Die französische Bankfrau Sylvie Ernoult stellte auf Twitter die so schöne wie berechtigte Frage: Was hat es mit dem deutschen Wort „Mahlzeit“ auf sich? Denn hinter dem als Gruß verwendeten Begriff steckt viel mehr als der Wunsch nach gutem Essen.
Deutsche Büros sind ein sprachlich vermintes Gelände. Ein falscher Schritt und der mühevoll erhaltene Betriebsfrieden sprengt in alle fünf Himmelsrichtungen auseinander. Deswegen haben sich viele Bürokämpfer auf die nonverbale Kommunikation verlegt. Die diversen Schilder, die an Türen und in Küchen hängen sind ein pittoresker Ausdruck dieser passiv-aggressiven Lebensfreude:
„Geschirr gehört in die Maschine und nicht auf die Spüle!“
„Vergammelte Joghurtbecher bitte aus dem Kühlschrank entfernen!“
„Die Toilette sauber halten!“
Wer fühlt sich da nicht mitgenommen? Wem wird es da nicht warm ums Herz oder die Hose? Wobei das Ausrufezeichen niemals fehlen darf. Es ist quasi der Bindestrich, der den gemeinsamen Sinn für Bedeutung im Büro zusammenhält. Aber nun. Genug geplaudert. Ohne weitere Umschweife. Direkt zu: Mahlzeit!
Uns Deutschen geht in der Sprache nämlich das Vorurteil voraus, wir seien umständlich. Doch das sind Fake News. Also falsche Nachrichten. Okay. Das ist in der Tat länger. Und es stimmt schon: Der gleiche Roman hat in der deutschen Übersetzung etwa fünf Prozent mehr Umfang als das englische Original. Aber mit „Mahlzeit“ machen wir es wieder wett. „Mahlzeit“ ist ein Ausdruck der deutschen Fähigkeit, Kommunikationen auf das Minimale zu komprimieren.
Verlässt man das Büro zum Mittagessen, kann man sagen: „Pass mal auf, Kollege. Ich gehe jetzt was essen. Wahrscheinlich bin ich so eine dreiviertel Stunde weg. Geh für mich in der Zwischenzeit ans Telefon und schreib’ mir dieses Mal gefälligst den Namen und die Nummer auf, wenn ich zurückrufen soll! Wenn ich zurück bin, kannst du dann essen gehen.“
„Mahlzeit“ tut’s aber auch. Erreicht das Gleiche, gefährdet aber den Betriebsfrieden nicht. Nun möchte die französische Bankfrau Sylvie Ernoult wissen, was man darauf antwortet. Die Frage ist denkbar einfach und kompliziert zugleich.
Die gute Nachricht vorweg. Der Text lautet schlicht und einfach auch „Mahlzeit“. Die schlechte: So einfach ist es nicht. Denn noch wichtiger als im Chinesischen sind die Betonung und die Gesichtszüge, wenn man korrekt „Mahlzeit“ antworten will.
Befinden sich die Augen in einer normalen Stellung, bedeutet die „Mahlzeit“-Antwort: „Klar, geh du nur als Erstes. Ich kann dann mit dem Essen wieder mal warten.“
Kommen sich die Pupillen näher, will man mit „Mahlzeit“ antworten: „Ist doch egal, ob du an deinem Platz nicht arbeitest oder dir den Bauch in der Kantine vollschlägst.“
Drückt sich die linke Pupille indes aus der rechten Augenhöhle raus, will „Mahlzeit“ sagen: … Ja. Das können wir hier nicht zitieren. Wir sind nun mal nicht die ARD und achten auf unsere Wortwahl. Es passt jedenfalls auf keinen Zettel in der Küche.
Für Ernoult bedeutet das: „Mahlzeit“ zu beherrschen ist nicht einfach. Es lässt sich auch nicht anlesen. Man muss schon zu lebenslänglich in einem Großraumbüro verurteilt sein, um dem Jahr für Jahr näher zu kommen. Für den Anfang hilft es, sich ein wenig in den Deutschen reinzuversetzen und ein Schild in der Büroküche aufzuhängen: „Meine Brötchen bitte mir übriglassen!“ Zum Beispiel. Das ist übrigens noch wirkungsvoller, wenn man gar keine Brötchen im Kühlschrank liegen hat. Gut wäre auch eine Bildungsreise nach Norddeutschland. Dort sagt man übrigens: „Moin.“
P.S.: Wer gut aufgepasst hat, möchte noch wissen, was die fünfte Himmelsrichtung sei? Aber das ist eine andere Geschichte.
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Ich bin ein kultureller Aneigner und begrüße und verabschiede als Rheinländer mit „servus“. Wenn ich allerdings in Bayern bin, grüße ich mit „Tach“. Nie würde ich als erster „Mahlzeit“ sagen, es sei denn, ich bin betrunken. Aber wenn mir jemand „Mahlzeit“ sagt, antworte ich zuweilen ebenfalls mit „Mahlzeit“. Wahlweise auch mit „heute nich“ oder „schön wärs“. Bei fetten Menschen verwende ich „bist du sicher“ oder „schon wieder“, denn ich unterstütze bodyshaming vorbehaltlos.
Das Verhalten von Mitarbeitern und deren Qualifikation wurde von einem Automobilhersteller mit Stern vor dem Kopf dokumentiert und in die Personalakte aufgenommen. U.a. fand man dort in etwa die folgende Formulierung: „Mitarbeiter Mustermann grüßt korrekt mit Mahlzeit!“.
„Mahlzeit“ ist in Betrieben, wo sich den ganzen Tag über unterschiedliche Menschen begegnen nichts mehr und nichts weniger als ein mittäglicher Gruß. Bis elf Uhr grüßt man mit Guten Morgen, bis 14 Uhr mit Mahlzeit, und bis dahin hat man alle einmal gesehen und gegrüßt. Danach heißt es „Tschüss und schönen Feierabend“.
Im fränkischen Sprachraum ist’s sogar noch einfacher: Servus – Mahlzeit – Servus.
Mahlzeit – ein gutes Beispiel für Wittgensteins Sprachspiele.
„Mahlzeit“ wird auch gerne genommen, wenn man zu spät zur verabredeten Verabredung auftaucht. Die Betonung: etwas langgezogen oder aber kurz und knapp, der Blick: vorwurfsvoll bis abweisend, die Haltung: aggressiv bis gleichgültig; ein wunderbares Wort, inhaltlich wie ein Chamäleon, zu allen Schandtaten passend, aber nie wirklich festgelegt. Ich bin sicher, sowas ähnlich lose Verschlüsseltes haben die Franzosen auch in ihrem Wortschatz irgendwo herumliegen.
Geeenau! Mit leicht erhobener Stimmlage und ohne Sprachmelodie, monoton – oder Mono-Ton sozusagen …
Moin, Katastrophe, wenn man in einer großen Firma (Chemiewerk) arbeitet und zur Kantine und wieder zurück geht. Gefühlt 100mal Mahlzeit sagen, ist nervig. Jedem dem man begegnet sagt man: „Mahlzeit“. Und nicht vergessen, wenn man jemanden sieht, der im Stehen etwas zu sich nimmt, ebenfalls „Mahlzeit“ sagen. Das ist ein MUSS zu jeder Uhrzeit. Moin.
In Büros sitzen eh keine normalen Menschen. Wer könnte es sich sonst ausgedacht haben, dass man nur noch Wind in Strom umwandeln will? Dort aus den Büros kommen auch die dümmsten Vorschriften, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen und was es sonst noch an Regelwerken gibt. Es sind Akten-Nerds, die selbst keinen Nagel in die Wand bekommen und autistische Verhaltensstörungen haben.
In Büros sitzen aber auch Ingenieure, Betriebsleiter und Mittelstandschefs, ohne Bürohengste (und Stuten, vermutlich) kein Wirtschaftswunder.
Wer ganztägig „Moin“ sagt weiß in aller Regel, daß „Moin“ nichts mit „Morgen“ im Sinne der Tageszeit zu tun hat. Das denken immer nur „Südländer“, denen man auch erklären muß, daß die Flüsse in Küstennähe tatsächlich paar Stunden des Tages in andere Richtung fließen und sie nicht gleich aufgeregt beim Reiseveranstalter Beschwerde einlegen müssen, bloß weil Nordsee plötzlich weg ist…
Moin 😉
Logo, wenn man (guten) Morgen meint, sagt man „moin moin“. Erklärt sich doch praktisch von selbst.
Ich habe die ultimative Lösung des Problems. „Mahlzeit“ kommt von mahlen (Mühle). Und daraus weitere Synonyme: zerkleinern, kauen. „Guten Hunger“ geht’s auch.
„Mahlzeit“ ist ein unheimlich bescheuerter, deutscher Mittagsgruß, der mich schon immer angek… hat. Wieso müssen so viele Hampelmänner unbedingt ständig und mehrmals am Tag die gleiche Person grüßen? Mache ich auch. Aber nicht freiwillig. Sondern weil ich dazu verdammt bin, unter deutschen Proletariern ein Einkommen zu erwirtschaften. Wenn man nicht wenigstens die Grundzüge deutscher Prolligkeit mitmacht, fliegt man schließlich sofort raus und nicht erst nach ein paar Monaten… Sicherlich interessiert es niemanden, daß die „Mahlzeit“ die Zeit ist, während man an der Mühle darauf wartet, daß der Vormann sein Getreide fertig gemahlen hat und man selbst dran kommt. Diese Wartezeit… Mehr
Danke. Endlich hat mir mal jemand erklärt, worauf der Ausdruck Mahlzeit überhaupt zurückzuführen ist. Und ich schließe mich Ihnen an. Ich fand den „Mittagsgruß“ schon während meiner Ausbildung (und das ist Lichtjahre her) grauenvoll. Er wurde und wird ja nicht nur zur Mittagszeit verwendet, sondern unentwegt so zwischen 11 und 14 Uhr. Und nicht nur auf dem Weg zur Kantine sondern überall, wo man sich begegnet, selbst in den Waschräumen. Abartig.
ich denke mal, das sind persönliche Befindlichkeiten, die das Zusammenleben unnütz erschweren.
Die Erklärung des Begriffes scheint mir auch etwas weit hergeholt und nicht plausibel.
Die Mahlzeit ist mehr als Fressen, es ist soziale Kultur. Sicher, ein Habeck kann damit nichts anfangen, auch deshalb wird er die Haferflocken mit Wasser anmachen.
Es wird Zeit, da wieder verstärkt Wert auf die Werte zu legen. Denn das Auftreten unserer politischen „Elite“ im Ausland ist beschämend. Sowohl bei den Worten, Werken, Taten und der Kleidung.