklich würzigen Raclettekäse aus der Schweiz oder aus Frankreich bemühen. Hernach gilt es, den ranzig riechenden und mit Staub verkrusteten Racletteofen aus dem Keller zu holen und penibel zu reinigen, wobei man froh sein sollte, wenn noch alle Pfännchen am Platz sind. Weil ich die unsauberen Gerätschaften hasse, verzichte ich in der Regel auf ein häusliches Raclettessen. Es sei denn, man investiert in eine leichter zu reinigende Profimaschine, in die man aber mindestens einen halben Laib einspannen muss. Die Gesellschaft sollte also groß genug sein, für ein Dinner for one taugt eine solche Apparatur nicht.

Bei dieser Art, ein Raclette zuzubereiten, ist es unerlässlich, eine kundige Person mit der ständigen Überwachung des Schmelzvorgangs zu betrauen. Während die Oberfläche des Laibes langsam weich wird, sollte man immer wieder mit einer langstieligen Gabel leicht in die Käsemasse hineindrücken oder -stechen. In regelmäßigen Intervallen wird dann die leicht blubbernde Masse mit einem Raclettemesser abgestrichen, wobei man die knusprigen Ränder nicht vergessen sollte, die von Kennern besonders geschätzt werden. Das französische Wort „racler“ heißt „kratzen – daher der Name der Speise. Dazu gibt’s Mixed Pickles und kleine Pellkartoffeln mit oder ohne Schale, aber auch Stangenweißbrot und Rohkost sind eine mögliche Beilage, wobei die Säure der Pickles ein notwendiges Gegengewicht zur Fettdröhnung des Käses darstellt.

Und natürlich: (Weiß-)wein zum Abwinken. Und hernach einen Verdauungsschnaps.


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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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Deutscher
2 Tage her

Was wären wie nur ohne das RKI?
🤭

verblichene Rose
1 Tag her
Antworten an  Deutscher

Das sehe ich ganz entspannt und frage mich daher nur, wie dieses Institut heute wohl ohne Robert Koch heissen würde 😉
K(arl)L(auterbach)I?