Ein Hoch auf die Bratwurst im Brötchen

Deutschen wird gerne die Fähigkeit zum Genuss abgesprochen. Dabei bringt die deutsche Küche Lebenslust nur auf den Punkt - ohne albernen Schnickschnack. Eine Selbstbetrachtung. Von Ingo Swoboda und aufgegessen.info

picture alliance / augenklick/firo Sportphoto

Musterschüler sind in der Regel nicht sonderlich beliebt, wer wüsste das besser als wir Deutschen. Alte preußische Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung und Reinlichkeit verwechseln viele unserer Nachbarn mit krankhafter Arbeitswut, Rechthaberei und engstirniger Borniertheit. Dabei garantieren gerade diese Tugenden den deutschen Werktätigen ihren Platz an der Sonne, der ihnen im wohl verdienten und tarifvertraglich garantierten Urlaub zusteht.

Doch auch am Pool in fremden Ländern muss die bewährte Hausordnung deutscher Freibäder Anwendung finden, um im lotterhaften, disziplinlosen Ausland halbwegs die Ordnung aufrecht zu halten. Es gilt die an vielen Strandabschnitten erprobte Devise: wo ein deutsches Handtuch erst einmal liegt, kommt kein anderes mehr hin.

Denn während sich deutsche Badegäste in aller Herrgottsfrühe ihre Pool-Position sichern, lümmeln die Vertreter anderer Nationen noch in den Betten herum oder vergeuden wertvolle Zeit am Frühstücksbüffet. „Morgenstund’ hat Gold im Mund“, wer zu spät kommt, der darf eben nicht in der ersten Reihe liegen. Im Prinzip ist die deutsche Welt gerecht. Aber der Gerechte muss leiden, so steht es schon in der Bibel und so nehmen wir es klaglos hin, dass uns die Welt fast einstimmig die Fähigkeit zu unbeschwerter Lebenslust und damit auch zum Genuss abspricht.

Fehlt uns etwa die Lebenslust, nur weil die deutsche Küche die Nahrungsaufnahme auf den Punkt bringt? Ohne aufwendig inszenierte Schnörkel und überflüssigen Schnickschnack? Der Kritik an der angeblichen deutschen Lebens-un-lust schwingt immer eine gehörige Portion Neid mit, die uns trotz hoheitlich verordneter EU-Völkerverständigung aus dem befreundeten Ausland entgegenschlägt.

Immer wieder sind wir dieser gierigen Verfolgerschaft ausgesetzt, die einfach ignoriert, dass die größten kulinarischen Errungenschaften des modern life aus dem Land der Dichter und Denker kommen. Denken wir nur an den bis heute ungebrochenen Siegeszug der Tütensuppen und Brühwürfel, nicht zu vergessen die international omnipräsenten Frankfurter Würstchen. Auch die erfolgreichste Restaurantkette der Welt hat ihr Signature Dish nach einer hanseatischen Großstadt benannt. Da staunen selbst die Sterne verwöhnten Franzosen. Nach ihrer Hauptstadt sind lediglich schlüpfrige Hilfsinstrumente zur Empfängnisverhütung benannt – und das auch nur im ordinären Volksmund.

Dagegen stehen Frankfurter und Hamburger für den Triumph des deutschen Fleischerhandwerks, Schulter an Schulter mit amerikanischem Pioniergeist und Geschäftssinn. Ein Erfolgsmodell, das längst als Visitenkarte des internationalen Geschmacks gilt: Der Weg in die kulinarische Zivilisation führt ohne Umwege über die Lizenz eines Fast-Food-Restaurants. Keine ehrgeizige Nation, kein aufstrebendes Volk sollte auf dem Weg nach oben wichtige Business-Zeit mit unnötigem Essen vertun. Time is money.

Schauen wir dagegen voller Mitleid nach Frankreich und Italien, die Länder angeblicher kulinarischer Höhenflüge. Fahren dort etwa Autos, die vor den strengen Augen deutscher TÜV-Prüfer bestehen könnten? Mitnichten! Oder gibt es einwandfrei funktionierende Mischbatterie in den ohnehin oftmals recht schmuddeligen Hotels? Fehlanzeige! Kann sich der ahnungslose Geschäftsreisende in diesen Ländern auf ein lückenloses Mobilfunknetz verlassen, um mit den leitenden Angestellten ständig in Telefonkontakt zu bleiben? Ebenfalls Fehlanzeige! Und warum ist das so? Weil französische und italienische Ingenieure und Konstrukteure wertvolle Arbeitszeit in Restaurants vertun.

Keiner dieser Ignoranten beherzigt den alten weisen Spruch aus Deutschlands Schulen und Universitäten: voller Bauch studiert nicht gern. Dabei kann essen durchaus in den Rhythmus einer aufstrebenden Nation eingebunden werden. Gibt es etwas Schöneres als auf der Straße ein heißes Würstchen mit Senf hastig im Gehen zu verschlingen? Man spart den lästigen Restaurant-Stopp mit all seinen zeitraubenden Unannehmlichkeiten und kann sich während des genussvollen Verzehrs einer fetttriefenden Wurst zielstrebig neuen, wirklich wichtigen Aufgaben nähern.

Doch die ideale Symbiose zwischen der immer wieder bemängelten deutschen Antihaltung zur Dienstleistung und einer unproblematischen Nahrungsaufnahme ist das Drive-in. Essen auf Rädern, Schlingen und Fahren gleichzeitig. Je nach Getriebeart des Fahrzeuges – empfehlenswert für Drive-in-Besuche sind Automatikgetriebe – sollte man die Hauptspeise in die rechte Hand nehmen und der Pappbecher mit dem Kaltgetränk wird sanft zwischen die Oberschenkel gepresst. Als Nachtisch gibt’s kalte Pommes, die bei allzu forscher Fahrweise auf dem Beifahrersitz verstreut werden und damit auch leicht bei Nachtfahrten zu ertasten sind. Die in den meisten Fällen mitgelieferte Tüte kann auch in Fällen des plötzlichen Unwohlseins nützliche Dienste leisten.

Bedauernswert dagegen diese Franzosen, die stundenlang auf ihr Essen warten müssen und während dieser Zeit mit trockenem Weißbrot und versalzener Butter vertröstet werden. In den schlimmsten Fällen wird der unglückliche Gast mit einem „Amuse Geule“ über die Unzulänglichkeiten der Küche vertröstet. Was immer das heißen mag, es verheißt meist nichts Gutes und ersetzt natürlich keine ausreichende und warme Mahlzeit, weswegen eigentlich das Lokal aufgesucht wurde. Denn wenn eine Küche für solche Miniaturspeisen genügend Zeit hat, anstatt etwas Ordentliches auf den Tisch zu bringen, dann kann es ja nicht so weit her sein mit der „Haute Cuisine“.

Da sollten sich die französischen Sterneköche mal in den Gastuben der deutschen Provinzen umschauen und sich bei den Schnitzelkönigen eine Scheibe abschneiden. Das ist auch ohne weiteres möglich, denn hier hängen nicht nur die Schnitzel über den Tellerrand. Von den Beilagenportionen könnte ein Gourmetrestaurant drei Wochen doppelte Portionen austeilen. Die gastronomische Renaissance der Speisung der Armen. Hier ist der deutsche Genießer in seinem Element, und das zu einem Preis, für den der Franzose nicht einmal eine Vorspeise anrühren würde, weil der Verdacht nahe liegt, dass es sich hierbei um die geschickte Aufarbeitung verdorbener Lebensmittel handeln könnte.

Aber was soll man von einem Volk erwarten, das Käse nur in Stücken mit der Messerspitze als Nachspeise verzehrt? Und ein Volk, das so schlechtes Bier braut, dass es zwangsläufig eine Nation von Weintrinkern werden musste. Armes Frankreich.


Der Autor und Journalist Georg Etscheit gründete vor einem Jahr zusammen mit dem Buchautor, Gastrotester und Moderator Ingo Swobodaaufgegessen.info“, den gastrosophischen Blog für freien Genuss. Dieser Beitrag ist zuerst dort erschienen.

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Kommentare ( 1 )

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verblichene Rose
1 Tag her

Entschuldigung, aber habe ich gerade eine grössere Diskussion über Bratwürste im Brötchen verpasst? Und wer hat den Deutschen eigentlich gerade (oder früher schon) die Fähigkeit zum Genuss abgesprochen? Tatsache ist doch, dass es sich die Deutschen bundesweit in den verschiedenen Regionen regional gut gehen lassen. Und das ist auch gut so, denn den echten Saumagen gibt es nunmal nur in der Pfalz und echtes „Himmel un Äad“ höchstwahrscheinlich nur im Rheinland. Von solchen regionalen Köstlichkeiten kenne ich als Genuss-Banause natürlich vergleichsweise nur die Pizza aus Italien und Coq au vin aus Frankreich. Aber aus vielen Italien- und Frankreichreisen kann ich… Mehr